Ýëåêòðîííàÿ áèáëèîòåêà
Ôîðóì - Çäîðîâûé îáðàç æèçíè
Àêóïóíêòóðà, Àþðâåäà Àðîìàòåðàïèÿ è ýôèðíûå ìàñëà,
Êîíñóëüòàöèè ñïåöèàëèñòîâ:
Ðýéêè; Ãîìåîïàòèÿ; Íàðîäíàÿ ìåäèöèíà; Éîãà; Ëåêàðñòâåííûå òðàâû; Íåòðàäèöèîííàÿ ìåäèöèíà; Äûõàòåëüíûå ïðàêòèêè; Ãîðîñêîï; Ïðàâèëüíîå ïèòàíèå Ýçîòåðèêà


Brief einer Unbekannten

Als der bekannte Romanschriftsteller R. fr?hmorgens von dreit?gigem erfrischendem Ausflug ins Gebirge wieder nach Wien zur?ckkehrte und am Bahnhof eine Zeitung kaufte, wurde er, kaum dass er das Datum ?berflog, erinnernd gewahr, dass heute sein Geburtstag sei. Der einundvierzigste, besann er sich rasch, und diese Feststellung tat ihm nicht wohl und nicht weh. Fl?chtig[1] ?berbl?tterte er die Seiten der Zeitung und fuhr mit einem Mietautomobil in seine Wohnung. Der Diener meldete aus der Zeit seiner Abwesenheit zwei Besuche sowie einige Telefonanrufe und ?berbrachte auf einem Tablett die angesammelte Post. L?ssig[2] sah er den Einlauf an, riss ein paar Kuverts auf, die ihn durch ihre Absender interessierten; einen Brief, der fremde Schriftz?ge trug, schob er zun?chst beiseite. Dann z?ndete er sich eine Zigarre an und griff nun nach dem zur?ckgelegten Brief.


Es waren etwa zwei Dutzend geschriebene Seiten in fremder, unruhiger Frauenschrift. Unwillk?rlich betastete er noch einmal das Kuvert, ob nicht darin ein Begleitschreiben[3] vergessen geblieben w?re. Aber der Umschlag war leer.

Seltsam, dachte er, und nahm das Schreiben wieder zur Hand. „Dir, der Du mich nie gekannt“, stand oben als Anruf, als ?berschrift. Verwundert hielt er inne: galt das ihm, galt das einem ertr?umten[4] Menschen? Seine Neugier war pl?tzlich wach[5]. Und er begann den Brief zu lesen.


Mein Kind ist gestern gestorben – drei Tage und drei N?chte habe ich mit dem Tode um dies kleine Leben gerungen, vierzig Stunden bin ich an seinem Bette gesessen. Ich habe K?hles um seine Stirn getan, ich habe seine unruhigen, kleinen H?nde gehalten Tag und Nacht. Am dritten Abend bin ich zusammengebrochen[6]. Meine Augen konnten nicht mehr, sie fielen zu, ohne dass ich es wusste. Drei Stunden oder vier war ich auf dem harten Sessel eingeschlafen, und indes hat der Tod ihn genommen. Nun liegt er dort, der s?sse arme Knabe, in seinem schmalen Kinderbett, ganz so wie er starb. Nur die Augen sind geschlossen, seine klugen, dunkeln Augen. Ich wage nicht hinzusehen, ich wage nicht mich zu r?hren, denn wenn die Kerzen flackern, huschen Schatten ?ber sein Gesicht und den verschlossenen Mund, und es ist dann so, als regten sich seine Z?ge, und ich k?nnte meinen, er sei nicht tot. Aber ich weiss es, er ist tot, ich will nicht hinsehen mehr, um nicht noch einmal zu hoffen und entt?uscht zu sein. Ich weiss es, ich weiss es, mein Kind ist gestern gestorben – jetzt habe ich nur Dich mehr auf der Welt, nur Dich, der Du von mir nichts weisst. Nur Dich, der Du mich nie gekannt und den ich immer geliebt habe.

Ich habe die f?nfte Kerze genommen und hier zu dem Tisch gestellt, auf dem ich an Dich schreibe. Denn ich kann nicht allein sein mit meinem toten Kind und zu wem sollte ich sprechen in dieser entsetzlichen Stunde, wenn nicht zu Dir, der Du mir alles warst und alles bist! Vielleicht kann ich nicht ganz deutlich zu Dir sprechen, vielleicht verstehst Du mich nicht – mein Kopf ist ja ganz dumpf. Ich glaube, ich habe Fieber, vielleicht auch schon die Grippe, die jetzt von T?r zu T?r schleicht, und das w?re gut, denn dann ginge ich mit meinem Kinde. Manchmal wird es mir ganz dunkel vor den Augen, vielleicht kann ich diesen Brief nicht einmal zu Ende schreiben – aber ich will alle Kraft zusammentun, um einmal, nur dieses eine Mal zu Dir zu sprechen, Du mein Geliebter, der Du mich nie erkannt. Zu Dir allein will ich sprechen, Dir zum ersten Mal alles sagen. Mein ganzes Leben sollst Du wissen, das immer das Deine gewesen und um das Du nie gewusst. Aber Du sollst mein Geheimnis nur kennen, wenn ich tot bin, wenn Du mir nicht mehr Antwort geben musst, wenn das wirklich das Ende ist. Muss ich weiterleben, so zerreisse ich diesen Brief und werde weiter schweigen, wie ich immer schwieg. H?ltst Du ihn aber in H?nden, so weisst Du, dass hier eine Tote Dir ihr Leben erz?hlt, ihr Leben, das das Deine war. F?rchte[7] Dich nicht vor meinen Worten; eine Tote will nichts mehr. Glaube mir alles, nur dies eine bitte ich Dich: man l?gt nicht in der Sterbestunde eines einzigen Kindes.


Mein ganzes Leben will ich Dir verraten, das wahrhaft erst begann mit dem Tage, da ich Dich kannte. Vorher war bloss etwas Tr?bes[8] und Verworrenes[9]. Als Du kamst, war ich dreizehn Jahre und wohnte im selben Hause, wo Du jetzt wohnst. Du erinnerst Dich wahrscheinlich nicht mehr an uns – wir waren ja ganz still. Du hast vielleicht nie unseren Namen geh?rt, denn wir hatten kein Schild auf unserer Wohnungst?r, und niemand kam, niemand fragte nach uns. Es ist ja auch schon so lange her, f?nfzehn, sechzehn Jahre, nein, Du weisst es gewiss nicht mehr, mein Geliebter, ich aber, oh, ich erinnere mich an jede Einzelheit, ich weiss noch wie heute den Tag, nein, die Stunde, da ich zum ersten Mal von Dir h?rte, Dich zum ersten Mal sah, und wie sollte ich auch nicht, denn damals begann ja die Welt f?r mich.


Dulde, Geliebter, dass ich Dir alles, alles von Anfang erz?hle, werde, ich bitte Dich, die eine Viertelstunde von mir zu h?ren nicht m?de, die ich ein Leben lang Dich zu lieben nicht m?de geworden bin. Ehe Du in unser Haus einzogst, wohnten hinter Deiner T?r h?ssliche, b?se Leute. Arm wie sie waren, hassten sie am meisten die nachbarliche Armut. Der Mann war ein Trunkenbold[10] und schlug seine Frau. Meine Mutter hatte von Anfang an jeden Verkehr[11] mit ihnen vermieden und verbot mir, zu den Kindern zu sprechen. Das ganze Haus hasste mit einem gemeinsamen Instinkt diese Menschen, und als pl?tzlich einmal etwas geschehen war – ich glaube, der Mann wurde wegen eines Diebstahls eingesperrt – und sie mit ihrem Kram ausziehen mussten, atmeten wir alle auf. Ein paar Tage hing der Vermietungszettel[12] am Haustore, dann wurde er heruntergenommen, und durch den Hausmeister verbreitete es sich rasch, ein Schriftsteller, ein einzelner, ruhiger Herr, habe die Wohnung genommen.

Damals h?rte ich zum ersten Mal Deinen Namen. Aber Dich selbst bekam ich noch nicht zu Gesicht: alle diese Arbeiten ?berwachte Dein Diener, dieser kleine, ernste, grauhaarige Herrschaftsdiener, der alles mit einer leisen Art von oben herab dirigierte. Er imponierte uns allen sehr, erstens, weil in unserem Vorstadthaus ein Herrschaftsdiener etwas ganz Neuartiges war, und dann, weil er zu allen so ungemein h?flich war. Meine Mutter gr?sste er vom ersten Tage an respektvoll als eine Dame. Wenn er Deinen Namen nannte, so geschah das immer mit einer gewissen Ehrfurcht[13], mit einem besonderen Respekt. Und wie habe ich ihn daf?r geliebt, den guten alten Johann, obwohl ich ihn beneidete[14], dass er immer um Dich sein durfte und Dir dienen.


Ich erz?hle Dir all das, Du Geliebter, all diese kleinen Dinge, damit Du verstehst, wie Du von Anfang an schon eine solche Macht gewinnen konntest ?ber das scheue[15] Kind, das ich war. Wir alle in dem kleinen Vorstadthaus warteten schon ungeduldig auf Deinen Einzug. Und diese Neugier nach Dir steigerte sich erst bei mir, als ich eines Nachmittags von der Schule nach Hause kam und der M?belwagen vor dem Hause stand. Ich blieb an der T?r stehen, um alles bestaunen zu k?nnen, denn alle Deine Dinge waren so seltsam anders. Es gab da italienische Skulpturen, grosse Bilder, und dann zum Schluss kamen B?cher, so viele und so sch?ne, wie ich es nie f?r m?glich gehalten.


Ich glaube, ich h?tte sie stundenlang alle angesehen: da rief mich die Mutter hinein. Den ganzen Abend dann musste ich an Dich denken; noch ehe ich Dich kannte. Ich besass selbst nur ein Dutzend billige B?cher, die ich ?ber alles liebte und immer wieder las. Und nun habe ich gedacht, wie der Mensch sein m?sste, der all diese vielen herrlichen B?cher besass und gelesen hatte, der alle diese Sprachen wusste, der so reich war und so gelehrt[16] zugleich. Damals in jener Nacht und noch ohne Dich zu kennen, habe ich das erste Mal von Dir getr?umt. Am n?chsten Tage zogst Du ein, aber ich konnte Dich nicht zu Gesicht bekommen – das steigerte nur meine Neugier. Endlich, am dritten Tage, sah ich Dich, und wie ersch?tternd[17] war die ?berraschung f?r mich, dass Du so anders warst. Einen bebrillten Greis[18] hatte ich mir getr?umt, und da kamst Du – Du, ganz so, wie Du noch heute bist! Du trugst ein hellbrauner, entz?ckender Sportdress und liefst in Deiner unvergleichlich leichten knabenhaften Art die Treppe hinauf, immer zwei Stufen auf einmal nehmend. Ich erschrak vor Erstaunen, wie jung, wie h?bsch, wie federnd-schlank und elegant Du warst. Und ist es nicht seltsam: in dieser ersten Sekunde empfand ich ganz deutlich, dass Du irgendein zwiefacher[19] Mensch bist. Unbewusst empfand ich, was dann jeder bei Dir sp?rte, dass Du ein Doppelleben f?hrst, ein Leben mit einer hellen, der Welt offen zugekehrten Fl?che, und einer ganz dunkeln, die Du nur allein kennst – diese tiefste Zweiheit, das Geheimnis Deiner Existenz, sie f?hlte ich, die Dreizehnj?hrige. Verstehst Du nun schon, Geliebter, was f?r ein Wunder, Du f?r mich, das Kind, sein musstest!


Muss ich Dir noch sagen, dass von diesem Tage an in unserem Hause, in meiner ganzen armen Kinderwelt mich nichts interessierte als Du. Ich beobachtete Dich, beobachtete die Menschen, die zu Dir kamen, und all das vermehrte nur, statt sie zu mindern, meine Neugier nach Dir selbst, denn die ganze Zwief?ltigkeit Deines Wesens[20] dr?ckte sich in der Verschiedenheit dieser Besuche aus. Da kamen junge Menschen, Kameraden von Dir, mit denen Du lachtest, abgerissene Studenten, und dann wieder Damen, die in Autos vorfuhren, einmal der Direktor der Oper, der grosse Dirigent, dann wieder kleine M?del, die noch in die Handelsschule gingen. Ich dachte mir nichts Besonderes dabei, auch nicht, als ich eines Morgens, wie ich zur Schule ging, eine Dame von Dir weggehen sah – ich war ja erst dreizehn Jahre alt, und die leidenschaftliche Neugier wusste im Kinde noch nicht, dass sie schon Liebe war. Aber ich weiss noch genau, mein Geliebter, den Tag und die Stunde, wann ich ganz und f?r immer an Dich verloren war. Ich hatte mit einer Schulfreundin einen Spaziergang gemacht, wir standen plaudernd vor dem Tor. Da kam ein Auto angefahren, hielt an, und schon sprangst Du mit Deiner ungeduldigen Art vom Trittbrett und wolltest in die T?r. Unwillk?rlich[21] zwang es mich, Dir die T?r aufzumachen. Du sahst mich an mit warmen, weichen Blick, der wie eine Z?rtlichkeit war, l?cheltest mir und sagtest mit einer ganz leisen und fast vertraulichen Stimme: „Danke vielmals, Fr?ulein.“

Das war alles, Geliebter; aber von dieser Sekunde, seit ich diesen weichen, z?rtlichen Blick gesp?rt, war ich Dir verfallen. Ich habe ja sp?ter erfahren, dass Du diesen Blick des geborenen Verf?hrers, jeder Frau hingibst, die an Dich streift. Aber ich, das dreizehnj?hrige Kind, ahnte das nicht: ich war wie in Feuer getaucht. Ich glaubte, die Z?rtlichkeit gelte nur mir, nur mir allein, und in dieser einen Sekunde war die Frau in mir erwacht. „Wer war das?“ fragte meine Freundin. Ich konnte ihr nicht gleich antworten. Es war mir unm?glich, Deinen Namen zu nennen: schon in dieser einzigen Sekunde war er mir heilig, war er mein

Geheimnis geworden. „Ach, irgendein Herr, der hier im Hause wohnt“, stammelte ich dann ungeschickt[22] heraus. „Aber warum bist du denn so rot geworden, wie er dich angeschaut hat?“ spottete[23] die Freundin mit eines neugierigen Kindes. Bl?de Gans“, sagte ich wild. Aber sie lachte nur noch lauter, bis ich f?hlte, dass mir die Tr?nen in die Augen schossen. Ich liess sie stehen und lief hinauf. Von dieser Sekunde an habe ich Dich geliebt.


Ich weiss, Frauen haben Dir oft dieses Wort gesagt. Aber glaube mir, niemand hat Dich so hingebungsvoll[24] geliebt wie dieses Wesen, das ich war. Nur einsame Kinder k?nnen ganz ihre Leidenschaft zusammenhalten[25]. Die andern spielen damit, wie mit einem Spielzeug, sie prahlen[26] damit, wie Knaben mit ihrer ersten Zigarette. Aber ich, ich hatte ja niemand, um mich anzuvertrauen: ich st?rzte hinein in mein Schicksal wie in einen Abgrund[27]. Alles, was in mir wuchs, wusste nur Dich, den Traum von Dir, als Vertrauten.


Mein Vater war l?ngst gestorben, die Mutter mir fremd in ihrer ewige Bedr?cktheit[28], die Schulm?dchen stiessen mich ab, weil sie so leichtfertig[29] mit dem spielten, was mir letzte Leidenschaft war. Du warst mir – wie soll ich es Dir sagen? Jeder einzelne Vergleich ist zu gering – Du warst eben alles, mein ganzes Leben. Alles in meiner Existenz hatte nur Sinn, wenn es mit Dir verbunden war. Bisher mittelm?ssig in der Schule, wurde ich pl?tzlich die Erste, ich las tausend B?cher bis tief in die Nacht, weil ich wusste, dass Du die B?cher liebtest, ich begann, zum Erstaunen meiner Mutter, pl?tzlich Klavier zu ?ben, weil ich glaubte, Du liebtest Musik. Ich putzte und n?hte an meinen Kleidern. Aber Du hast mich ja nie, fast nie mehr angesehen. Und doch: ich tat eigentlich den ganzen Tag nichts als auf Dich warten. An unserer T?r war ein kleines Guckloch, durch dessen kreisrunden Ausschnitt man hin?ber auf Deine T?r sehen konnte. Dieses Guckloch – nein, l?chle nicht, Geliebter, noch heute, noch heute sch?me ich mich jener Stunden nicht! – war mein Auge in die Welt hinaus, dort, im eiskalten Vorzimmer. Ich war immer um Dich, immer in Spannung und Bewegung. Ich wusste alles von Dir, kannte jede Deiner Gewohnheiten, jede Deiner Krawatten, jeden Deiner Anz?ge.

Ich weiss, das sind alles kindische Torheiten, die ich Dir da erz?hle. Aber ich sch?me mich nicht, denn nie war meine Liebe zu Dir reiner und leidenschaftlicher als in diesen kindlichen Exzessen.


Aber ich will Dich nicht langweilen. Nur das sch?nste Erlebnis meiner Kindheit will ich Dir noch anvertrauen. An einem Sonntag muss es gewesen sein. Du warst verreist, und Dein Diener schleppte die schweren Teppiche, durch die offene Wohnungst?r. Er trug schwer daran, der Gute, und in einem Anfall von Verwegenheit ging ich zu ihm und fragte, ob ich ihm nicht helfen k?nnte. Er war staunt, aber liess mich gew?hren, und so sah ich Deine Wohnung von innen.

Diese Minute war die gl?cklichste meiner Kindheit. Sie wollte ich Dir erz?hlen, damit Du, der Du mich nicht kennst, endlich zu ahnen beginnst, wie ein Leben an Dir hing und verging. Ich merkte nicht, dass ein ?lterer Herr, ein Kaufmann aus Innsbruck ?fter kam und l?nger blieb, ja, es war mir nur angenehm, denn er f?hrte Mama manchmal in das Theater, und ich konnte allein bleiben, an Dich denken, was ja meine h?chste, meine einzige Seligkeit[30] war.


Eines Tages nun rief mich die Mutter in ihr Zimmer; sie h?tte ernst mit mir zu sprechen. Ich wurde blass und h?rte mein Herz pl?tzlich h?mmern[31]: sollte sie etwas geahnt? Mein erster Gedanke warst Du, das Geheimnis, das mich mit der Welt verband. Aber die Mutter war selbst verlegen[32], sie k?sste mich (was sie sonst nie tat), sie begann zu erz?hlen, ihr Verwandter habe ihr einen Heiratsantrag gemacht, und sie sei entschlossen, ihn anzunehmen. Heisser stieg mir das Blut zum Herzen: nur ein Gedanke antwortete von innen, der Gedanke an Dich. „Aber wir bleiben doch hier?“ konnte ich gerade noch stammeln[33]. „Nein, wir ziehen nach Innsbruck, dort hat Ferdinand eine sch?ne Villa.“ Mehr h?rte ich nicht. Mir ward schwarz vor den Augen. Sp?ter wusste ich, dass ich in Ohnmacht[34] gefallen war. Was dann in den n?chsten Tagen geschah, wie ich mich wehrte gegen ihren ?berm?chtigen Willen, das kann ich Dir nicht schildern[35]: noch jetzt zittert mir, da ich daran denke, die Hand im Schreiben. Mein wirkliches Geheimnis konnte ich nicht verraten.


Niemand sprach mehr mit mir, alles geschah hinterr?cks. Man nutzte die Stunden, da ich in der Schule war, um die ?bersiedlung zu f?rdern: kam ich dann nach Hause, so war immer wieder ein anderes St?ck verr?umt oder verkauft. Ich sah, wie die Wohnung und damit mein Leben verfiel, und einmal, als ich zum Mittagessen kam, waren die M?belpacker dagewesen und hatten alles weggeschleppt. In den leeren Zimmern standen die gepackten Koffer und zwei Feldbetten f?r die Mutter und mich: da sollten wir noch eine Nacht schlafen, die letzte, und morgen nach Innsbruck reisen.


An diesem letzten Tag f?hlte ich mit pl?tzlicher Entschlossenheit, dass ich nicht mehr leben konnte ohne Deine N?he. Wie ich mir es dachte und ob ich ?berhaupt klar in diesen Stunden der Verzweiflung[36] zu denken vermochte, das werde ich nie sagen k?nnen, aber pl?tzlich – die Mutter war fort – stand ich auf im Schulkleid, wie ich war, und ging hin?ber zu Dir. Nein, ich ging nicht: es stiess mich mit steifen Beinen, mit zitternden[37] Gelenken magnetisch fort zu Deiner T?r. Ich sagte Dir schon, ich wusste nicht deutlich, was ich wollte: Dir zu F?ssen fallen [38]und Dich bitten, mich zu behalten als Magd, und ich f?rchte, Du wirst l?cheln ?ber diesen unschuldigen Fanatismus einer F?nfzehnj?hrigen, aber – Geliebter, Du w?rdest nicht mehr l?cheln, w?sstest Du, wie ich damals draussen im eiskalten Gange stand, starr vor Angst. Es war ein Kampf durch die Ewigkeit entsetzlicher Sekunden – den Finger auf den Knopf der T?rklingel dr?ckte.


Aber du kamst nicht. Niemand kam. Du warst offenbar fort an jenem Nachmittage und Johann auf Besorgung. Ich ging in unsere zerst?rte, ausger?umte Wohnung zur?ck. Aber unter dieser Ersch?pfung[39] gl?hte noch unverl?scht die Entschlossenheit, Dich zu sehen, Dich zu sprechen, ehe sie mich wegrissen. Die ganze lange, entsetzliche Nacht habe ich dann, Geliebter, auf Dich gewartet. Kaum dass die Mutter sich in ihr Bett gelegt hatte und eingeschlafen war, schlich ich in das Vorzimmer hinaus, um zu horchen, wann Du nach Hause k?mest. Die ganze Nacht habe ich gewartet, und es war eine eisige Januarnacht. Ich war m?de, meine Glieder schmerzten mich, und es war kein Sessel mehr, mich hinzusetzen: so legte ich mich flach auf den kalten Boden, ?ber den der Zug von der T?r hinstrich. Ich musste immer wieder aufstehen, so kalt war es im entsetzlichen Dunkel. Aber ich wartete, wartete, wartete auf Dich wie auf mein Schicksal. Endlich – es muss schon zwei oder drei Uhr morgens gewesen sein – h?rte ich unten das Haustor aufsperren und dann Schritte die Treppe hinauf. Warst Du es, der da kam? Ja, Du warst es, Geliebter – aber Du warst nicht allein. Du kamst mit einer Frau nach Hause… Wie ich diese Nacht ?berleben konnte, weiss ich nicht. Am n?chsten Morgen, um acht Uhr, schleppten sie mich nach Innsbruck.


Mein Kind ist gestern Nacht gestorben – nun werde ich wieder allein sein, wenn ich wirklich weiterleben muss. Morgen werden sie kommen, fremde, schwarze, ungeschlachte M?nner, und einen Sarg bringen, werden es hineinlegen, mein armes Kind. Vielleicht kommen auch Freunde und bringen Kr?nze. Sie werden mich tr?sten und mir irgendwelche Worte sagen. Was k?nnen sie mir helfen? Ich weiss, ich muss dann doch wieder allein sein. Und es gibt nichts Entsetzlicheres, als Alleinsein unter den Menschen. Damals habe ich es erfahren, damals in jenen Jahren von meinem sechzehnten bis zu meinem achtzehnten, wo ich wie eine Gefangene zwischen meiner Familie lebte[40].


Der Stiefvater, ein sehr ruhiger, wortkarger Mann, war gut zu mir, meine Mutter schien allen meinen W?nschen bereit, junge Menschen bem?hten sich um mich, aber ich stiess sie alle in einem leidenschaftlichen Trotz[41] zur?ck. Ich wollte nicht gl?cklich, nicht zufrieden leben abseits von Dir. Die neuen, bunten Kleider, die sie mir kauften, zog ich nicht an. Ich weigerte mich, in Konzerte, in Theater zu gehen. Ich sass allein zu Hause, stundenlang, tagelang, und tat nichts, als an Dich zu denken. Ich kaufte mir alle Deine B?cher. Wenn Dein Name in der Zeitung stand, war es ein festlicher Tag. Willst Du es glauben, dass ich jede Zeile aus Deinen B?chern auswendig kann, so oft habe ich sie gelesen?


Die ganze Welt, sie existierte nur in Beziehung auf Dich. Doch war ich damals wirklich noch ein Kind? Ich wurde siebzehn, wurde achtzehn Jahre – die jungen Leute begannen sich auf der Strasse nach mir umzublicken, doch sie erbitterten[42] mich nur. Mein ganzes Denken war in eine Richtung gespannt: zur?ck nach Wien, zur?ck zu Dir.


Mein Stiefvater war verm?gend[43], er betrachtete mich als sein eigenes Kind. Aber ich drang in erbittertem Starrsinn darauf, ich wolle mir mein Geld selbst verdienen, und erreichte es endlich, dass ich in Wien zu einem Verwandten als Angestellte eines grossen Konfektionsgesch?ftes kam. Muss ich Dir sagen, wohin mein erster Weg ging, als ich an einem nebligen Herbstabend – endlich! endlich! – in Wien ankam?


Ich liess die Koffer an der Bahn, st?rzte mich in eine Strassenbahn und lief vor das Haus. Deine Fenster waren erleuchtet, mein ganzes Herz klang. Ich sah nur empor[44] und empor: da war Licht, da war das Haus, da warst Du, da war meine Welt. Zwei Jahre hatte ich von dieser Stunde getr?umt, nun war sie mir geschenkt. Ich stand den langen, weichen Abend vor Deinen Fenstern, bis das Licht erlosch.

Dann suchte ich erst mein Heim. Jeden Abend stand ich dann so vor Deinem Haus. Bis sechs Uhr hatte ich Dienst im Gesch?ft, harten, anstrengenden Dienst, aber er war mir lieb, denn diese Unruhe liess mich die eigene nicht so schmerzhaft f?hlen. Nur Dich einmal sehen, nur einmal Dir begegnen, das war mein einziger Wille, nur wieder einmal mit dem Blick Dein Gesicht umfassen[45] d?rfen von ferne. Etwa nach einer Woche geschah dann endlich, dass ich Dir begegnete, und zwar gerade in einem Augenblick, wo ich es nicht vermutete: w?hrend ich eben hinauf zu Deinen Fenstern sp?hte[46], kamst Du quer ?ber die Strasse. Und pl?tzlich war ich wieder das Kind, das dreizehnj?hrige, ich f?hlte, wie das Blut mir in die Wangen schoss; unwillk?rlich, wider meinen innersten Drang, der sich sehnte, Deine Augen zu f?hlen, senkte ich den Kopf und lief blitzschnell an Dir vorbei. Nachher sch?mte ich mich dieser schulm?delhaften Flucht[47], denn jetzt war mein Wille mir doch klar: ich wollte Dir ja begegnen, ich suchte Dich, ich wollte von Dir erkannt sein, wollte von Dir beachtet, wollte von Dir geliebt sein.


Aber Du bemerktest mich lange nicht. Oft wartete ich stundenlang vergebens, oft gingst Du dann endlich vom Hause in Begleitung von Bekannten fort, zweimal sah ich Dich auch mit Frauen, und nun empfand ich mein Erwachsensein, empfand das Neue, Andere meines Gef?hls zu Dir an dem pl?tzlichen Herzzucken, das mir quer die Seele zerriss, als ich eine fremde Frau so sicher Arm in Arm mit Dir hingehen sah. Und endlich, an einem Abend bemerktest Du mich. Unwillk?rlich[48] streifte mich Dein zerstreuter[49] Blick, um sofort, kaum dass er der Aufmerksamkeit des meinen begegnete – wie erschrak die Erinnerung in mir! – jener Dein Frauenblick, jener z?rtliche[50], h?llende[51] und gleichzeitig enth?llende Blick zu werden, der mich, das Kind, zum ersten Mal zur Frau, zur Liebenden erweckt. Ein, zwei Sekunden lang hielt dieser Blick so den meinen, der sich nicht wegreissen konnte und wollte – dann warst Du an mir vorbei.


Mir schlug das Herz: unwillk?rlich musste ich meinen Schritt verlangsamen, und wie ich aus einer nicht zu bezwingenden Neugier mich umwandte, sah ich, dass Du stehen geblieben warst und mir nachsahst. Und an der Art, wie Du neugierig interessiert mich beobachtetest, wusste ich sofort: Du erkanntest mich nicht. Du erkanntest mich nicht, damals nicht, nie, nie hast Du mich erkannt.

Wie soll ich sie Dir schildern, diese Entt?uschung! Denn sieh, in diesen zwei Jahren in Innsbruck, wo ich jede Stunde an Dich dachte und nichts tat, als mir unsere erste Wiederbegegnung in Wien auszudenken. Du erkanntest mich nicht damals. Und als zwei Tage sp?ter Dein Blick mit einer gewissen Vertrautheit bei erneuter Begegnung mich umfing, da erkanntest Du mich als das h?bsche achtzehnj?hrige M?dchen, das Dir vor zwei Tagen an der gleichen Stelle entgegengetreten. Du sahst mich freundlich ?berrascht an, ein leichtes L?cheln umspielte Deinen Mund. Wieder gingst Du an mir vorbei und wieder den Schritt sofort verlangsamend. Ich f?hlte, dass ich zum ersten Mal f?r Dich lebendig war. Und pl?tzlich sp?rte ich Dich hinter mir, ohne mich umzuwenden, ich wusste, nun w?rde ich zum ersten Mal Deine geliebte Stimme an mich gerichtet h?ren. Da tr?test Du an meine Seite. Du sprachst mich an mit Deiner leichten heitern Art, als w?ren wir lange befreundet. Wir gingen zusammen die ganze Gasse entlang. Dann fragtest Du mich, ob wir gemeinsam speisen wollten. Ich sagte ja. Was h?tte ich Dir gewagt zu verneinen[52]? Wir speisten zusammen in einem kleinen Restaurant – weisst Du noch, wo es war? Ach nein, Du unterscheidest es gewiss nicht mehr von andern solchen Abenden, denn wer war ich Dir? Eine unter Hunderten. Keinen Augenblick davon wollte ich durch eine Frage vergeuden[53]. Nie werde ich Dir von dieser Stunde dankbar vergessen. Ach, Du weisst ja nicht, ein wie Ungeheures Du erf?lltest, indem Du mir f?nf Jahre kindischer Erwartung nicht entt?uschtest!

Es wurde sp?t, wir brachen auf. An der T?r des Restaurants fragtest Du mich, ob ich noch Zeit h?tte. Ich sagte, ich h?tte noch Zeit, Dann fragtest Du, ob ich nicht noch ein wenig zu Dir kommen wollte, um zu plaudern. „Gerne“, sagte ich und merkte sofort, dass Du von der Raschheit meiner Zusage irgendwie sichtlich ?berrascht. Ich weiss, dass vielleicht nur die Professionellen der Liebe eine solche Einladung mit einer so vollen freudigen Zustimmung beantworten, oder ganz naive, ganz halbw?chsige Kinder. In mir aber war es – und wie konntest Du das ahnen – nur der starke Wille. Jedenfalls aber ich begann Dich zu interessieren. Ich sp?rte, dass Du, w?hrend wir gingen, von der Seite her w?hrend des Gespr?ches mich irgendwie erstaunt mustertest[54]. Der Neugierige in Dir war wach, und ich merkte wie Du nach dem Geheimnis tasten wolltest. Aber ich wollte lieber t?richt erscheinen als Dir mein Geheimnis verraten. Wir gingen zu Dir hinauf.

Verzeih, Geliebter, wenn ich Dir sage, dass Du es nicht verstehen kannst, was dieser Gang, diese Treppe f?r mich waren, fast t?dliches Gl?ck. Die ganze Kindheit, meine ganze Leidenschaft, da nistete sie ja in diesen paar Metern Raum, hier war mein ganzes Leben, und jetzt fiel es nieder auf mich wie ein Sturm, da alles, alles sich erf?llte und ich ging mit Dir in unserem Hause. Ich blieb damals die ganze Nacht bei Dir. Du hast es nicht geahnt, dass vordem noch nie ein Mann mich ber?hrt, noch keiner meinen K?rper gef?hlt oder gesehen. Aber wie konntest Du es auch ahnen, Geliebter, denn ich bot Dir ja keinen Widerstand[55], ich unterdr?ckte jedes Z?gern[56] der Scham, nur damit Du nicht das Geheimnis meiner Liebe zu Dir erraten k?nntest.

Am Morgen dr?ngte ich fr?hzeitig schon fort. Ich musste in das Gesch?ft und wollte auch gehen, ehe der Diener k?me: er sollte mich nicht sehen. Als ich angezogen vor Dir stand, nahmst Du mich in den Arm, sahst mich lange an; war es ein Erinnern, dunkel und fern, das in Dir wogte, oder schien ich Dir nur sch?n, begl?ckt, wie ich war? Dann k?sstest du mich auf den Mund. Ich machte mich leise los und wollte gehen. Da fragtest Du: „Willst Du nicht ein paar Blumen mitnehmen?“ Ich sagte ja. Du nahmst vier weisse Rosen aus der blauen Kristallvase am Schreibtisch und gabst sie mir. Tagelang habe ich sie noch gek?sst. Wir hatten zuvor einen andern Abend verabredet. Ich kam, und wieder war es wunderbar. Noch eine dritte Nacht hast Du mir geschenkt. Dann sagtest Du, Du m?sstest verreisen. Ich gab Dir eine Poste restante-Adresse – meinen Namen wollte ich Dir nicht sagen. Ich h?tete mein Geheimnis[57]. Wieder gabst Du mir ein paar Rosen zum Abschied.


Jeden Tag w?hrend zweier Monate fragte ich… aber nein, wozu diese H?llenqual[58] der Erwartung. Ich klage Dich nicht an, ich liebe Dich als den, der Du bist. Du warst l?ngst zur?ck, ich sah es an Deinen erleuchteten Fenstern, und hast mir nicht geschrieben. Ich habe gewartet, ich habe gewartet wie eine verzweifelte[59].

Aber Du hast mich nicht gerufen, keine Zeile hast Du mir geschrieben… keine Zeile…


Mein Kind ist gestern gestorben – es war auch Dein Kind. Es war auch Dein Kind, Geliebter, das Kind einer jener drei N?chte, ich schw?re es Dir, und man l?gt nicht im Schatten des Todes. Es war unser Kind, ich schw?re es Dir, denn kein Mann hat mich ber?hrt von jenen Stunden, da ich mich Dir hingegeben.

Es war unser Kind, Geliebter, das Kind meiner wissenden Liebe und Deiner sorglosen, fast unbewussten Z?rtlichkeit, unser Kind, unser Sohn, unser einziges Kind. Aber Du fragst nun – vielleicht erschreckt, vielleicht bloss erstaunt, – Du fragst nun, mein Geliebter, warum ich dies Kind Dir alle diese langen Jahre verschwiegen und erst heute von ihm spreche! Doch wie h?tte ich es Dir sagen k?nnen? Nie h?ttest Du mir, der Fremden, der allzu Bereitwilligen dreier N?chte geglaubt. Und dann, ich kenne Dich; ich kenne Dich so gut, wie Du kaum selber Dich kennst… Du h?ttest mich – ja, ich weiss es, dass Du es getan h?ttest, wider Deinen eigenen wachen Willen, – Du h?ttest mich gehasst f?r dieses Verbund.

Ich klage Dich nicht an, mein Geliebter, nein, ich klage Dich nicht an. Verzeih mir, wenn mir manchmal ein Tropfen Bitternis in die Feder fliesst.


Ich weiss ja, dass Du gut bist und hilfreich im tiefsten Herzen, Du hilfst jedem, hilfst auch dem Fremdesten, der Dich bittet. Aber Deine G?te ist so sonderbar, aber sie ist – verzeih mir – sie ist tr?ge.[60] Du hilfst, wenn man Dich ruft, Dich bittet, hilfst aus Scham, aus Schw?che und nicht aus Freudigkeit. Einmal, ich war noch ein Kind, sah ich durch das Guckloch an der T?r, wie Du einem Bettler[61] etwas gabst. Du gabst ihm rasch und sogar viel, noch ehe er Dich bat, aber Du reichtest es ihm mit einer gewissen Angst und Hast hin, er m?chte nur bald wieder fortgehen, es war, als h?ttest Du Furcht, ihm ins Auge zu sehen. Diese Deine unruhige, scheue, vor der Dankbarkeit fl?chtende Art des Helfens habe ich nie vergessen. Und deshalb habe ich mich nie an Dich gewandt. Ich weiss, du h?ttest mir damals zur Seite gestanden auch ohne die Gewissheit, es sei Dein Kind, Du h?ttest mich getr?stet, mir Geld gegeben, reichlich Geld, aber immer nur mit der geheimen Ungeduld, das Unbequeme von Dir wegzuschieben.

Aber dieses Kind war alles f?r mich, war es doch von Dir, nochmals Du, aber nun nicht mehr Du, der Gl?ckliche, der Sorglose, den ich nicht zu halten vermochte, sondern Du f?r immer – so meinte ich – mir gegeben, verhaftet in meinem Leibe[62], verbunden in meinem Leben. Nun hatte ich Dich ja endlich gefangen, ich konnte Dich, Dein Leben wachsen sp?ren in meinen Adern[63], Dich tr?nken, Dich liebkosen, Dich k?ssen, wenn mir die Seele danach brannte. Siehst du, Geliebter, darum war ich so selig[64], als ich wusste, dass ich ein Kind von Dir hatte, darum verschwieg ich Dir es: denn nun konntest du mir nicht mehr entfliehen. Geliebter, es waren nicht nur so selige Monate, wie ich sie voraus f?hlte in meinen Gedanken, es waren auch Monate voll Grauen und Qual, voll Ekel vor der Niedrigkeit[65] der Menschen. Ich hatte es nicht leicht. In das Gesch?ft konnte ich w?hrend der letzten Monate nicht mehr gehen, damit es den Verwandten nicht auff?llig werde und sie nicht nach Hause berichteten. Von der Mutter wollte ich kein Geld erbitten – so fristete[66] ich mir mit dem Verkauf von dem bisschen Schmuck, den ich hatte..


Eine Woche vorher wurden mir aus einem Schranke von einer W?scherin die letzten paar Kronen gestohlen, so musste ich in die Geb?rklinik[67]. Dort, wo nur die ganz Armen, die Ausgestossenen und Vergessenen sich in ihrer Not hinschleppen, dort, mitten im Abhub[68] des Elends, dort ist das Kind, Dein Kind geboren worden. Was die Armut an Erniedrigung, an seelischer und k?rperlicher Schande zu ertragen hat, ich habe es dort gelitten an dem Beisammensein[69] mit Dirnen und mit Kranken, die aus der Gemeinsamkeit des Schicksals eine Gemeinheit machten, an der Zynik der jungen ?rzte, die mit einem ironischen L?cheln der Wehrlosen[70] das Betttuch aufstreiften und sie mit falscher Wissenschaftlichkeit antasteten, an der Habsucht[71] der W?rterinnen. Die Tafel mit deinem Namen, das allein bist dort noch du, denn was im Bette liegt, ist bloss ein zuckendes St?ck Fleisch, betastet von Neugierigen, ein Objekt der Schau und des Studierens – ah, sie wissen es nicht, die Frauen, die ihrem Mann, dem z?rtlich wartenden, in seinem Hause Kinder schenken, was es heisst, allein ein Kind zu geb?ren! Und lese ich noch heute in einem Buche das Wort H?lle, so denke ich pl?tzlich wider meinen bewussten Willen an jenen vollgepfropften[72] Saal.

Verzeih, verzeih mir, dass ich davon spreche. Aber nur dieses eine Mal rede ich davon, nie mehr, nie mehr wieder. Elf Jahre habe ich geschwiegen davon, und werde bald stumm sein in alle Ewigkeit: einmal musste ich ausschreien wie teuer ich es erkaufte, dies Kind, das meine Seligkeit war und das nun dort ohne Atem liegt. Ich hatte sie schon vergessen, diese Stunden, l?ngst vergessen im L?cheln, in der Stimme des Kindes, in meiner Seligkeit; aber jetzt, da es tot ist, wird die Qual wieder lebendig, und ich musste sie mir von der Seele schreien, dieses eine Mal. Aber nicht Dich klage ich an, nur Gott, nur Gott, der sie sinnlos machte, diese Qual.


Nicht Dich klage ich an, und nie habe ich mich im Zorn[73] erhoben gegen Dich. Selbst in der Stunde, habe ich Dich nicht angeklagt vor Gott. Immer habe ich Dich geliebt, immer die Stunde gesegnet[74], da Du mir begegnet bist. Und m?sste ich noch einmal durch die H?lle jener Stunden und w?sste vordem, was mich erwartet, ich t?te es noch einmal, mein Geliebter, noch einmal und tausendmal!


Unser Kind ist gestern gestorben – Du hast es nie gekannt. Ich hielt mich lange verborgen[75] vor Dir, sobald ich dies Kind hatte; meine Sehnsucht nach Dir war weniger schmerzhaft geworden, ja ich glaube, ich liebte Dich weniger leidenschaftlich, zumindest litt ich nicht so an meiner Liebe, seit es mir geschenkt war. Ich wollte mich nicht zerteilen zwischen Dir und ihm; so gab ich mich nicht an Dich, den Gl?cklichen, sondern an dies Kind, das mich brauchte, das ich n?hren[76] musste, das ich k?ssen konnte und umfangen. Ich schien gerettet vor meiner Unruhe nach Dir, gerettet durch dies Dein anderes Du.


Nur eines tat ich: zu Deinem Geburtstag sandte ich Dir immer ein B?ndel weisse Rosen, genau dieselben, wie Du sie mir damals geschenkt nach unserer ersten Liebesnacht. Hast Du je in diesen zehn, in diesen elf Jahren Dich gefragt, wer sie sandte? Hast Du Dich vielleicht an die erinnert, der Du einst solche Rosen geschenkt? Ich weiss es nicht und werde Deine Antwort nicht wissen. Nur aus dem Dunkel sie Dir hinzureichen, einmal im Jahre die Erinnerung aufbl?hen zu lassen an jene Stunde – das war mir genug.

Du hast es nie gekannt, unser armes Kind – heute klage ich mich an, dass ich es Dir verbarg, denn du h?ttest es geliebt. Nie hast Du ihn gekannt, den armen Knaben, nie ihn l?cheln gesehen, wenn er leise die Lider aufhob und dann mit seinen dunklen klugen Augen – Deinen Augen! – ein helles, frohes Licht warf ?ber mich, ?ber die ganze Welt. Er wurde immer mehr Du; schon begann sich auch in ihm jene Zweif?ltigkeit von Ernst und Spiel, die Dir eigen ist, sichtbar zu entfalten, und je ?hnlicher er Dir ward, desto mehr liebte ich ihn. Er hat gut gelernt, er plauderte Franz?sisch wie eine kleine Elster[77], seine Hefte waren die saubersten der Klasse, und wie h?bsch war er dabei, wie elegant in seinem schwarzen Samtkleid oder dem weissen Matrosen J?ckchen. Immer war er der Eleganteste von allen, wohin er auch kam; in Grado am Strande, wenn ich mit ihm ging, blieben die Frauen stehen und streichelten sein langes blondes Haar. Er war so h?bsch, so zart, so zutunlich: als er im letzten Jahre ins Internat des Theresianums kam, trug er seine Uniform und den kleinen Degen wie ein Page aus dem achtzehnten Jahrhundert – nun hat er nichts als sein Hemdchen an, der Arme, der dort liegt mit blassen Lippen und eingefalteten H?nden.


Aber Du fragst mich vielleicht, wie ich das Kind so im Luxus erziehen konnte, wie ich es vermochte, ihm dies helle Leben der oberen Welt zu verg?nnen. Liebster, ich spreche aus dem Dunkel zu Dir; ich habe keine Scham, ich will es Dir sagen, aber erschrick nicht, Geliebter – ich habe mich verkauft. Ich hatte reiche Freunde, reiche Geliebte: zuerst suchte ich sie, dann suchten sie mich, denn ich war – hast Du es je bemerkt? – sehr sch?n. Verachtest[78] Du mich nun, weil ich Dir es verriet, dass ich mich verkauft habe? Nein, ich weiss, Du verachtest mich nicht, ich weiss, Du verstehst alles und wirst auch verstehen, dass ich es nur f?r Dich getan, f?r Dein anderes Ich, f?r Dein Kind. Ich hatte einmal in jener Stube der Geb?rklinik an das Entsetzliche der Armut ger?hrt, ich wusste, dass in dieser Welt der Arme immer der Getretene, das Opfer ist, und ich wollte nicht, um keinen Preis, dass Dein Kind, Dein helles, sch?nes Kind da tief unten aufwachsen sollte im Dumpfen, im Gemeinen der Gasse, in der verpesteten Luft eines Hinterhausraumes. Sein zarter Mund sollte nicht die Sprache des Rinnsteins[79] kennen – Dein Kind sollte alles haben, allen Reichtum, alle Leichtigkeit der Erde, es sollte wieder aufsteigen zu Dir, in Deine Sph?re des Lebens. Darum, nur darum, mein Geliebter, habe ich mich verkauft. Es war kein Opfer f?r mich, denn was man gemeinhin Ehre und Schande nennt, das war mir wesenlos: Du liebtest mich nicht, Du, der Einzige, dem mein Leib geh?rte, so f?hlte ich es als gleichg?ltig, was sonst mit meinem K?rper geschah. Alle M?nner die ich kannte, waren gut zu mir, alle haben mich verw?hnt, alle achteten sie mich. Da war vor allem einer, ein ?lterer, verwitweter Reichsgraf, derselbe, der sich die F?sse wundstand[80] an den T?ren, um die Aufnahme des vaterlosen Kindes, Deines Kindes, im Theresianum durchzudr?cken – der liebte mich wie eine Tochter. Dreimal, viermal machte er mir den Antrag, mich zu heiraten – ich k?nnte heute Gr?fin sein, Herrin auf einem zauberischen Schloss in Tirol, k?nnte sorglos sein, denn das Kind h?tte einen z?rtlichen Vater gehabt, der es verg?tterte, und ich einen stillen, vornehmen, g?tigen Mann an meiner Seite – ich habe es nicht getan, so sehr, so oft er auch dr?ngte, so sehr ich ihm wehe tat mit meiner Weigerung[81].


Vielleicht war es eine Torheit[82], denn sonst lebte ich jetzt irgendwo still und geborgen, und dies Kind, das geliebte, mit mir, aber – warum soll ich Dir es nicht gestehen – ich wollte mich nicht binden, ich wollte Dir frei sein in jeder Stunde. Innen im Tiefsten, im Unbewussten meines Wesens lebte noch immer der alte Kindertraum, Du w?rdest vielleicht noch einmal mich zu Dir rufen, sei es nur f?r eine Stunde lang. Und f?r diese eine m?gliche Stunde habe ich alles weggestossen, nur um Dir frei zu sein f?r Deinen ersten Ruf. Was war mein ganzes Leben seit dem Erwachen aus der Kindheit denn anders als ein Warten, ein Warten auf Deinen Willen!


Und diese Stunde, sie ist wirklich gekommen. Aber Du weisst sie nicht, Du ahnst sie nicht, mein Geliebter! Auch in ihr hast Du mich nicht erkannt – nie, nie, nie hast du mich erkannt! Ich war Dir ja schon fr?her oft begegnet, in den Theatern, in den Konzerten, im Prater, auf der Strasse – jedes Mal zuckte mir das Herz, aber Du sahst an mir vorbei: ich war ja ?usserlich eine ganz andere, aus dem scheuen Kinde war eine Frau geworden, sch?n, wie sie sagten, in kostbare Kleider geh?llt, umringt von Verehrern: wie konntest Du in mir jenes sch?chterne M?dchen im d?mmerigen[83] Licht Deines Schlafraumes vermuten! Manchmal gr?sste Dich einer der Herren, mit denen ich ging. Du danktest und sahst auf zu mir: aber Dein Blick war h?fliche Fremdheit, aber nie erkennend, entsetzlich fremd. Einmal, ich erinnere mich noch, ward mir dieses Nichterkennen, an das ich fast schon gewohnt war, zu brennender Qual: ich sass in einer Loge der Oper mit einem Freunde und Du in der Nachbarloge. Die Lichter erloschen bei der Ouvert?re, ich konnte Dein Antlitz nicht mehr sehen, nur Deinen Atem f?hlte ich so nah neben mir, wie damals in jener Nacht, und auf der samtenen[84] Br?stung der Abteilung unserer Logen lag Deine Hand aufgest?tzt. Und unendlich ?berkam mich das Verlangen[85], mich niederzubeugen und diese fremde, diese so geliebte Hand zu k?ssen, deren z?rtliche Umfassung ich einst gef?hlt. Um mich wogte aufw?hlend die Musik, immer leidenschaftlicher wurde das Verlangen, ich musste mich ankrampfen, mich gewaltsam aufreissen, so gewaltsam zog es meine Lippen hin zu Deiner geliebten Hand. Nach dem ersten Akt bat ich meinen Freund, mit mir fortzugehen. Ich ertrug es nicht mehr, Dich so fremd und so nah neben mir zu haben im Dunkel. Aber die Stunde kam, sie kam noch einmal, ein letztes Mal in mein versch?ttetes Leben. Fast genau vor einem Jahr ist es gewesen, am Tage nach Deinem Geburtstage. Seltsam: ich hatte alle die Stunden an Dich gedacht, denn Deinen Geburtstag, ihn feierte ich immer wie ein Fest. Ganz fr?hmorgens schon war ich ausgegangen und hatte die weissen Rosen gekauft, die ich Dir wie allj?hrlich senden liess zur Erinnerung an eine Stunde, die Du vergessen hattest. Nachmittags fuhr ich mit dem Buben aus, f?hrte ihn zu Demel in die Konditorei und abends ins Theater, ich wollte, auch er sollte diesen Tag, ohne seine Bedeutung zu wissen, irgendwie als einen mystischen Feiertag von Jugend her empfinden. Am n?chsten Tage war ich dann mit meinem damaligen Freunde, einem jungen, reichen Br?nner Fabrikanten, mit dem ich schon seit zwei Jahren zusammenlebte, der mich verg?tterte, verw?hnte und mich ebenso heiraten wollte wie die andern und dem ich mich ebenso scheinbar grundlos verweigerte wie den andern, obwohl er mich und das Kind mit Geschenken ?bersch?ttete und selbst liebenswert war in seiner ein wenig dumpfen G?te. Wir gingen zusammen in ein Konzert, trafen dort heitere Gesellschaft, soupierten in einem Ringstrassenrestaurant, und dort, mitten im Lachen und Schw?tzen[86], machte ich den Vorschlag, noch in ein Tanzlokal, in den Tabarin, zu gehen. Mir waren diese Art Lokale mit ihrer systematischen und alkoholischen Heiterkeit wie jede „Drahrerei“ sonst immer widerlich, und ich wehrte mich sonst immer gegen derlei Vorschl?ge, diesmal aber – es war wie eine unergr?ndliche magische Macht in mir, die mich pl?tzlich unbewusst den Vorschlag mitten in die freudig zustimmende Erregung der andern werfen liess – hatte ich pl?tzlich ein unerkl?rliches Verlangen, als ob dort irgendetwas Besonderes mich erwarte. Gewohnt, mir gef?llig[87] zu sein, standen alle rasch auf, wir gingen hin?ber, tranken Champagner, und in mich kam mit einem Mal eine fast schmerzhafte Lustigkeit, wie ich sie nie gekannt. Ich trank und trank, sang die kitschigen Lieder mit und hatte fast den Zwang, zu tanzen oder zujubeln. Aber pl?tzlich – mir war, als h?tte etwas Kaltes oder etwas Gl?hendheisses sich mir j?h aufs Herz gelegt – riss es mich auf: am Nachbartisch sassest Du mit einigen Freunden und sahst mich an mit einem bewundernden und begehrenden[88] Blick. Zum ersten Mal seit zehn Jahren sahst Du mich wieder an mit der ganzen unbewusst-leidenschaftlichen Macht Deines Wesens.


Ich zitterte. Fast w?re mir das erhobene Glas aus den H?nden gefallen. Gl?cklicherweise merkten die Tischgenossen nicht meine Verwirrung: sie verlor sich in dem Dr?hnen von Gel?chter und Musik. Immer brennender wurde Dein Blick und tauchte mich ganz in Feuer. Ich wusste nicht: hattest Du mich endlich, endlich erkannt, oder begehrtest Du mich neu, als eine andere, als eine Fremde? Das Blut flog mir in die Wangen[89], zerstreut antwortete ich den Tischgenossen: Du musstest es merken, wie verwirrt ich war von Deinem Blick. Unmerklich f?r die ?brigen machtest Du mit einer Bewegung des Kopfes ein Zeichen, ich m?chte f?r einen Augenblick hinauskommen in den Vorraum. Dann zahltest Du ostentativ, nahmst Abschied von Deinen Kameraden und gingst hinaus, nicht ohne zuvor noch einmal angedeutet zu haben, dass Du draussen auf mich warten w?rdest. Ich zitterte wie im Frost, wie im Fieber, ich konnte nicht mehr Antwort geben, nicht mehr mein aufgejagtes Blut beherrschen. Zuf?lligerweise begann gerade in diesem Augenblick ein Negerpaar mit knatternden Abs?tzen und schrillen Schreien einen absonderlichen[90] neuen Tanz: alles starrte ihnen zu, und diese Sekunde n?tzte ich. Ich stand auf, sagte meinem Freunde, dass ich gleich zur?ckk?me, und ging Dir nach.


Draussen im Vorraum vor der Garderobe standest Du, mich erwartend: Dein Blick ward hell, als ich kam. L?chelnd eiltest Du mir entgegen; ich sah sofort, Du erkanntest mich nicht, erkanntest nicht das Kind von einst und nicht das M?dchen, noch einmal grifffest Du nach mir als einem Neuen, einem Unbekannten. „Haben Sie auch f?r mich einmal eine Stunde?“ fragtest Du vertraulich – ich f?hlte an der Sicherheit Deiner Art, Du nahmst mich f?r eine dieser Frauen, f?r die K?ufliche eines Abends. „Ja“, sagte ich, dasselbe zitternde und doch selbstverst?ndliche einwilligende Ja, das Dir das M?dchen vor mehr als einem Jahrzehnt auf der d?mmernden Strasse gesagt. „Und wann k?nnten wir uns sehen?“ fragtest Du. „Wann immer Sie wollen“, antwortete ich – vor Dir hatte ich keine Scham. Du sahst mich ein wenig verwundert an, mitderselben misstrauisch-neugierigen Verwunderung wie damals, als Dich gleichfalls die Raschheit meines Einverst?ndnisses erstaunt hatte. „K?nnten Sie jetzt?“ fragtest Du, ein wenig z?gernd[91]. „Ja“, sagte ich, „gehen wir.“


Ich wollte zur Garderobe, meinen Mantel holen. Da fiel mir ein, dass mein Freund den Garderobenzettel hatte f?r unsere gemeinsam abgegebenen M?ntel. Zur?ckzugehen und ihn verlangen, w?re ohne umst?ndliche Begr?ndung nicht m?glich gewesen, anderseits die Stunde mit Dir preisgeben, die seit Jahren ersehnte, dies wollte ich nicht. So habe ich keine Sekunde gez?gert: ich nahm nur den Schal ?ber das Abendkleid und ging hinaus in die nebelfeuchte Nacht, ohne mich um den guten, z?rtlichen Menschen zu k?mmern, von dem ich seit Jahren lebte zu einem, dem seine Geliebte nach Jahren wegl?uft auf den ersten Pfiff eines fremden Mannes.


Oh, ich war mir ganz der Niedrigkeit, der Undankbarkeit, der Sch?ndlichkeit, die ich gegen einen ehrlichen Freund beging, im Tiefsten bewusst. Ich f?hlte, dass ich l?cherlich handelte und mit meinem Wahn einen g?tigen Menschen f?r immer t?dlich kr?nkte. Ich f?hlte, dass ich mein Leben mitten entzweiriss[92] – aber was war mir Freundschaft, was meine Existenz gegen die Ungeduld, wieder einmal Deine Lippen zu f?hlen, Dein Wort weich gegen mich gesprochen zu h?ren. So habe ich Dich geliebt, nun kann ich es Dir sagen, da alles vorbei ist und vergangen. Und ich glaube, riefest Du mich von meinem Sterbebette, so k?me mir pl?tzlich die Kraft, aufzustehen und mit Dir zu gehen.


Ein Wagen stand vor dem Eingang, wir fuhren zu Dir. Ich h?rte wieder Deine Stimme, ich f?hlte Deine z?rtliche N?he und war genau so bet?ubt, so kindisch-selig verwirrt wie damals. Wie stieg ich, nach mehr als zehn Jahren, zum ersten Mal wieder die Treppe empor – nein, nein, ich kann Dir es nicht schildern, wie ich alles immer doppelt f?hlte in jenen Sekunden, vergangene Zeit und Gegenwart, und in allem und allem immer nur Dich.


In Deinem Zimmer war weniges anders, ein paar Bilder mehr, und mehr B?cher, da und dort fremde M?bel, aber alles doch gr?sste mich vertraut. Und am Schreibtisch stand die Vase mit den Rosen darin – mit meinen Rosen, die ich Dir tags vorher zu Deinem Geburtstag geschickt als Erinnerung an eine, an die Du Dich doch nicht erinnertest, die Du doch nicht erkanntest, selbst jetzt, da sie Dir nahe war, Hand in Hand und Lippe an Lippe. Aber doch: es tat mir wohl, dass Du die Blumen hegtest[93]: so war doch ein Hauch[94] meines Wesens, ein Atem meiner Liebe um Dich.


Du nahmst mich in Deine Arme. Wieder blieb ich bei Dir eine ganze herrliche Nacht. Aber auch im nackten Leibe erkanntest Du mich nicht. Selig erlitt ich Deine wissenden Z?rtlichkeiten und sah, dass Deine Leidenschaft keinen Unterschied macht zwischen einer Geliebten und einer K?uflichen. Du warst so z?rtlich und lind[95] zu mir, der vom Nachtlokal Geholten, so vornehm und so herzlich-achtungsvoll und doch gleichzeitig so leidenschaftlich im Geniessen der Frau. Wieder f?hlte ich diese einzige Zweiheit Deines Wesens, die wissende, die geistige Leidenschaft in der sinnlichen, die schon das Kind Dir h?rig gemacht. Nie habe ich bei einem Manne in der Z?rtlichkeit solche Hingabe an den Augenblick gekannt – freilich um dann hinzul?schen in eine fast unmenschliche Vergesslichkeit.


Aber auch ich vergass mich selbst. Wer war ich nun im Dunkel neben Dir? War ich, das brennende Kind von einst, war ich, die Mutter Deines Kindes, war ich, die Fremde? Ach, es war so vertraut, so erlebt alles, und alles wieder so rauschend neu in dieser leidenschaftlichen Nacht. Und ich betete, sie m?chte kein Ende nehmen[96].


Aber der Morgen kam, wir standen sp?t auf, Du ladest mich ein, noch mit Dir zu fr?hst?cken. Wir tranken zusammen den Tee und plauderten. Wieder sprachst Du mit der ganzen offenen, herzlichen Vertraulichkeit Deines Wesens zu mir und wieder ohne alle indiskreten Fragen, ohne alle Neugier nach dem Wesen, das ich war. Du fragtest nicht nach meinem Namen, nicht nach meiner Wohnung: ich war Dir wiederum nur das Abenteuer, das Namenlose, die heisse Stunde, die im Rauch des Vergessens spurlos sich l?st.


Du erz?hltest, dass Du jetzt weit weg reisen wolltest, nach Nordafrika f?r zwei oder drei Monate: ich zitterte mitten in meinem Gl?ck, denn schon h?mmerte es mir in den Ohren: vorbei, vorbei und vergessen! Am liebsten w?re ich hin zu Deinen Knien gest?rzt und h?tte geschrien: „Nimm mich mit, damit Du mich endlich erkennst, endlich, endlich nach so vielen Jahren!“ Aber ich war ja so scheu, so schwach vor Dir. Ich konnte nur sagen: „Wie schade.“ Du sahst mich l?chelnd an: „Ist es Dir wirklich leid?“ Da fasste es mich wie eine pl?tzliche Wildheit[97]. Ich stand auf, sah Dich an, lange und fest. Dann sagte ich: „Der Mann, den ich liebte, ist auch immer weggereist.“ Ich sah Dich an, mitten in den Stern Deines Auges. „Jetzt, jetzt wird er mich erkennen!“ zitterte alles in mir. Aber Du l?cheltest mir entgegen und sagtest tr?stend: „Man kommt ja wieder zur?ck.“

„Ja“, antwortete ich, „man kommt zur?ck, aber dann hat man vergessen.“


Es muss etwas Absonderliches[98], etwas Leidenschaftliches in der Art gewesen sein, wie ich Dir das sagte. Denn auch Du st?ndest auf und sahst mich an, verwundert und sehr liebevoll. Du nahmst mich bei den Schultern. „Was gut ist, vergisst sich nicht, Dich werde ich nicht vergessen“, sagtest Du, und dabei senkte sich Dein Blick ganz in mich hinein, als wollte er dies Bild sich festpr?gen. Und wie ich diesen Blick in mich eindringen f?hlte, da glaubte ich endlich, endlich den Bann der Blindheit gebrochen. Er wird mich erkennen, er wird mich erkennen! Meine ganze Seele zitterte in dem Gedanken.


Aber Du erkanntest mich nicht. Nein, Du erkanntest mich nicht, nie war ich Dir fremder jemals als in dieser Sekunde, denn sonst – sonst h?ttest Du nie tun k?nnen, was Du wenige Minuten sp?ter t?test. Du hast mich gek?sst, noch einmal leidenschaftlich gek?sst. Ich musste mein Haar, das sich verwirrt hatte, wieder zurechtrichten, und w?hrend ich vor dem Spiegel stand, da sah ich durch den Spiegel – und ich glaubte hinsinken zu m?ssen vor Scham und Entsetzen – da sah ich, wie Du in diskreter Art ein paargr?ssere Banknoten in meinen Muff schobst. Wie habe ich vermocht, nicht aufzuschreien, Dir nicht ins Gesicht zu schlagen in dieser Sekunde – mich, die ich Dich liebte von Kindheit an, die Mutter Deines Kindes, mich zahltest Du f?r diese Nacht! Eine Dirne aus dem Tabarin war ich Dir, nicht mehr – bezahlt, bezahlt hast Du mich! Es war nicht genug, von Dir vergessen zu werden, ich musste noch erniedrigt sein.


Ich tastete rasch nach meinen Sachen. Ich wollte fort, rasch fort. Es tat mir zu weh. Ich griff nach meinem Hut, er lag auf dem Schreibtisch neben der Vase mit den weissen Rosen, meinen Rosen. Da erfasste es mich m?chtig, unwiderstehlich: noch einmal wollte ich es versuchen, Dich zu erinnern. „M?chtest Du mir nicht von Deinen weissen Rosen eine geben?“ „Gern“, sagtest Du und nahmst sie sofort. „Aber sie sind Dir vielleicht von einer Frau gegeben, von einer Frau, die Dich liebt?“ sagte ich. „Vielleicht“, sagtest Du, „ich weiss es nicht. Sie sind mir gegeben, und ich weiss nicht von wem; darum liebe ich sie so.“ Ich sah Dich an. „Vielleicht sind sie auch von einer, die Du vergessen hast!“ Du blicktest erstaunt. Ich sah Dich fest an. „Erkenne mich, erkenne mich endlich!“ schrie mein Blick. Aber Dein Auge l?chelte freundlich und unwissend. Du k?sstest mich noch einmal. Aber Du erkanntest mich nicht.


Ich ging rasch zur T?r, denn ich sp?rte, dass mir Tr?nen in die Augen schossen, und das solltest Du nicht sehen. Im Vorzimmer – so hastig war ich hinausgeeilt – stiess ich mit Johann, Deinem Diener, fast zusammen. Scheu und eilfertig[99] sprang er zur Seite, riss die Haust?r auf, um mich hinauszulassen, und da – in dieser einen, h?rst Du? in dieser einen Sekunde, da ich ihn ansah, mit tr?nenden Augen ansah, den gealterten Mann, da zuckte ihm pl?tzlich ein Licht in den Blick.

In dieser einen Sekunde, h?rst Du? in dieser einen Sekunde, hat der alte Mann mich erkannt, der mich seit meiner Kindheit nicht gesehen. Ich h?tte hinknien k?nnen vor ihm f?r dieses Erkennen und ihm die H?nde k?ssen. So riss ich nur die Banknoten, mit denen Du mich gegeisselt, rasch aus dem Muff und steckte sie ihm zu. Er zitterte, sah erschreckt zu mir auf – in dieser Sekunde hat er vielleicht mehr geahnt von mir als Du in Deinem ganzen Leben. Alle, alle Menschen haben mich verw?hnt, alle waren zu mir g?tig – nur Du, nur Du, Du hast mich vergessen, nur Du, nur Du hast mich nie erkannt!

Mein Kind ist gestorben, unser Kind – jetzt habe ich niemanden mehr in der Welt, ihn zu lieben, als Dich. Aber wer bist Du mir, Du, der Du mich niemals, niemals erkennst, der an mir vor?bergeht wie an einem Wasser, der auf mich tritt wie auf einen Stein, der immer geht und weiter geht und mich l?sst in ewigem Warten? Einmal vermeinte ich Dich zu halten, Dich, den Fl?chtigen[100], in dem Kinde. Aber es war Dein Kind: ?ber Nacht ist es grausam von mir gegangen, eine Reise zu tun, es hat mich vergessen und kehrt nie zur?ck. Ich bin wieder allein, mehr allein als jemals, nichts habe ich, nichts von Dir – kein Kind mehr, kein Wort, keine Zeile, kein Erinnern, und wenn jemand meinen Namen nennen w?rde vor Dir, Du h?rtest an ihm fremd vorbei. Warum soll ich nicht gerne sterben, da ich Dir tot bin, warum nicht weitergehen, da Du von mir gegangen bist? Nein, Geliebter, ich klage nicht wider Dich, ich will Dir nicht meinen Jammer hinwerfen in Dein heiteres Haus. F?rchte nicht, dass ich Dich weiter bedr?nge – verzeih mir, ich musste mir einmal die Seele ausschreien in dieser Stunde, da das Kind dort tot und verlassen liegt. Nur dies eine Mal musste ich sprechen zu Dir – dann gehe ich wieder stumm in mein Dunkel zur?ck, wie ich immer stumm neben Dir gewesen. Aber du wirst diesen Schrei nicht h?ren, solange ich lebe – nur wenn ich tot bin, empf?ngst Du dies Verm?chtnis von mir, von einer, die Dich mehr geliebt als alle und die Du nie erkannt, von einer, die immer auf Dich gewartet und die Du nie gerufen. Vielleicht, vielleicht wirst Du mich dann rufen, und ich werde Dir ungetreu sein zum ersten Mal, ich werde Dich nicht mehr h?ren aus meinem Tod: kein Bild lasse ich Dir und kein Zeichen, wie Du mir nichts gelassen; nie wirst Du mich erkennen, niemals. Es war mein Schicksal im Leben, es sei es auch in meinem Tod. Ich will Dich nicht rufen in meiner letzten Stunde, ich gehe fort, ohne dass Du meinen Namen weisst und mein Antlitz. Ich sterbe leicht, denn Du f?hlst es nicht von ferne. T?te es Dir weh, dass ich sterbe, so k?nnte ich nicht sterben.


Ich kann nicht mehr weiter schreiben… mir ist so dumpf im Kopfe… die Glieder tun mir weh, ich habe Fieber… ich glaube, ich werde mich gleich hinlegen m?ssen. Vielleicht ist es bald vorbei, vielleicht ist mir einmal das Schicksal g?tig, und ich muss es nicht mehr sehen, wenn sie das Kind wegtragen… Ich kann nicht mehr schreiben. Leb wohl, Geliebter, leb wohl, ich danke Dir… Es war gut, wie es war, trotz alledem…ich will Dirs danken bis zum letzten Atemzug. Mir ist wohl: ich habe Dir alles gesagt, Du weisst nun, nein, Du ahnst nur, wie sehr ich Dich geliebt, und hast doch von dieser Liebe keine Last[101]. Ich werde Dir nicht fehlen – das tr?stet mich. Nichts wird anders sein in Deinem sch?nen, hellen Leben… ich tue Dir nichts mit meinem Tod… das tr?stet mich, Du Geliebter.

Aber wer… wer wird Dir jetzt immer die weissen Rosen senden zu Deinem Geburtstag? Geliebter, h?re, ich bitte Dich… es ist meine erste und letzte Bitte an Dich… tu mir es zuliebe[102], nimm an jedem Geburtstag – es ist ja Tag, wo man an sich denkt – nimm da Rosen und tu sie in die Vase. Tu’s, Geliebter, tu es so, wie andere einmal im Jahre eine Messe lesen lassen f?r eine liebe Verstorbene. Ich aber glaube nicht an Gott mehr und will keine Messe, ich glaube nur an Dich, ich liebe nur Dich und will nur in Dir noch weiterleben… ach, nur einen Tag im Jahr, ganz, ganz still nur, wie ich neben Dir gelebt… Ich bitte Dich, tu es, Geliebter… es ist meine erste Bitte an Dich und die letzte… ich danke Dir… ich liebe Dich, ich liebe Dich… lebe wohl…


Er legte den Brief aus den zitternden H?nden. Dann sann er lange nach. Verworren[103] tauchte irgendein Erinnern auf an ein nachbarliches Kind, an ein M?dchen, an eine Frau im Nachtlokal, aber ein Erinnern, undeutlich und verworren. Schatten str?mten zu und fort, aber es wurde kein Bild. Er f?hlte Erinnerungen des Gef?hls und erinnerte sich doch nicht. Ihm war, als ob er von all diesen Gestalten getr?umt h?tte, oft und tief getr?umt, aber doch nur getr?umt.


Da fiel sein Blick auf die blaue Vase vor ihm auf dem Schreibtisch. Sie war leer, zum ersten Mal leer seit Jahren an seinem Geburtstag. Er schrak zusammen[104]: ihm war, als sei pl?tzlich eine T?r unsichtbar aufgesprungen, und kalte Zugluft str?me aus anderer Welt in seinen ruhenden Raum. Er sp?rte einen Tod und sp?rte unsterbliche Liebe: innen brach etwas auf in seiner Seele, und er dachte an die Unsichtbare k?rperlos und leidenschaftlich wie an eine ferne Musik.

Der Amokl?ufer

Im M?rz des Jahres 1912 ereignete[105] sich im Hafen von Neapel bei dem Ausladen eines grossen ?berseedampfers ein merkw?rdiger Unfall, ?ber den die Zeitungen umfangreiche, aber sehr phantastisch ausgeschm?ckte[106] Berichte brachten. Obzwar Passagier der „Oceania“, war es mir ebenso wenig wie den anderen m?glich, Zeuge[107] seltsamen Vorfalles zu sein. Es ereignete sich zur Nachtzeit w?hrend des Kohlenladens und der L?schung der Fracht[108], wir aber, um den L?rm zu entgehen, alle an Land gegangen waren und dort in Kaffeeh?usern oder Theatern die Zeit verbrachten. Immerhin meine ich pers?nlich, dass manche Vermutungen, die wirkliche Aufkl?rung jener Szene in sich tragen, und die Ferne der Jahre erlaubt mir wohl, das Vertrauen eines Gespr?ches zu nutzen, das jener seltsamen Episode unmittelbar[109] vorausging.


Als ich in der Schiffsagentur von Kalkutta einen Platz f?r die R?ckreise nach Europa auf der „Oceania“ bestellen wollte, zuckte der Clerk bedauernd die Schultern. Am n?chsten Tage teilte er mir erfreulicherweise mit, er k?nne mir noch einen Platz vormerken, freilich sei es nur eine wenig komfortable Kabine unter Deck und in der Mitte des Schiffes. Ich war schon ungeduldig, heimzukehren. Ich z?gerte nicht lange und liess mir den Platz zuschreiben.


Der Clerk hatte mich richtig informiert. Das Schiff war ?berf?llt und die Kabine schlecht, ein kleiner gepresster, rechteckiger Winkel in der N?he der Dampfmaschine. Die stockende, verdickte Luft roch nach ?l und Mod: nicht f?r einen Augenblick konnte man dem elektrischen Ventilator entgehen. Von unten her ratterte und st?hnte die Maschine, von oben h?rte man unaufh?rlich das schlurfende[110] Hin und Her der Schritte vom Promenadendeck. So fl?chtete[111] ich wieder zur?ck auf Deck, und wie Ambra einatmete ich den s?sslichen weichen Wind, der vom Lande her ?ber die Wellen wehte.


Aber auch das Promenadendeck war voll Enge und Unruhe: es flirrte von Menschen, die mit der flackernden Nervosit?t plaudernd auf und nieder gingen. Das zwitschernde Gesch?ker[112] der Frauen, das rastlos kreisende Wandern tat mir irgendwie weh. Ich hatte eine neue Welt gesehen. Nun wollte ich mir ?bersinnen, zerteilen, ordnen, nachbildend das heiss in den Blick Gedr?ngte gestalten. Aber es war unm?glich, mit sich selbst auf dieser schattenlosen wandernden Schiffsgasse allein zu sein.


Drei Tage lang versuchte ich, sah resigniert[113] auf die Menschen, auf das Meer. Aber das Meer blieb immer dasselbe, blau und leer, nur im Sonnenuntergang pl?tzlich mit allen Farben war es ?bergossen. Und die Menschen kannte ich auswendig nach dreimal vierundzwanzig Stunden. Jedes Gesicht war mir vertraut bis zum ?berdruss, das scharfe Lachen der Frauen reizte, das Streiten zweier nachbarlicher holl?ndischer Offiziere ?rgerte nicht mehr. So blieb nur Flucht: aber die Kabine war heiss und dunstig, im Salon produzierten englische M?dchen ihr schlechtes Klavierspiel. Schliesslich drehte ich entschlossen die Zeitordnung um, tauchte in die Kabine schon nachmittags hinab, nachdem ich mich zuvor mit ein paar Gl?sern Bier bet?ubt, um den Tanzabend zu ?berschlafen.


Als ich aufwachte, war es ganz dunkel und dumpf in dem kleinen Sarg der Kabine. Meine Sinne waren irgendwie bet?ubt: ich brauchte Minuten, um mich an Zeit und Ort zur?ck zu finden. Mitternacht musste jedenfalls schon vorbei sein, denn ich h?rte weder Musik noch den rastlosen Schlurf der Schritte.

Ich tastete empor[114] auf Deck. Es war leer. Der Himmel strahlte. Er war dunkel gegen die Sterne, aber doch: er strahlte; es war, als verh?llte[115] dort ein samtener Vorhang ungeheures Licht. Nie hatte ich den Himmel gesehen wie in dieser Nacht, so strahlend, so stahlblau hart und doch funkelnd, quellend von Licht, das vom Mond verhangen niederschwoll. Gerade aber zu H?upten[116] stand mir das magische Sternbild, das S?dkreuz, mit flimmernden diamantenen N?geln ins Unsichtbare geh?mmert[117].


Ich stand und sah empor: mir war wie in einem Bade, wo Wasser warm von oben fallt. Ich atmete befreit, rein, und sp?rte auf den Lippen wie ein klares Getr?nk die Luft, die weiche, leicht trunken machende Luft, in der Atem von Fr?chten, Duft von fernen Inseln war. Nun, nun zum ersten Mal, seit ich die Planken betreten habe, ?berkam mich die heilige Lust des Tr?umens. So tastete ich weiter, allm?hlich dem Vorderteil des Schiffes zu, ganz geblendet vom Licht, das immer heftiger aus den Gegenst?nden auf mich zu dringen schien. Ich hatte Verlangen, mich irgendwo im Schatten zu vergraben, hingestreckt auf eine Matte, den Glanz nicht an mir zu f?hlen, sondern nur ?ber mir.


Endlich kam ich bis an den Kiel und sah hinab, wie der Bug[118] in das Schwarze stiess und geschmolzenes Mondlicht sch?umend zu beiden Seiten der Schneide aufspr?hte. Und im Schauen verlor ich die Zeit. War es eine Stunde, dass ich so stand, oder waren es nur Minuten: im Auf und Nieder schaukelte mich die ungeheure Wiege[119] des Schiffes ?ber die Zeit hinaus. Ich f?hlte nur, dass in mich M?digkeit kam, die wie eine Wollust[120] war. Ich wollte schlafen, tr?umen und doch nicht weg aus dieser Magie, nicht hinab in meinen Sarg.


Unwillk?rlich[121] ertastete ich mit meinem Fuss unter mir ein B?ndel Taue. Ich setzte mich hin, die Augen geschlossen und doch nicht Dunkels voll, denn ?ber sie, ?ber mich str?mte der silberne Glanz. Unten f?hlte ich die Wasser leise rauschen, ?ber mir mit unh?rbarem Klang den weissen Strom dieser Welt. Ich f?hlte mich selbst nicht mehr, wusste nicht, ob dies Atmen mein eigenes war oder des Schiffes fernpochendes Herz, ich str?mte[122], verstr?mte in diesem ruhelosen Rauschen der mittern?chtigen Welt.

Ein leises, trockenes Husten hart neben mir liess mich auffahren. Ich schrak aus meiner fast schon trunkenen Tr?umerei. Meine Augen, geblendet vom weissen Geleucht ?ber den bislang geschlossenen Lidern[123], tasteten auf: im Schatten der Bordwand gl?nzte etwas wie der Reflex einer Brille, und jetzt gl?hte ein dicker, runder Funke auf, die Glut einer Pfeife. Ich hatte, als ich mich hinsetzte, diesen Nachbarn offenbar nicht bemerkt, der regungslos hier die ganze Zeit gesessen haben musste. Unwillk?rlich, noch dumpf in den Sinnen, sagte ich auf Deutsch: „Verzeihung!“ „Oh, bitte…“ antwortete die Stimme Deutsch aus dem Dunkel.


Ich kann nicht sagen, wie seltsam das war, dies stumme Nebeneinandersitzen im Dunkeln, knapp neben einem, den man nicht sah. Unwillk?rlich hatte ich das Gef?hl, als starre dieser Mensch auf mich, genau wie ich auf ihn starrte: aber so stark war das Licht ?ber uns, dass keiner von keinem mehr sehen konnte als den Umriss im Schatten. Das Schweigen war unertr?glich. Ich w?re am liebsten weggegangen, aber das schien doch zu pl?tzlich. Aus Verlegenheit nahm ich mir eine Zigarette heraus. Das Z?ndholz[124] zischte auf, eine Sekunde lang zuckte Licht ?ber den engen Raum. Ich sah hinter Brillengl?sern ein fremdes Gesicht, das ich nie an Bord gesehen, bei keiner Mahlzeit, bei keinem Gang, und sei es, dass die pl?tzliche Flamme den Augen wehtat, oder war es eine Halluzination: es schien grauenhaft verzerrt und finster[125]. Aber ehe ich Einzelheiten deutlich wahrnahm, schluckte das Dunkel wieder die fl?chtig erhellten Linien fort, nur den Umriss sah ich einer Gestalt, dunkel ins Dunkel gedr?ckt, und manchmal den kreisrunden roten Feuerring der Pfeife im Leeren. Keiner sprach, und dies Schweigen war schw?l[126] und dr?ckend wie die tropische Luft. Endlich ertrug ich nicht mehr. Ich stand auf und sagte h?flich „Gute Nacht“. „Gute Nacht“, antwortete es aus dem Dunkel, eine heisere[127] harte Stimme. Ich stolperte mich m?hsam vorw?rts durch das Takelwerk an den Pfosten[128] vorbei. Da klang ein Schritt hinter mir her, hastig und unsicher. Es war der Nachbar von vordem. Unwillk?rlich blieb ich stehen. Er kam nicht ganz nah heran, durch das Dunkel f?hlte ich ein Irgendetwas von Angst in der Art seines Schrittes.

„Verzeihen Sie“, sagte er dann hastig, „wenn ich eine Bitte an Sie richte. Ich… ich…“ – er stotterte und konnte nicht gleich weitersprechen vor Verlegenheit – „ich… ich habe private… ganz private Gr?nde, mich hier zur?ckzuziehen… ein Trauerfall… ich meide die Gesellschaft an Bord… Ich meine nicht Sie… nein, nein… Ich m?chte nur bitten… Sie w?rden mich sehr verpflichten, wenn Sie zu niemandem an Bord davon sprechen w?rden, dass Sie mich hier gesehen haben… Es sind… sozusagen private Gr?nde, die mich jetzt hindern, unter die Leute zu gehen… ja… nun… es w?re mir peinlich, wenn Sie davon Erw?hnung[129] t?ten, dass jemand hier nachts… dass ich…“ Das Wort blieb ihm wieder stecken, ich beseitigte rasch seine Verwirrung, indem ich ihm eiligst zusicherte, seinen Wunsch zu erf?llen. Wir reichten einander die H?nde. Dann ging ich in meine Kabine zur?ck und schlief einen dumpfen und von Bildern verwirrten Schlaf.

Ich hielt mein Versprechen und erz?hlte niemandem an Bord von der seltsamen Begegnung, obzwar die Versuchung keine geringe war. Denn auf einer Seereise wird das Kleinste zum Geschehnis, ein Segel am Horizont, ein Delphin, der aufspringt, ein neu entdeckter Flirt, ein fl?chtiger Scherz. Dabei qu?lte mich die Neugier, mehr von diesem ungew?hnlichen Passagier zu wissen: ich durchforschte die Schiffsliste nach einem Namen, der ihm zugeh?ren konnte, ich musterte die Leute, ob sie zu ihm in Beziehung stehen k?nnten: den ganzen Tag bem?chtigte sich meiner eine nerv?se Ungeduld, und ich wartete eigentlich nur auf den Abend, ob ich ihm wieder begegnen w?rde. R?tselhafte psychologische Dinge haben ?ber mich eine geradezu beunruhigende Macht, es reizt mich bis ins Blut, Zusammenh?nge aufzusp?ren, und sonderbare Menschen k?nnen mich durch ihre blosse Gegenwart zu einer Leidenschaft des Erkennenwollens entz?nden, die nicht viel geringer ist als jene des Besitzenwollens bei einer Frau.


Ich legte mich fr?h ins Bett: ich wusste, ich w?rde um Mitternacht aufwachen. Und wirklich: ich erwachte um die gleiche Stunde wie gestern. Auf dem Radiumzifferblatt der Uhr deckten sich die beiden Zeiger in einem leuchtenden Strich. Hastig stieg ich aus der schw?len Kabine in die noch schw?lere Nacht. Die Sterne strahlten wie gestern und sch?tteten ein diffuses Licht ?ber das zitternde Schiff, hoch oben flammte das Kreuz des S?dens. Alles war wie gestern.


Er sass also dort. Unwillk?rlich schreckte ich zur?ck und blieb stehen. Im n?chsten Augenblick w?re ich gegangen. Da regte es sich dr?ben im Dunkel, etwas stand auf, tat zwei Schritte, und pl?tzlich h?rte ich knapp vor mir seine Stimme, h?flich und gedr?ckt.


„Verzeihen Sie“, sagte er, „Sie wollen offenbar wieder an Ihren Platz, und ich habe das Gef?hl, Sie fl?chteten zur?ck, als Sie mich sahen. Bitte, setzen Sie sich nur hin, ich gehe schon wieder“. Ich eilte, ihm meinerseits zu sagen, dass er nur bleiben solle, ich sei bloss zur?ckgetreten, um ihn nicht zu st?ren. „Mich st?ren Sie nicht“, sagte er mit einer gewissen Bitterkeit, „im Gegenteil, ich bin froh, einmal nicht allein zu sein. Seit zehn Tagen habe ich kein Wort gesprochen… eigentlich seit Jahren nicht… Ich kann nicht mehr in der Kabine sitzen, in diesem… diesem Sarg… ich kann nicht mehr… und die Menschen ertrage ich wieder nicht, weil sie den ganzen Tag lachen… Das kann ich nicht ertragen jetzt… ich h?re es hinein bis in die Kabine und stopfe mir die Ohren zu… freilich, sie wissen eben nicht, was geht das die Fremden an…“


Er stockte wieder. Und sagte dann ganz pl?tzlich und hastig: „Aber ich will Sie nicht bel?stigen… verzeihen Sie meine Geschw?tzigkeit[130].“

Er verbeugte sich und wollte fort. Aber ich widersprach ihm dringlich. „Sie bel?stigen mich durchaus nicht. Auch ich bin froh, hier ein paar stille Worte zu haben… Nehmen Sie eine Zigarette?“ Er nahm eine. Ich z?ndete an. Wieder riss sich das Gesicht flackernd vom schwarzen Bordrand los, aber jetzt voll mir zugewandt: die Augen hinter der Brille forschten[131] in mein Gesicht. Ein Grauen ?berlief mich. Ich sp?rte, dass dieser Mensch sprechen wollte, sprechen musste. Und ich wusste, dass ich schweigen m?sse, um ihm zu helfen.


Wir setzten uns wieder. Er hatte einen zweiten Deckchair dort, den er mir anbot. Unsere Zigaretten funkelten, und an der Art, wie der Lichtring, der seinen unruhig im Dunkel zitterte, sah ich, dass seine Hand bebte[132]. Aber ich schwieg, und er schwieg. Dann fragte pl?tzlich seine Stimme leise: „Sind Sie sehr m?de?“

„Nein, durchaus nicht.“ Die Stimme aus dem Dunkel z?gerte wieder. „Ich m?chte Sie gerne um etwas fragen… das heisst, ich m?chte Ihnen etwas erz?hlen. Ich weiss, ich weiss genau, wie absurd das ist, mich an den ersten zu wenden, der mir begegnet, aber… ich bin… ich bin in einer furchtbaren psychischen Verfassung… ich bin an einem Punkt, wo ich unbedingt mit jemandem sprechen muss… ich gehe sonst zugrunde… Sie werden das schon verstehen, wenn ich… ja, wenn ich Ihnen eben erz?hle… Ich weiss, dass Sie mir nicht werden helfen k?nnen… aber ich bin irgendwie krank von diesem Schweigen… und ein Kranker ist immer l?cherlich f?r die andern…“


Ich unterbrach ihn und bat ihn, sich doch nicht zu qu?len. Er m?ge mir nur erz?hlen… ich k?nne ihm nat?rlich nichts versprechen, aber man habe doch die Pflicht, seine Bereitwilligkeit anzubieten. Wenn man jemanden in einer Bedr?ngnis[133] sehe, da ergebe sich doch nat?rlich die Pflicht zu helfen… „Die Pflicht… seine Bereitwilligkeit anzubieten… die Pflicht, den Versuch zu machen… Sie meinen also auch, Sie auch, man habe die Pflicht… die Pflicht, seine Bereitwilligkeit anzubieten.“ Dreimal wiederholte er den Satz. War dieser Mensch wahnsinnig? War er betrunken?

Aber als ob ich die Vermutung laut mit den Lippen ausgesprochen h?tte, sagte er pl?tzlich mit einer ganz andern Stimme: „Sie werden mich vielleicht f?r irr halten oder f?r betrunken. Nein, das bin ich nicht – noch nicht. Nur das Wort, das Sie sagten, hat mich so merkw?rdig ber?hrt… so merkw?rdig, weil es gerade das ist, was mich jetzt qu?lt, n?mlich ob man die Pflicht hat… die Pflicht…“ Er begann wieder zu stottern. Dann brach er kurz ab und begann mit einem neuen Ruck.


„Ich bin n?mlich Arzt. Und da gibt es oft solche F?lle, solche verh?ngnisvolle[134]… ja, sagen wir Grenzf?lle, wo man nicht weiss, ob man die Pflicht hat… n?mlich, es gibt ja nicht nur eine Pflicht, die gegen den andern, sondern eine f?r sich selbst und eine f?r den Staat und eine f?r die Wissenschaft… Man soll helfen, nat?rlich, dazu ist man doch da… aber solche Maximen sind immer nur theoretisch… Wie weit soll man denn helfen?… Da sind Sie, ein fremder Mensch, und ich bin Ihnen fremd, und ich bitte Sie, zu schweigen dar?ber, dass Sie mich gesehen haben… gut, Sie schweigen, Sie erf?llen diese Pflicht… Ich bitte Sie, mit mir zu sprechen, weil ich krepiere[135] an meinem Schweigen… Sie sind bereit, mir zuzuh?ren… gut… Aber das ist ja leicht… Wenn ich Sie aber bitten w?rde, mich zu packen und ?ber Bord zu werfen… da h?rt sich doch die Hilfsbereitschaft auf. Irgendwo endet doch… dort, wo man anf?ngt mit seinem eigenen Leben, seiner eigenen Verantwortung… irgendwo muss es doch enden… irgendwo muss diese Pflicht doch aufh?ren… Oder vielleicht soll sie gerade beim Arzt nicht aufh?ren d?rfen? Muss der ein Heiland[136] sein, bloss weil er ein Diplom in lateinischen Worten hat, muss der wirklich sein Leben hinwerfen und sich Wasser ins Blut sch?tten, wenn irgendeine… irgendeiner kommt und will, dass er edel sei, hilfreich und gut? Ja, irgendwo h?rt die Pflicht auf… dort, wo man nicht mehr kann, gerade dort…“ Er hielt wieder inne und riss sich auf.


„Verzeihen Sie… ich rede gleich so erregt… aber ich bin nicht betrunken… noch nicht betrunken… auch das kommt jetzt oft bei mir vor, ich gestehe es Ihnen ruhig ein, in dieser h?llischen Einsamkeit… Bedenken Sie, ich habe sieben Jahre fast nur zwischen Eingeborenen[137] und Tieren gelebt… da verlernt man das ruhige Reden…. Aber warten Sie… ja, ich weiss schon… ich wollte Sie fragen, wollte Ihnen so einen Fall vorlegen, ob man die Pflicht habe zu helfen… so ganz engelhaft rein zu helfen, ob man… ?brigens ich f?rchte, es wird lang werden. Sind Sie wirklich nicht m?de?“


„Nein, durchaus nicht.“


„Also… ich m?chte Ihnen einen Fall erz?hlen. Nehmen Sie an, ein Arzt in einer… einer kleineren Stadt… oder eigentlich am Lande… ein Arzt, der… ein Arzt, der…“ Er stockte wieder. Dann riss er sich pl?tzlich den Sessel heran zu mir. „So geht es nicht. Ich muss Ihnen alles direkt erz?hlen, von Anfang an, sonst verstehen Sie es nicht… Das, das l?sst sich nicht als Exempel, als Theorie entwickeln… ich muss Ihnen meinen Fall erz?hlen. Da gibt es keine Scham, kein Verstecken… vor mir ziehen sich auch die Leute nackt aus und zeigen mir ihren Grind[138], wenn man geholfen haben will, darf man nicht herumreden und nichts verschweigen… Also ich werde Ihnen keinen Fall erz?hlen von einem sagenhaften[139] Arzt… ich ziehe mich nackt aus und sage: ich… das Sch?men habe ich verlernt in dieser dreckigen Einsamkeit, in diesem verfluchten Land, das Mark[140] aus den Lenden saugt.“


Ich musste irgendeine Bewegung gemacht haben, denn er unterbrach sich.

„Ach, Sie protestieren… ich verstehe, Sie sind begeistert von Indien, von den Tempeln und den Palmenb?umen, von der ganzen Romantik einer Zweimonatsreise. Ja, so sind sie zauberhaft, die Tropen, wenn man sie in der Eisenbahn, im Auto durchstreift: ich habe das auch nicht anders gef?hlt, als ich zum ersten Mal her?ber kam vor sieben Jahren. Was tr?umte ich da nicht alles, die Sprachen wollte ich lernen und die heiligen B?cher im Urtext lesen, die Krankheiten studieren, wissenschaftlich arbeiten, die Psyche der Eingeborenen ergr?nden – so sagt man ja im europ?ischen Jargon – ein Missionar der Menschlichkeit, der Zivilisation werden. Aber in diesem unsichtbaren Glashaus dort geht einem die Kraft aus, das Fieber greift einem ans Mark, man wird schlapp und faul, wird weich, wie eine Qualle. Irgendwie ist man als Europ?er von seinem wahren Wesen abgeschnitten, wenn man aus den grossen St?dten weg in so eine verfluchte Sumpfstation[141] kommt.


Man sehnt sich nach Europa, tr?umt davon, wieder einen Tag auf einer Strasse zu gehen, in einem hellen steinernen Zimmer unter weissen Menschen zu sitzen, Jahr um Jahr tr?umt man davon, und kommt dann die Zeit, wo man Urlaub h?tte, so ist man schon zu tr?ge[142], um zu gehen. So bleibt man in diesen heissen, nassen W?ldern. Es war ein verfluchter Tag, an dem ich mich in dieses Drecknest verkauft habe…

?brigens: ganz so freiwillig war das ja auch nicht. Ich hatte in Deutschland studiert, war rechte Mediziner geworden, ein guter Arzt sogar, mit einer Anstellung an der Leipziger Klinik; irgendwo in einem verschollenen Jahrgang der Medizinischen Bl?tter haben sie damals viel Aufhebens gemacht von einer neuen Injektion, die ich als erster praktiziert hatte. Da kam eine Weibergeschichte, eine Person, die ich im Krankenhaus kennen lernte: sie hatte ihren Geliebten so toll gemacht, dass er sie mit dem Revolver anschoss, und bald war ich ebenso toll wie er. Sie hatte eine Art, hochm?tig und kalt zu sein, die mich rasend[143] machte – mich hatten immer schon Frauen in der Faust[144], die herrisch und frech waren, aber diese bog mich zusammen, dass mir die Knochen brachen. Ich tat, was sie wollte, ich – nun, warum soll ich nicht sagen, es sind acht Jahre her – ich tat f?r sie einen Griff in die Spitalskasse, und als die Sache aufflog, war der Teufel los[145]. Ein Onkel deckte noch den Abgang, aber mit der Karriere war es vorbei. Damals h?rte ich gerade, die holl?ndische Regierung werbe[146] ?rzte an f?r die Kolonien und biete ein Handgeld. Nun, ich dachte gleich, es m?sste ein sauberes Ding sein, f?r das man Handgeld biete, ich wusste, dass die Grabkreuze auf diesen Fieberplantagen dreimal so schnell wachsen als bei uns, aber wenn man jung ist, glaubt man, das Fieber und der Tod springt immer nur auf die andern. Nun, ich hatte da nicht viel Wahl, ich fuhr nach Rotterdam, verschrieb mich auf zehn Jahre, bekam ein ganz nettes B?ndel Banknoten, die H?lfte schickte ich nach Hause an den Onkel, die andere H?lfte jagte mir eine Person dort im Hafenviertel[147] ab, die alles von mir herauskriegte, nur weil sie, die verfluchte Katze, so ?hnlich war. Ohne Geld, ohne Uhr, ohne Illusionen bin ich dann abgesegelt von Europa und war nicht sonderlich traurig, als wir aus dem Hafen steuerten. Und dann sass ich so auf Deck wie Sie, wie alle sassen, und sah das S?dkreuz und die Palmen, das Herz ging mir auf-ah, W?lder, Einsamkeit, Stille, tr?umte ich! Nun – an Einsamkeit bekam ich gerade genug. Man setzte mich nicht nach Batavia oder Surabaya, in eine Stadt, wo es Menschen gibt und Klubs und Golf und B?cher und Zeitungen, sondern – nun, der Name tut ja nichts zur Sache – in irgendeine der Distriktstationen, zwei Tagereisen von der n?chsten Stadt. Ein paar langweilige Beamte, ein paar Halfcast[148], das war meine ganze Gesellschaft, sonst weit und breit nur Wald, Plantagen, Dickicht[149] und Sumpf[150].


Im Anfang war es noch ertr?glich. Ich trieb allerhand[151] Studien; einmal, als der Vizeresident auf der Inspektionsreise mit dem Automobil umgeworfen und sich ein Bein zerschmettert hatte, machte ich ohne Gehilfen eine Operation, ?ber die viel geredet wurde. Ich sammelte Gifte und Waffen der Eingeborenen, ich besch?ftigte mich mit hundert kleinen Dingen, um mich wach zu halten. Aber all dies ging nur, solang die Kraft von Europa her in mir noch funktionierte; dann trocknete ich ein. Die paar Europ?er langweilten mich, ich brach den Verkehr ab, trank und tr?umte in mich hinein. Ich hatte ja nur noch zwei Jahre, dann war ich frei mit Pension, konnte nach Europa zur?ckkehren, noch einmal ein Leben anfangen. Eigentlich tat ich nichts mehr als warten. Und so s?sse ich heute noch, wenn nicht sie… wenn das nicht gekommen w?re.“


Die Stimme im Dunkeln hielt inne. Auch die Pfeife glimmte[152] nicht mehr. So still war es, dass ich mit einem Male wieder das Wasser h?rte. Ich h?tte mir gern eine Zigarette angez?ndet, aber ich hatte Furcht vor dem grellen Aufschlag des Z?ndholzes und dem Reflex in seinem Gesicht. Er schwieg und schwieg. Ich wusste nicht, ob er zu Ende sei oder ob er schlief, so tot war sein Schweigen. Da schlug die Schiffsglocke einen geraden, kr?ftigen Schlag: ein Uhr. Er fuhr auf; ich h?rte wieder das Glas klingen. Offenbar tastete die Hand suchend zum Whisky hinab. Ein Schluck gluckste leise – dann pl?tzlich begann die Stimme wieder, aber jetzt gleichsam gespannter, leidenschaftlicher.


„Ja also… warten Sie… ja also, das war so. Ich sitze da droben[153] in meinem verfluchten Nest. Es war gerade nach der Regenzeit, kein Mensch war gekommen, kein Europ?er, t?glich hatte ich dagesessen mit meinen gelben Weibern im Haus und meinem guten Whisky. Ich war damals ganz europakrank; wenn ich irgendeinen Roman las von hellen Strassen und weissen Frauen, begannen mir die Finger zu zittern. Ich kann Ihnen den Zustand nicht ganz schildern, es ist eine Art Tropenkrankheit, eine w?tige, fiebrige und doch kraftlose Nostalgie. So sass ich damals, ich glaube ?ber einem Atlas, und tr?umte mir Reisen aus. Da klopft es aufgeregt an die T?r, der Boy steht draussen und eines von den Weibern, beide haben die Augen ganz aufgerissen vor Erstaunen. Sie machen grosse Geb?rden[154]: eine Dame sei hier, eine Lady, eine weisse Frau. Ich fahre auf. Ich habe keinen Wagen kommen geh?rt, kein Automobil. Eine weisse Frau hier in dieser Wildnis?


Ich will die Treppe hinab, reisse mich aber noch zur?ck. Ich bin nerv?s, unruhig, denn ich weiss niemanden auf der Welt, der aus Freundschaft zu mir k?me. Endlich gehe ich hinunter. Im Vorraum wartet die Dame und kommt mir hastig entgegen. Ein dicker Automobilschleier[155] verh?llt ihr Gesicht. Ich will sie begr?ssen, aber sie f?ngt mir rasch das Wort ab.

„Guten Tag, Doktor“, sagt sie auf Englisch in einer fliessenden Art. „Verzeihen Sie, dass ich sie ?berfalle. Aber wir waren gerade in der Station, unser Auto h?lt dr?ben“ – warum f?hrt sie nicht bis vors Haus, schiesst es mir blitzschnell durch den Kopf – „da erinnerte ich mich, dass Sie hier wohnen. Ich habe schon so viel von Ihnen geh?rt, Sie haben ja eine wirkliche Zauberei mit dem Vizeresidenten gemacht, sein Bein ist wieder in Ordnung, er spielt Golf wie fr?her. Ah, ja, alles spricht noch davon drunten bei uns, und wir wollten alle unseren brummigen[156] Surgeon[157] und noch die zwei andern hergeben, wenn Sie zu uns k?men. ?berhaupt, warum sieht man Sie nie drunten, Sie leben ja wie ein Joghi…“


Und so plappert sie weiter, ohne mich zu Worte kommen zu lassen. Etwas Nerv?ses ist in diesem Geschw?tz, und ich werde selbst unruhig davon. Warum spricht sie so viel, frage ich mich innerlich, warum stellt sie sich nicht vor, warum nimmt sie den Schleier nicht ab? Hat sie Fieber? Ist sie krank? Ich werde immer nerv?ser, weil ich die L?cherlichkeit empfinde, so stumm vor ihr zu stehen. Endlich stoppt sie ein wenig, und ich kann sie hinaufbitten. Sie macht dem Boy eine Bewegung, zur?ckzubleiben, und geht vor mir die Treppe empor.


„Nett haben Sie es hier“, sagt sie, in meinem Zimmer sich umsehend. „Ah, die sch?nen B?cher! die m?chte ich alle lesen!“ Sie tritt an das Regal und mustert die B?chertitel. Zum ersten Mal, seit ich ihr entgegengetreten, schweigt sie f?r eine Minute. „Darf ich Ihnen einen Tee anbieten?“ frage ich. Sie wendet sich nicht um und sieht nur auf die B?chertitel. „Nein, danke, Doktor… wir m?ssen gleich wieder weiter… ich habe nicht viel Zeit… war ja nur ein kleiner Ausflug… Ach, da haben Sie auch den Flaubert[158], den liebe ich so sehr… wundervoll, ganz wundervoll, die “Education sentimentale„… ich sehe, Sie lesen auch franz?sisch… Was Sie alles k?nnen!.. ja, die Deutschen, die lernen alles auf der Schule… Wirklich grossartig, so viel Sprachen zu k?nnen!..Der Vizeresident schw?rt auf Sie, sagt immer, Sie seien der einzige, dem er unter das Messer ginge… ?brigens wissen Sie – (sie wendete sich noch immer nicht um) heute kams mir selbst in den Sinn, ich sollte Sie einmal konsultieren… und weil wir eben vor?berfuhren, dachte ich… nun, Sie haben jetzt wohl zu tun… ich komme lieber ein andermal.“


„Deckst du endlich die Karten auf!“ dachte ich mir sofort. Aber ich liess ichts merken, sondern versicherte ihr, es w?rde mir nur eine Ehre sein, jetzt und wann immer sie wolle, ihr zu dienen. „Es ist nichts Ernstes… Kleinigkeiten… Weibersachen… Schwindel, Ohnmachten. Heute fr?h schlug ich, als wir eine Kurve machten, pl?tzlich hin… der Boy musste mich aufrichten im Auto und Wasser holen… nun, vielleicht ist der Chauffeur zu rasch gefahren… meinen Sie nicht, Doktor?“


„Ich kann das so nicht beurteilen. Haben Sie ?fter derlei Ohnmachten?“

„Nein…. das heisst ja… in der letzten Zeit… gerade in der allerletzten Zeit… ja… solche Ohnmachten und ?belkeiten.“

Sie steht schon wieder vor dem B?cherschrank, tut das Buch hinein, nimmt ein anderes heraus und bl?ttert darin. Merkw?rdig, warum bl?ttert sie immer so… so nerv?s? Ich sage mit Absicht nichts.

„Nicht wahr, Doktor, es ist nichts Gef?hrliches? Keine Tropensache… “

„Ich m?sste erst sehen, ob Sie Fieber haben. Darf ich um Ihren Puls bitten…“

Ich gehe auf sie zu. Sie weicht leicht zur Seite.

„Nein, nein, ich habe kein Fieber… gewiss, ganz gewiss nicht… ich habe mich selbst gemessen, jeden Tag, seit… seit diese Ohnmachten kamen. Nie Fieber, immer tadellos 36,4 auf den Strich. Auch mein Magen ist gesund.“


Ich z?gere einen Augenblick. Die ganze Zeit schon prickelt[159] in mir ein Argwohn[160]: ich sp?re, diese Frau will etwas von mir, man kommt nicht in eine Wildnis, um ?ber Flaubert zu sprechen. Eine, zwei Minuten lasse ich sie warten. „Verzeihen Sie“, sage ich dann geradewegs, „darf ich einige Fragen ganz frei stellen?“


„Gewiss, Doktor! Sie sind doch Arzt“, antwortete sie, aber schon wendet sie mir wieder den R?cken und spielt mit den B?chern.

„Haben Sie Kinder gehabt?“

„Ja, einen Sohn.“

„Und haben Sie… haben Sie vorher… ich meine damals… haben Sie da ?hnliche Zust?nde gehabt?“

„Ja.“

Ihre Stimme ist jetzt ganz anders. Ganz klar, gar nicht mehr nerv?s. „Und w?re es m?glich, dass Sie… verzeihen Sie die Frage… dass Sie jetzt in einem ?hnlichen Zustande sind?“

„Ja.“

Wie ein Messer scharf und schneidend l?sst sie das Wort fallen.

„Vielleicht w?re es da am besten, gn?dige Frau, ich nehme eine allgemeine Untersuchung vor… darf ich Sie vielleicht bitten, sich… sich in das andere Zimmer hin?ber zu bem?hen?“

Da wendet sie sich pl?tzlich um. Durch den Schleier f?hle ich einen kalten, entschlosseneren Blick mir gerade entgegen. „Nein… das ist nicht n?tig… ich habe volle Gewissheit ?ber meinen Zustand.““

Die Stimme z?gerte einen Augenblick. Wieder blinkert im Dunkel das gef?llte Glas.

„Also h?ren Sie… aber versuchen Sie zuerst einen Augenblick sich das zu ?berdenken. Da dr?ngt sich zu einem, der in seiner Einsamkeit vergeht, eine Frau herein, die erste weisse Frau betritt seit Jahren das Zimmer… und pl?tzlich sp?re ich, es ist etwas B?ses im Zimmer, eine Gefahr. Denn was sie von mir wollte, wusste ich ja, w?sste ich sofort – es war nicht das erste Mal, dass Frauen so etwas von mir verlangten, aber sie kamen anders, kamen versch?mt oder flehend, kamen mit Tr?nen und Beschw?rungen. Hier aber war eine m?nnliche Entschlossenheit… von der ersten Sekunde sp?rte ich, dass diese Frau st?rker war als ich… dass sie mich in ihren Willen zwingen konnte, wie sie wollte… Aber… aber… es war auch etwas B?ses in mir… der Mann, der sich wehrte, irgendeine Erbitterung, denn… ich sagte es ja schon… von der ersten Sekunde, ja, noch ehe ich sie gesehen, empfand ich diese Frau als Feind. Ich schwieg zun?chst. Ich sp?rte, dass sie mich unter dem Schleier ansah – sie wollte mich zwingen zu sprechen. Aber ich gab nicht so leicht nach.

Ich begann zu sprechen, aber… ausweichend[161]… Ich tat, als ob ich sie nicht verst?nde, denn – ich weiss nicht, ob Sie das nachf?hlen k?nnen – ich wollte sie zwingen, deutlich zu werden, ich wollte nicht anbieten, sondern… gebeten sein… gerade von ihr, weil sie so herrisch[162] kam… Ich redete also herum, sagte, dass solche Ohnmachten geh?rten zum regul?ren Lauf der Dinge, im Gegenteil, sie verb?rgten[163] beinahe eine gute Entwicklung. Ich sprach l?ssig und leicht…wartete immer, dass sie mich unterbrechen w?rde. Denn ich wusste, sie w?rde es nicht ertragen. Da fuhr sie schon scharf dazwischen, mit einer Handbewegung gleichsam das ganze beruhigende Gerede wegstreifend.


„Das ist es nicht, Doktor, was mich unsicher macht. Damals, als ich meinen Buben bekam, war ich in bester Verfassung… aber jetzt bin ich nicht mehr allright[164]… ich habe Herzzust?nde…“

„Ach, Herzzust?nde“, wiederholte ich, scheinbar beunruhigt, „da will ich doch gleich nachsehen.“ Und ich machte eine Bewegung, als ob ich aufstehen und das H?rrohr holen wollte. Aber schon fuhr sie dazwischen. Die Stimme war jetzt ganz scharf und bestimmt – wie am Kommandoplatz.

„Ich habe Herzzust?nde, Doktor, und ich muss Sie bitten, zu glauben, was ich Ihnen sage. Ich m?chte nicht viel Zeit mit Untersuchungen verlieren – Sie k?nnten mir, meine ich, etwas mehr Vertrauen entgegenbringen. Ich wenigstens habe mein Vertrauen zu Ihnen genug bezeugt.“

Jetzt war es schon Kampf, offene Herausforderung[165]. Und ich nahm sie an.

„Zum Vertrauen geh?rt Offenheit. Reden Sie klar, ich bin Arzt. Und vor allem, nehmen Sie den Schleier ab, setzen Sie sich her, lassen Sie die B?cher und die Umwege. Man kommt nicht zum Arzt im Schleier.“

Sie sah mich an, aufrecht und stolz. Einen Augenblick z?gerte sie. Dann setzte sie sich nieder, zog den Schleier hoch. Ich sah ein Gesicht, ganz so wie ich es gef?rchtet hatte, ein undurchdringliches[166] Gesicht, hart, beherrscht[167], von einer alterslosen Sch?nheit, ein Gesicht mit grauen englischen Augen, in denen alles Ruhe schien und hinter die man doch alles Leidenschaftliche tr?umen konnte. Dieser verpresste Mund gab kein Geheimnis her, wenn er nicht wollte. Eine Minute lang sahen wir einander an – sie befehlend und fragend zugleich, mit einer so kalten Grausamkeit, dass ich es nicht ertrug und unwillk?rlich zur Seite blickte. Sie klopfte leicht mit dem Kn?chel auf den Tisch.

Also auch in ihr war Nervosit?t. Dann sagte sie pl?tzlich rasch: „Wissen Sie, Doktor, was ich von Ihnen will, oder wissen Sie es nicht?“


„Ich glaube es zu wissen. Aber seien wir lieber ganz deutlich. Sie wollen Ihrem Zustand ein Ende bereiten… Sie wollen, dass ich Sie von Ihrer Ohnmacht, Ihren ?belkeiten befreie, indem ich… indem ich die Ursache beseitige. Ist es das?“

„Ja.“

Wie ein Fallbeil[168] zuckte das Wort.

„Wissen Sie auch, dass solche Versuche gef?hrlich sind… f?r beide Teile…?“

„Ja.“

„Dass es gesetzlich mir untersagt ist?“

„Es gibt M?glichkeiten, wo es nicht untersagt[169], sondern sogar geboten ist.“

„Aber diese erfordern eine ?rztliche Indikation.“

„So werden Sie diese Indikation finden. Sie sind Arzt.“

Klar, ohne zu zucken, blickten mich ihre Augen dabei an. Es war ein Befehl. Aber ich kr?mmte mich noch, ich wollte nicht zeigen, dass ich schon zertreten war. – „Nur nicht zu rasch! Umst?nde machen! Sie zur Bitte zwingen“, funkelte in mir irgendein Gel?st[170].

„Das liegt nicht immer im Willen des Arztes. Aber ich bin bereit, mit einem Kollegen im Krankenhaus…“

„Ich will Ihren Kollegen nicht… ich bin zu Ihnen gekommen.“

„Darf ich fragen, warum gerade zu mir?“

Sie sah mich kalt an.

„Ich habe keine Bedenken, es Ihnen zu sagen. Weil Sie abseits wohnen, weil Sie mich nicht kennen – weil Sie ein guter Arzt sind, und weil Sie…“ – jetzt z?gerte sie zum ersten Male – „wohl nicht mehr lange in dieser Gegend bleiben werden, besonders wenn Sie… wenn Sie eine gr?ssere Summe nach Hause bringen k?nnen.“

Mich ?berliefs kalt. Diese Kaufmannsklarheit der Berechnung bet?ubte mich. Bisher hatte sie ihre Lippen noch nicht zur Bitte aufgetan – aber alles l?ngst auskalkuliert, mich erst umlauert und dann aufgesp?rt. Ich sp?rte, wie das D?monische ihres Willens in mich eindrang, aber ich wehrte[171] mich mit all meiner Erbitterung. Noch einmal zwang ich mich, sachlich – ja fast ironisch zu sein. „Und diese grosse Summe w?rden Sie… w?rden Sie mir zur Verf?gung stellen?“

„F?r Ihre Hilfe und sofortige Abreise.“

„Wissen Sie, dass ich dadurch meine Pension verliere?“

„Ich werde sie Ihnen entsch?digen[172].“

„Sie sind sehr deutlich… Aber ich will noch mehr Deutlichkeit. Welche Summe haben Sie als Honorar in Aussicht genommen?“

„Zw?lftausend Gulden, zahlbar auf Scheck in Amsterdam.“

Ich… zitterte… ich zitterte vor Zorn und… ja auch vor Bewunderung. Alles hatte sie berechnet, die Summe und die Art der Zahlung, durch die ich zur Abreise gen?tigt war, sie hatte mich gekauft, ohne mich zu kennen. Am liebsten h?tte ich ihr ins Gesicht geschlagen… Aber wie ich zitternd aufstand – auch sie war aufgestanden – und ihr gerade Auge in Auge starrte, da ?berkam mich pl?tzlich bei dem Blick auf diesen verschlossenen Mund, der nicht bitten, auf ihre hochm?tige Stirn, die sich nicht beugen wollte… eine… eine Art gewaltt?tiger[173] Gier. Sie musste irgendetwas davon f?hlen, denn sie spannte ihre Augenbrauen hoch: der Hass zwischen uns war pl?tzlich nackt. Ich wusste, sie hasste mich, weil sie mich brauchte, und ich hasste sie, weil… weil sie nicht bitten wollte. Diese eine, diese eine Sekunde Schweigen sprachen wir zum ersten Mal ganz aufrichtig[174] zueinander. Dann biss sich pl?tzlich wie ein Reptil mir ein Gedanke ein, und ich sagte ihr… ich sagte ihr… Aber warten Sie, so w?rden Sie es falsch verstehen, was ich tat…ich muss Ihnen erst erkl?ren, wie… wieso dieser wahnsinnige Gedanke in mich kam…“ Wieder klirrte[175] leise im Dunkel das Glas. Und die Stimme wurde erregter.

„Nicht, dass ich mich entschuldigen will… Aber Sie verstehen es sonst nicht… Ich weiss nicht, ob ich je so etwas wie ein guter Mensch gewesen bin, aber… ich glaube, hilfreich war ich immer… In dem dreckigen Leben da dr?ben war das ja die einzige Freude, irgendeinem St?ck Leben den Atem erhalten zu k?nnen… so eine Art Herrgottsfreude… Wirklich, es waren meine sch?nsten Augenblicke. So ein gelber Bursch kam, blauweiss vor Schrecken, einen Schlangenbiss im hochgeschwollenen Fuss, und schon heulte, man solle ihm das Bein nicht abschneiden, und ich kriegte es noch fertig, ihn zu retten. Auch so wie diese es wollte, habe ich geholfen, schon in Europa dr?ben in der Klinik. Aber da sp?rte man wenigstens, dass dieser Mensch einen brauchte, da wusste man, dass man jemand vom Tode rettete oder vor der Verzweiflung – und das braucht man eben selbst zum Helfen, dies Gef?hl, dass der andere einen braucht. Aber diese Frau – ich weiss nicht, ob ich es Ihnen schildern kann – sie regte mich auf, reizte[176] mich von dem Augenblick, da sie scheinbar promenierend hereinkam, durch ihren Hochmut[177] zu einem Widerstand, sie reizte alles – wie soll ich sagen – sie reizte alles Versteckte, alles B?se in mir. Dass sie Lady spielte, unnahbar k?hl ein Gesch?ft entrierte, wo es um Tod und Leben ging, das machte mich toll… Und dann… dann… schliesslich wird man doch nicht schwanger von den Golfspielen… ich wusste… das heisst, ich musste pl?tzlich mit einer – und das war jener Gedanke – mit einer entsetzlichen Deutlichkeit mich daran erinnern, dass diese Hochm?tige, diese Kalte, die steil die Augenbrauen ?ber ihre st?hlernen Augen hochzog, als ich sie nur abwehrend… ja fast wegstossend anblickte, dass sie sich zwei oder drei Monate vorher heiss im Bett mit einem Mann gew?lzt hatte, nackt wie ein Tier und vielleicht st?hnend vor Lust, die K?rper ineinander verbissen wie zwei Lippen… Das, das war der brennende Gedanke, der mich ?berfiel, als sie mich so hochm?tig, so k?hl, ganz wie ein englischer Offizier anblickte… und da, da spannte sich alles in mir… ich war besessen von der Idee, sie zu erniedrigen[178]… von dieser Sekunde sah ich durch das Kleid ihren K?rper nackt… von dieser Sekunde an lebte ich nur im Gedanken, sie zu besitzen, ein St?hnen aus ihren harten Lippen zu pressen, diese Kalte, diese Hochm?tige in Wollust zu f?hlen so wie jener, jener andere, den ich nicht kannte. Das… das wollte ich Ihnen erkl?ren… Ich habe nie, so verkommen[179] ich war, sonst als Arzt die Situation zu nutzen gesucht… Aber diesmal war es ja nicht Geilheit[180], nichts Sexuelles, wahrhaftig nicht… ich w?rde es ja eingestehen… nur die Gier, eines Hochmuts Herr zu werden… Herr als Mann… Ich sagte es Ihnen, glaube ich, schon, dass hochm?tige, scheinbar k?hle Frauen von je ?ber mich Macht hatten… aber jetzt, jetzt kam noch dies dazu, dass ich sieben Jahre hier lebte, ohne eine weisse Frau gehabt zu haben, dass ich Widerstand nicht kannte… Denn diese M?dchen hier, die zittern ja vor Ehrfurcht[181], wenn ein Weisser, ein „Herr“, sie nimmt… aber gerade diese Unterw?rfigkeit[182], dieses Sklavische verschweint einem den Genuss… Verstehen Sie jetzt, wie das dann auf mich wirkte, wenn da pl?tzlich eine Frau kam, voll von Hochmut und Hass, verschlossen bis an die Fingerspitzen, zugleich funkelnd von Geheimnis und beladen mit fr?herer Leidenschaft… wenn eine solche Frau in den K?fig eines solchen Mannes, einer so vereinsamten, verhungerten, abgesperrten Menschenbestie eintritt… Das… das wollte ich nur sagen, damit Sie das andere verstehen… das, was jetzt kam. Also… voll von irgendeiner b?sen Gier, vergiftet von dem Gedanken an sie, nackt, ballte ich mich gleichsam zusammen und t?uschte Gleichg?ltigkeit[183] vor. Ich sagte k?hl: „Zw?lftausend Gulden?… Nein, daf?r werde ich es nicht tun.“

Sie sah mich an, ein wenig blass. Sie sp?rte wohl schon, dass in diesem Widerstand nicht Geldgier war. Aber doch sagte sie: „Was verlangen Sie also?“


Ich ging auf den k?hlen Ton nicht mehr ein. „Spielen wir mit offenen Karten. Ich bin kein Gesch?ftsmann… ich bin nicht der arme Apotheker aus Romeo und Julia, der f?r „corrupted gold“ sein Gift verkauft… ich bin vielleicht das Gegenteil eines Gesch?ftsmannes… auf diesem Wege werden Sie Ihren Wunsch nicht erf?llt sehen.“

„Sie wollen es also nicht tun?“

„Nicht f?r Geld.“

Es wurde ganz still f?r eine Sekunde zwischen uns. So still, dass ich sie zum ersten Mal atmen h?rte. „Was k?nnen Sie denn sonst w?nschen?“

Jetzt hielt ich mich nicht mehr.

„Ich w?nsche zuerst, dass Sie… dass Sie zu mir nicht wie zu einem Kr?mer[184] reden, sondern wie zu einem Menschen. Dass Sie, wenn Sie Hilfe brauchen, nicht… nicht gleich mit Ihrem sch?ndlichen Geld kommen… sondern bitten… mich, den Menschen, bitten, Ihnen, dem Menschen, zu helfen… Ich bin nicht nur Arzt, ich habe nicht nur Sprechstunden… ich habe auch andere Stunden… vielleicht sind Sie in eine solche Stunde gekommen…“

Sie schweigt einen Augenblick. Dann kr?mmt sich ihr Mund ganz leicht, zittert und sagt rasch: „Also wenn ich Sie bitten w?rde… dann w?rden Sie es tun?“

„Sie wollen schon wieder ein Gesch?ft machen – Sie wollen nur bitten, wenn ich erst verspreche. Erst m?ssen Sie mich bitten – dann werde ich ihnen antworten.“

Sie wirft den Kopf hoch wie ein trotziges Pferd. Zornig sieht sie mich an.

„Nein – ich werde Sie nicht bitten. Lieber zugrunde gehen[185]!“

Da packte mich der Zorn, der rote, sinnlose Zorn.

„Dann werde ich fordern, wenn Sie nicht bitten wollen. Ich glaube, ich muss nicht erst deutlich sein – Sie wissen, was ich von Ihnen begehre. Dann – dann werde ich ihnen helfen.“

Einen Augenblick starrte sie mich an. Dann – oh, ich kann, ich kann nicht sagen, wie entsetzlich das war – dann spannten[186] sich ihre Z?ge, und dann… dann lachte sie mit einem Male…Es war wie eine Explosion, so pl?tzlich, so aufspringend, so m?chtig losgesprengt von einer ungeheuren Kraft, dieses Lachen der Ver?chtlichkeit, dass ich… ja, dass ich h?tte zu Boden sinken k?nnen und ihre F?sse k?ssen. Eine Sekunde dauerte es nur… es war wie ein Blitz, und ich hatte das Feuer im ganzen K?rper… da wandte sie sich schon und ging hastig auf die T?r zu. Unwillk?rlich wollte ich ihr nach… mich entschuldigen… sie anflehen… meine Kraft war ja ganz zerbrochen… da kehrte sie sich noch einmal um und sagte… nein, sie befahl: „Unterstehen[187] Sie sich nicht, mir zu folgen oder nachzusp?ren… Sie w?rden es bereuen.“ Und schon krachte hinter ihr die T?re zu.“


Wieder ein Z?gern. Wieder ein Schweigen… Wieder nur dies Rauschen, als ob das Mondlicht str?mte. Und dann endlich wieder die Stimme. „Die T?r schlug zu… aber ich stand unbeweglich an der Stelle… ich war gleichsam hypnotisiert von dem Befehl… ich h?rte sie die Treppe hinabsteigen, die Haust?r zumachen… ich h?rte alles, und mein ganzer Wille dr?ngte ihr nach… sie… ich weiss nicht was… sie zur?ckzurufen oder zu schlagen oder zu erdrosseln[188]… aber ihr nach… ihr nach… Und doch konnte ich nicht. Meine Glieder[189] waren gleichsam gel?hmt[190] wie von einem elektrischen Schlag… ich war eben getroffen von dem herrischen Blitz dieses Blickes… Ich weiss, das ist nicht zu erkl?ren, nicht zu erz?hlen… aber ich stand und stand… ich brauchte Minuten, vielleicht f?nf, vielleicht zehn Minuten, ehe ich einen Fuss wegreissen konnte von der Erde… Aber kaum dass ich einen Fuss ger?hrt, war ich schon heiss, war ich schon rasch……Sie konnte ja nur die Strasse hinabgegangen sein zur Zivilstation… ich st?rzte in den Schuppen, das Rad zu holen, sehe, dass ich den Schl?ssel vergessen habe, reisse den Verschlag auf, dass der Bambus splittert und kracht[191]… und schon schwinge ich mich auf das Rad und sause ihr nach… ich muss sie… ich muss sie erreichen, ehe sie zu ihrem Automobil gelangt… ich muss sie sprechen… Die Strasse staubt an mir vorbei… jetzt merke ich erst, wie lange ich oben gestanden haben musste… da… auf der Kurve im Wald knapp vor der Station sehe ich sie, wie sie hastig mit steifem geradem Schritt hineilt, begleitet von dem Boy… Aber auch sie muss mich gesehen haben, denn sie spricht jetzt mit dem Boy, der zur?ckbleibt, und geht allein weiter.

… Was will sie tun? Warum will sie allein sein?… Will sie mit mir sprechen, ohne dass er es h?rt?… Blindw?tig trete ich in die Pedale hinein… Da springt mir pl?tzlich quer von der Seite etwas ?ber den Weg… der Boy… ich kann gerade noch das Rad zur Seite reissen und krache hin… Ich stehe fluchend auf… unwillk?rlich hebe ich die Faust, [192]um dem T?lpel[193] eines hinzuknallen, aber er springt zur Seite… Ich r?ttle mein Fahrrad hoch, um wieder aufzusteigen… Aber da springt der Halunke[194] vor, fasst das Rad und sagt in seinem erb?rmlichen Englisch: „You remain here[195].“

Sie haben nicht in den Tropen gelebt… Sie wissen nicht, was das f?r eine Frechheit ist, wenn ein solcher gelber Halunke einem weissen „Herrn“ das Rad fasst und ihm, dem „Herrn“ befiehlt, dazubleiben. Statt aller Antwort schlage ich ihm die Faust ins Gesicht… er taumelt[196], aber er h?lt das Rad fest… seine Augen, seine engen, feigen Augen sind weit aufgerissen in sklavischer Angst… aber er h?lt die Stange, h?lt sie teuflisch fest… „You remain here“, stammelt er noch einmal. Zum Gl?ck hatte ich keinen Revolver bei mir. Ich h?tte ihn sonst niedergeknallt. „Weg, Kanaille!“ sage ich nur. Er starrt mich geduckt[197] an, l?sst aber die Stange nicht los. Ich schlage ihm noch einmal auf den Sch?del, er l?sst noch immer nicht. Da fasst mich die Wut… ich sehe, dass sie schon fort, vielleicht schon entkommen ist… und versetze ihm einen Boxerschlag unters Kinn, dass er runterf?llt. Jetzt habe ich wieder mein Rad… aber wie ich aufspringe, stockt[198] der Lauf… bei dem Zerren hat sich die Speiche[199] verbogen… Ich versuche mit fiebernden H?nden sie geradezudrehen… Es geht nicht… so schmeisse ich das Rad quer auf den Weg neben den Halunken hin, der blutend aufsteht und zur Seite weicht… Und dann – nein, Sie k?nnen nicht f?hlen, wie l?cherlich das dort vor allen Menschen ist, wenn ein Europ?er… nun, ich wusste nicht mehr, was ich tat… ich hatte nur den einen Gedanken: ihr nach, sie erreichen… und so lief ich, lief wie ein Rasender[200] die Landstrasse entlang vorbei an den H?tten, wo das gelbe Gesindel staunend sich vordr?ngte, einen weissen Mann, den Doktor, laufen zu sehen.

Schweisstriefend kam ich in der Station an… Meine erste Frage: Wo ist das Auto?… Eben weggefahren… Verwundert sehen mich die Leute an: als Rasender muss ich ihnen erscheinen, wie ich da nass und schmierig[201] ankam, die Frage voranschreiend, ehe ich noch stand… Unten an der Strasse sehe ich weiss den Qualm des Autos wirbeln… es ist ihr gelungen… gelungen, wie alles ihrer harten, grausam harten Berechnung gelingen muss.


Aber die Flucht hilft ihr nichts… In den Tropen gibt es kein Geheimnis unter den Europ?ern… einer kennt den andern, alles wird zum Ereignis… Nicht umsonst ist ihr Chauffeur eine Stunde im Bungalow der Regierung gestanden… in einigen Minuten weiss ich alles… Weiss, wer sie ist… dass sie unten in – nun in der Regierungsstadt wohnt, acht Eisenbahnstunden von hier… dass sie – nun sagen wir, die Frau eines Grosskaufmannes ist, rasend reich, vornehm, eine Engl?nderin… ich weiss, dass ihr Mann jetzt f?nf Monate in Amerika war und n?chster Tage eintreffen soll, um sie mit nach Europa zu nehmen… Sie aber – und wie Gift brennt sich mir der Gedanke in die Adern hinein – sie kann h?chstens zwei oder drei Monate in anderen Umst?nden sein…“

„Bisher konnte ich Ihnen noch alles begreiflich machen… vielleicht nur deshalb, weil ich bis zu diesem Augenblicke mich noch selbst verstand… mir als Arzt immer die Diagnose meines Zustandes selbst stellte. Aber von da an begann es wie ein Fieber in mir… ich verlor die Kontrolle ?ber mich… das heisst, ich wusste genau, wie sinnlos alles war, was ich tat; aber ich hatte keine Macht mehr ?ber mich… ich verstand mich selbst nicht mehr… ich lief nur in der Besessenheit meines Zieles vorw?rts… ?brigens, warten Sie… vielleicht kann ich es Ihnen doch begreiflich machen… Wissen Sie, was Amok ist?“

„Amok?… ich glaube mich zu erinnern… eine Art Trunkenheit bei den Malaien…“

„Es ist mehr als Trunkenheit… es ist Tollheit[202], eine Art menschlicher Hundswut… ein Anfall m?rderischer, sinnloser Monomanie, der sich mit keiner anderen alkoholischen Vergiftung vergleichen l?sst… ich habe selbst w?hrend meines Aufenthaltes einige Falle studiert – f?r andere ist man ja immer sehr klug und sehr sachlich – ohne aber je das furchtbare Geheimnis ihres Ursprungs freilegen zu k?nnen… Irgendwie h?ngt es mit dem Klima zusammen, mit dieser schw?len[203] Atmosph?re, die auf die Nerven wie ein Gewitter dr?ckt, bis sie einmal losspringen…

Also Amok… ja, Amok, das ist so: Ein Malaie, irgendein ganz einfacher Mensch, trinkt sein Gebr?u[204] in sich hinein… er sitzt da, stumpf, gleichm?tig… so wie ich in meinem Zimmer sass… und pl?tzlich springt er auf, fasst den Dolch[205] und rennt auf die Strasse… rennt geradeaus, immer nur geradeaus… ohne zu wissen wohin… Was ihm in den Weg tritt, Mensch oder Tier, das st?sst er nieder mit seinem Kris, und der Blutrausch macht ihn nur noch hitziger… Er rennt, rennt, rennt, sieht nicht mehr nach rechts, sieht nicht nach links, rennt nur mit seinem gellen Schrei, seinem blutigen Kris in dieses entsetzliche Geradeaus… Die Leute in den D?rfern wissen, dass keine Macht einen Amokl?ufer aufhalten kann… so br?llen sie warnend voraus, wenn er kommt: „Amok! Amok!“, und alles fl?chtet… er aber rennt, ohne zu h?ren, rennt, ohne zu sehen, st?sst nieder, was ihm begegnet… bis man ihn totschiesst wie einen tollen Hund oder er selbst sch?umend zusammenbricht…

Einmal habe ich das gesehen, vom Fenster meines Bungalows aus… es war grauenhaft… aber nur dadurch, dass ich gesehen habe, begreife ich mich selbst in jenen Tagen… denn so, genau so, mit diesem furchtbaren Blick geradeaus, ohne nach rechts oder links zusehen, mit dieser Besessenheit st?rmte ich los… dieser Frau nach… Ich weiss nicht mehr, wie ich alles tat, in so rasendem Lauf, in so unsinniger Geschwindigkeit flog es vorbei… Zehn Minuten, nein, f?nf, nein zwei… nachdem ich alles von dieser Frau wusste, ihren Namen, ihr Haus, ihr Schicksal, jagte ich schon auf einem rasch geborgten Rad in mein Haus zur?ck, warf einen Anzug in den Koffer, steckte Geld zu mir und fuhr zur Station der Eisenbahn mit meinem Wagen… fuhr, ohne mich abzumelden beim Distriktbeamten… ohne einen Vertreter zu ernennen, liess das Haus offen stehen und liegen, wie es war… Um mich standen Diener, die Weiber staunten und fragten, ich antwortete nicht, wandte mich nicht um… fuhr zur Eisenbahn und mit dem n?chsten Zug hinab in die Stadt… Eine Stunde im Ganzen, nachdem diese Frau in mein Zimmer getreten, hatte ich meine Existenz hinter mich geworfen und rannte Amok ins Leere hinein… Geradeaus rannte ich, mit dem Kopf gegen die Wand… um sechs Uhr abends war ich angekommen… um sechs Uhr zehn war ich in ihrem Haus und liess mich melden… Es war… Sie werden es verstehen… das Sinnloseste, das Stupideste, was ich tun konnte…aber der Amokl?ufer rennt ja mit leeren Augen, er sieht icht, wohin er rennt… Nach einigen Minuten kam der Diener zur?ck… h?flich und k?hl… die gn?dige Frau sei nicht wohl und k?nne nicht empfangen… Ich taumelte[206] die T?re hinaus… Eine Stunde schlich ich noch um das Haus herum, besessen von der wahnwitzigen Hoffnung, sie w?rde vielleicht nach mir suchen… dann nahm ich mir erst ein Zimmer im Strandhotel und zwei Flaschen Whisky auf das Zimmer… die und eine doppelte Dosis Veronal halfen mir… ich schlief endlich ein… und dieser dumpfe Schlaf war die einzige Pause in diesem Rennen zwischen Leben und Tod.“

Die Schiffsglocke klang. Zwei harte, volle Schl?ge. Der Mensch im Dunkeln mir gegen?ber musste erschreckt aufgefahren sein, seine Rede stockte. Wieder h?rte ich die Hand hinab zur Flasche fingern, wieder das leise Glucksen. Dann begann er, gleichsam beruhigt, mit einer festeren Stimme. „Die Stunden von diesem Augenblick an kann ich Ihnen kaum erz?hlen. Ich glaube heute, dass ich damals Fieber hatte, jedenfalls war ich in einer Art ?berreiztheit, die an Tollheit grenzte – ein Amokl?ufer, wie ich Ihnen sagte. Aber vergessen Sie nicht, es war Dienstagnachts, als ich ankam, Samstag aber sollte – dies hatte ich inzwischen erfahren – ihr Gatte mit dem P. & O.-Dampfer von Yokohama eintreffen, es blieben also nur drei Tage, drei knappe Tage f?r den Entschluss und f?r die Hilfe. Verstehen Sie das: ich wusste, dass ich ihr sofort helfen musste, und konnte doch kein Wort zu ihr sprechen. Und gerade dieses Bed?rfnis, das hetzte[207] mich weiter. Ich wusste um die Kostbarkeit jedes Augenblickes, ich wusste, dass es f?r sie um Leben und Tod ginge, und hatte doch keine M?glichkeit, mit einem Zeichen ihr zu n?hern, denn gerade das St?rmische[208] meines Nachrennens hatte sie erschreckt. Es war… ja, warten Sie… es war, wie wenn einer einem nachrennt, um ihn zu warnen vor einem M?rder, und der andere h?lt ihn selbst f?r den M?rder, und so rennt er weiter in sein Verderben… sie sah nur den Amokl?ufer in mir, der sie verfolgte, um sie zu dem?tigen, aber ich… das war ja der entsetzliche Widersinn… ich dachte gar nicht mehr an das… ich war ja schon ganz vernichtet, ich wollte ihr nur helfen, ihr nur dienen… einen Mord h?tte ich getan, ein Verbrechen, um ihr zu helfen… Aber sie, sie verstand es nicht. Als ich morgens aufwachte und gleich wieder hinlief zu ihrem Haus, stand der Boy vor der T?r, derselbe Boy, den ich ins Gesicht geschlagen, und wie er mich von ferne sah – er musste auf mich gewartet haben, – huschte er hinein in die T?r. Vielleicht tat er es nur, um mich im geheimen anzumelden… vielleicht… ah, diese Ungewissheit, wie peinigt[209] sie mich jetzt… vielleicht war schon alles bereit, mich zu empfangen… aber da, wie ich ihn sah, mich erinnerte an meine Schmach, da war ich es wieder, der nicht wagte, noch einmal den Besuch zu wiederholen… Die Knie zitterten mir. Knapp vor der Schwelle drehte ich mich um und ging wieder fort… ging fort, w?hrend sie vielleicht in ?hnlicher Qual auf mich wartete.

Ich wusste jetzt nicht mehr, was tun in der fremden Stadt, die an meinen Fersen wie Feuer gl?hte… Pl?tzlich fiel mir etwas ein, schon rief ich einen Wagen und fuhr zum Vizeresidenten, zu demselben, dem ich damals in meiner Station geholfen, und liess mich melden… Irgendetwas muss schon in meinem ?ussern Wesen befremdend gewesen sein, denn er sah mich mit einem gleichsam erschreckten Blick an, und seine H?flichkeit hatte etwas Beunruhigtes… vielleicht erkannte er schon den Amokl?ufer in mir… Ich sagte ihm kurz entschlossen, ich erb?te meine Versetzung in die Stadt, ich k?nne auf meinem Posten nicht mehr l?nger existieren… ich m?sse sofort ?bersiedeln… Er sah mich… ich kann Ihnen nicht sagen, wie er mich ansah… so wie eben ein Arzt einen Kranken ansieht… „Ein Nervenzusammenbruch, lieber Doktor“, sagte er dann, „ich verstehe das nur zu gut. Nun, es wird sich schon richten lassen; aber warten Sie… sagen wir vier Wochen… ich muss erst einen Ersatz finden.“ „Ich kann nicht warten, nicht einen Tag“, antwortete ich. Wieder kam dieser merkw?rdige Blick.


„Es muss gehen, Doktor“, sagte er ernst, „wir d?rfen die Station nicht ohne Arzt lassen. Aber ich verspreche Ihnen, dass ich noch heute alles einleite.“ Ich blieb stehen, mit verbissenen Z?hnen: zum ersten Mal sp?rte ich deutlich, dass ich ein verkaufter Mensch sei. Schon ballte sich alles zu einem Trotz[210] zusammen, aber er, der Geschmeidige, kam mir zuvor: „Sie sind menschenentw?hnt, Doktor, und das wird schliesslich eine Krankheit. Wir haben uns alle gewundert, dass Sie nie herkamen, nie Urlaub nahmen. Sie brauchen mehr Anregung[211]. Kommen Sie doch wenigstens diesen Abend, wir haben heute Empfang bei der Regierung, Sie finden die ganze Kolonie, und manche m?chten Sie l?ngst kennen lernen, haben oft nach Ihnen gefragt und Sie hierher gew?nscht.“ Das letzte Wort riss mich auf. Nach mir gefragt? Sollte sie es gewesen sein? Ich war pl?tzlich ein anderer: sofort dankte ich ihm h?flichst f?r seine Einladung und sicherte mein Kommen p?nktlich zu. Und ich war auch p?nktlich, viel zu p?nktlich. Muss ich Ihnen erst sagen, dass ich, von meiner Ungeduld gejagt, der erste in dem grossen Saale des Regierungsgeb?udes war, schweigend umgeben von den gelben Dienern. Eine Viertelstunde war ich der einzige Europ?er inmitten all der ger?uschlosen Vorbereitungen und so allein mit mir, dass ich das Ticken der Uhr in meiner Westentasche h?rte. Dann kamen endlich ein paar Regierungsbeamte mit ihren Familien, schliesslich auch der Gouverneur, der mich in ein l?ngeres Gespr?ch zog, in dem ich befliss und, wie ich glaube, geschickt antwortete, bis… bis ich pl?tzlich, von einer geheimnisvollen Nervosit?t befallen, alle Geschmeidigkeit[212] verlor und zu stammeln[213] begann. Obzwar mit dem R?cken gegen die Saalt?r gelehnt, sp?rte ich mit einem Male, dass sie eingetreten, dass sie anwesend sein m?sste. Gl?cklicherweise endete der Gouverneur bald das Gespr?ch – ich glaubte, ich h?tte mich sonst pl?tzlich br?sk[214] umgewandt, so stark war dieses geheimnisvolle Ziehen in meinen Nerven.


Und wirklich, kaum dass ich mich umwandte, sah ich sie schon ganz genau an jener Stelle, wo sie unbewusst mein Gef?hl geahnt. Sie stand in einem gelben Ballkleid, plaudernd inmitten einer Gruppe. Ich trat n?her – sie konnte mich nicht sehen oder wollte mich nicht sehen – und blickte in dieses L?cheln, das gef?llig und h?flich um die schmalen Lippen zitterte. Und dieses L?cheln berauschte mich von neuem, weil es… nun weil ich wusste, dass es L?ge war, Kunst oder Technik, Meisterschaft der Verstellung. Mittwoch ist heute, fuhr mir durch den Kopf, Samstag kommt das Schiff mit dem Gatten… wie kann sie so l?cheln, so… so sicher, so sorglos l?cheln und den F?cher l?ssig in der Hand spielen lassen, statt ihn zu zerkrampfen[215] in Angst?


Ich… ich, der Fremde… ich zitterte seit zwei Tagen vor jener Stunde… ich, der Fremde, lebte ihre Angst und sie ging auf den Ball und l?chelte, l?chelte, l?chelte…R?ckw?rts setzte die Musik ein. Der Tanz begann. Ein ?lterer Offizier hatte sie aufgefordert, sie liess mit einer Entschuldigung den plaudernden Kreis und schritt an seinem Arm gegen den andern Saal zu, an mir vorbei. Wie sie mich erblickte, spannte sich pl?tzlich ihr Gesicht gewaltsam zusammen – aber nur eine Sekunde lang, dann nickte sie mir mit einem h?flichen Erkennen (ehe ich mich noch zu gr?ssen oder nichtgr?ssen entschlossen hatte) wie einem zuf?lligen Bekannten zu: „Guten Abend, Doktor“ und war schon vorbei. Niemand h?tte ahnen k?nnen, was in diesem graugr?nen Blick verborgen war, und ich, ich selbst wusste es nicht. Warum gr?sste sie… warum erkannte sie mich nun mit einmal an?… War das Abwehr[216], war es Ann?herung, war es nur die Verlegenheit der ?berraschung? Ich kann Ihnen nicht schildern, in welcher Erregtheit[217] ich zur?ckblieb, alles war in mir zusammengepresst, und wie ich sie so sah, l?ssig walzend am Arme des Offiziers, auf der Stirne den k?hlen Glanz der Sorglosigkeit, indes ich doch w?sste, dass sie… dass sie so wie ich nur daran… daran dachte… dass wir zwei hier allein ein furchtbares Geheimnis gemeinsam hatten… und sie walzte… in diesen Sekunden wurde meine Angst und meine Bewunderung noch mehr Leidenschaft als jemals. Ich weiss nicht, ob mich jemand beobachtet hat, aber gewiss verriet ich mich in meinem Verhalten noch viel mehr, als sie sich verbarg – ich konnte eben nicht in eine andere Richtung schauen, ich musste sie ansehen. Und sie musste diesen starren Blick unangenehm empfunden haben. Als sie am Arme ihres T?nzers zur?ckschritt, sah sie mich im Blitzlicht einer Sekunde an, scharf befehlend: wieder spannte sich jene kleine Falte des hochm?tigen Zornes, die ich schon von damals kannte, b?se ?ber ihrer Stirn.


Aber… aber… ich sagte es Ihnen ja… ich lief Amok, ich sah nicht nach rechts und nicht nach links. Ich verstand sie sofort – dieser Blick hiess: sei nicht auff?llig[218]! Ich wusste, dass sie… wie soll ich es sagen?… dass sie Diskretion des Benehmens hier im offenen Saal von mir wollte… ich verstand, dass, wenn ich jetzt heimginge, ich morgen gewiss sein k?nne, von ihr empfangen zu werden… aber es war zu stark in mir, ich musste sie sprechen. Und so schwankte ich hin zu der Gruppe, in der sie plaudernd stand, schob mich – obwohl ich nur einige der Anwesenden kannte – ganz an den lockeren Kreis heran nur aus Begier, sie sprechen zu h?ren. Ich stand, durstig nach einem Wort, das sie zu mir sprechen sollte, nach einem Zeichen des Einverst?ndnisses, stand und stand starren Blickes inmitten des Geplauders wie ein Block. Unbedingt musste es schon auff?llig geworden sein, unbedingt, denn keiner richtete ein Wort an mich, und sie musste leiden unter meiner l?cherlichen Gegenwart[219].

Wie lange ich so gestanden h?tte, ich weiss es nicht… eine Ewigkeit vielleicht… ich konnte ja nicht fort aus dieser Bezauberung des Willens. Sie ertrug es nicht l?nger… pl?tzlich wandte sie sich mit der prachtvollen[220] Leichtigkeit ihres Wesens gegen die Herren und sagte: „Ich bin ein wenig m?de… ich will heute einmal fr?her zu Bett gehen… Gute Nacht!“… und schon streifte sie mit einem gesellschaftlich fremden Kopfnicken an mir vorbei…


Eine Sekunde lang dauerte es, bevor ich begriff, dass sie fortging… dass ich sie nicht mehr sehen, nicht mehr sprechen k?nnte diesen Abend, diesen letzten Abend der Rettung… einen Augenblick lang also stand ich noch starr, bis ich begriff… dann… Aber warten Sie… warten Sie… Sie werden sonst das Sinnlose, das Stupide meiner Tat nicht verstehen… ich muss Ihnen erst den ganzen Raum schildern… Es war der grosse Saal des Regierungsgeb?udes, ganz von Lichtern erhellt und fast leer, der ungeheure Saal… die Paare waren zum Tanz gegangen, die Herren zum Spiel… nur an den Ecken plauderten einige Gruppen… der Saal war also leer, jede Bewegung auff?llig und im grellen[221] Licht sichtbar… und diesen grossen weiten Saal schritt sie langsam und leicht mit ihren hohen Schultern durch… mit dieser herrlichen erfrorenen hoheitlichen Ruhe, die mich an ihr so entz?ckte… Ich… ich war zur?ckgeblieben, ich sagte es Ihnen ja, ich war gleichsam gel?hmt[222], bevor ich es begriff, dass sie fortging… und da, als ich es begriff, war sie schon am andern Ende des Saales knapp vor der T?re… Da… oh, ich sch?me mich jetzt noch, es zu denken… da packte es mich pl?tzlich an und ich lief – h?ren Sie: ich lief… ich ging nicht, ich lief mit polternden[223] Schuhen, die laut widerhallten, quer durch den Saal ihr nach… Ich h?rte meine Schritte, ich sah alle Blicke erstaunt auf mich gerichtet… ich h?tte vergehen k?nnen vor Scham… noch w?hrend ich lief, war mir schon der Wahnsinn bewusst… aber ich konnte… ich konnte nicht mehr zur?ck… Bei der T?r holte ich sie ein… Sie wandte sich um… ihre Augen stiessen wie ein grauer Stahl in mich hinein, ihre Nasenfl?gel zitterten vor Zorn… ich wollte eben zu stammeln anfangen… da… da… lachte sie pl?tzlich hellauf… ein helles, unbesorgtes, herzliches Lachen, und sagte laut… so laut, dass es alle h?ren konnten… „Ach, Doktor, jetzt f?llt Ihnen erst das Rezept f?r meinen Buben ein… ja, die Herren der Wissenschaft…“ Ein paar, die in der N?he standen, lachten gutm?tig mit… ich begriff, ich taumelte unter der Meisterschaft, mit der sie die Situation gerettet hatte… griff in die Brieftasche und riss ein leeres Blatt vom Block, das sie l?ssig nahm, ehe sie… noch einmal mit einem kalten, dankenden L?cheln… ging… Mir war leicht in der ersten Sekunde… ich sah, dass mein Irrsinn durch ihre Meisterschaft gutgemacht, die Situation gewonnen… aber ich wusste auch sofort, dass alles f?r mich verloren sei, dass diese Frau mich um meiner hitzigen Narrheit[224] hasste… hasste mehr als den Tod… dass ich nun hundertmal und hundertmal vor ihre T?r kommen k?nnte und sie mich wegweisen w?rde wie einen Hund.


Ich taumelte durch den Saal… ich merkte, dass die Leute auf mich blickten… ich muss irgendwie sonderbar ausgesehen haben… Ich ging zum B?fett, trank zwei, drei, vier Gl?ser Kognak hintereinander… das rettete mich vor dem Umsinken… meine Nerven konnten schon nicht mehr, sie waren wie durchgerissen… Dann schlich ich bei einer Nebent?r hinaus, heimlich wie ein Verbrecher… ich ging… genau weiss ich nicht mehr zu sagen, wohin ich ging… in ein paar Kneipen und soff mich an… soff mich an wie einer, der sich alles Wache wegsaufen will… aber… es ward mir nicht dumpf in den Sinnen… das Lachen stak in mir, schrill und b?se… das Lachen, dieses verfluchte Lachen konnte ich nicht bet?uben… Ich irrte dann noch am Hafen herum… meinen Revolver hatte ich zu Hause gelassen, sonst h?tte ich mich erschossen. Ich dachte an nichts anderes, und mit diesem Gedanken ging ich auch heim… nur mit diesem Gedanken an das Schubfach links im Kasten, wo mein Revolver lag… Das ich mich dann nicht erschoss… ich schw?re Ihnen, das war nicht Feigheit… es w?re f?r mich eine Erl?sung gewesen, den schon gespannten kalten Hahn abzudr?cken… aber wie soll ich es Ihnen erkl?ren… ich f?hlte noch eine Pflicht in mir… ja, jene Pflicht, zu helfen, jene verfluchte Pflicht… mich machte der Gedanke wahnsinnig, dass sie mich noch brauchen k?nnte, dass sie mich brauchte… es war ja schon Donnerstag morgens, als ich heimkam, und Samstag… ich sagte es Ihnen ja… Samstag kam das Schiff, und dass diese Frau, diese hochm?tige, stolze Frau die Schande[225] vor ihrem Gatten, vor der Welt nicht ?berleben w?rde, das wusste ich… Ah, wie mich solche Gedanken gemartert[226] haben an die sinnlos kostbare Zeit, an meine irrwitzige[227] ?bereilung, die jede rechtzeitige Hilfe vereitelt hatte… stundenlang, ja stundenlang, ich schw?re es Ihnen, bin ich im Zimmer niedergegangen, auf und ab, und habe mir das Hirn zermartert, wie ich alles gutmachen, wie ich ihr helfen k?nnte….. es war schon Tag, es war schon Vormittag… Und pl?tzlich schmiss es mich hin zu dem Tisch… ich riss ein B?ndel Briefbl?tter heraus und begann ihr zu schreiben… alles zu schreiben… einen h?ndisch Brief, in dem ich sie um Vergebung bat, in dem ich mich einen Wahnsinnigen, einen Verbrecher nannte… in dem ich sie beschwor, sich mir anzuvertrauen… Ich schwor, in der n?chsten Stunde zu verschwinden, aus der Stadt, aus der Kolonie, wenn sie wollte: aus der Welt… nur verzeihen sollte sie mir und mir vertrauen, sich helfen zu lassen in der letzten, der allerletzten Stunde… Zwanzig Seiten fieberte ich so hinunter… es muss ein toller, ein unbeschreiblicher Brief sein, denn als ich aufstand vom Tisch, war ich in Schweiss gebadet[228]… das Zimmer schwankte, ich musste ein Glas Wasser trinken… Dann erst versuchte ich den Brief noch einmal zu ?berlesen, aber mir graute nach den ersten Worten… zitternd faltete ich ihn zusammen, fasste schon ein Kuvert… Da pl?tzlich fuhr mich durch. Mit einem Male wusste ich das wahre, das entscheidende Wort. Und ich riss noch einmal die Feder zwischen die Finger und schrieb auf das letzte Blatt: „Ich warte hier im Strandhotel auf ein Wort der Verzeihung. Wenn ich bis sieben Uhr keine Antwort habe, erschiesse ich mich.“

Dann nahm ich den Brief, schellte einem Boy und hiess ihn das Schreiben sofort ?berbringen. Endlich war alles gesagt – alles!“

Etwas klirrte und kollerte[229] neben uns. Mit einer heftigen Bewegung hatte er die Whiskyflasche umgestossen; ich h?rte, wie seine Hand ihr suchend am Boden nachtastete und sie dann mit einem pl?tzlichen Schwung fasste: in weitem Bogen warf er die geleerte Flasche ?ber Bord. Einige Minuten schwieg die Stimme, dann fieberte er wieder fort, noch erregter und hastiger als zuvor.

„Ich bin kein gl?ubiger Christ mehr… f?r mich gibt es keinen Himmel und keine H?lle… und wenn es eine gibt, so f?rchte ich sie nicht, denn sie kann nicht ?rger sein als jene Stunden, die ich von Vormittag bis abends erlebte… Denken Sie sich ein kleines Zimmer, nur Tisch und Stuhl und Bett… Und auf diesem Tisch nichts als eine Uhr und einen Revolver und vor dem Tisch einen Menschen… einen Menschen, der nichts tut als immer auf diesen Tisch, auf den Sekundenzeiger der Uhr starren einen Menschen, der nicht isst und nicht trinkt und nicht raucht und sich nicht regt… der immer nur… h?ren Sie: immer nur, drei Stunden lang… auf den weissen Kreis des Zifferblattes starrt und auf den Zeiger, der tickend den Kreis uml?uft… So… so… habe ich diesen Tag verbracht, nur gewartet… aber gewartet wie… wie eben ein Amokl?ufer etwas tut, sinnlos, tierisch.

Nun… ich werde Ihnen diese Stunden nicht schildern das l?sst sich nicht schildern… ich verstehe ja selbst nicht mehr, wie man das erleben kann ohne… ohne wahnsinnig zu werden… Also… um drei Uhr zweiundzwanzig Minuten… ich weiss es genau, ich starrte ja auf die Uhr… klopfte es pl?tzlich an die T?r… Ich springe auf mit einem Ruck durch das ganze Zimmer zur T?r, reisse sie auf… ein ?ngstlicher kleiner Chinesenjunge steht draussen, einen zusammengefalteten Zettel in der Hand.

Ich reisse den Zettel auf, will ihn lesen… und kann ihn nicht lesen… Mir schwankt es rot vor den Augen… denken Sie die Qual, ich habe endlich, endlich das Wort von ihr!..Ich tauche den Kopf ins Wasser… nun wird mir klarer… Nochmals nehme ich den Zettel und lese: „Zu sp?t! Aber warten Sie zu Hause. Vielleicht rufe ich Sie noch.“

Keine Unterschrift auf dem zerkn?llten Papier, das von irgendeinem alten Prospekt abgefetzt war… ich weiss nicht, warum mich das Blatt so ersch?tterte[230]… Irgendetwas von Grauen, von Geheimnis haftete ihm an, es war wie auf einer Flucht geschrieben… und doch… und doch, ich war gl?cklich: sie hatte mir geschrieben, ich musste noch nicht sterben, ich durfte ihr helfen… vielleicht… ich durfte… Hundertmal, tausendmal habe ich den kleinen Zettel gelesen, ihn gek?sst… ihn durchforscht nach irgendeinem vergessenen, ?bersehenen Wort… Pl?tzlich schreckte ich auf… Hatte es nicht geklopft?… Ich hielt den Atem an… eine Minute, zwei Minuten reglose Stille… Und dann wieder ganz leise, so wie eine Maus knabbert, ein leises aber heftiges Pochen[231]… Ich sprang auf, noch ganz taumelig, riss die T?r auf – draussen stand der Boy, ihr Boy, derselbe, dem ich den Mund damals mit der Faust zerschlagen… sein braunes Gesicht war aschfahl[232], sein verwirrter Blick sagte Ungl?ck… Sofort sp?rte ich Grauen…

„Was… was ist geschehen?“ konnte ich noch stammeln. „Come quickly“, sagte er… sonst nichts… sofort raste ich die Treppe herunter, er mir nach…

Ein kleiner Wagen, stand bereit, wir stiegen ein… „Was ist geschehen?“ fragte ich ihn… Er sah mich zitternd an und schwieg mit verbissenen Lippen… Ich fragte nochmals – er schwieg und schwieg. – Ich h?tte ihm am liebsten wieder ins Gesicht geschlagen mit der Faust, aber… gerade seine h?ndische Treue[233] zu ihr r?hrte mich… so fragte ich nicht mehr… Endlich kamen wir in eine enge Gasse, ganz abseits lag sie… vor einem niederen Haus hielt er an… Hastig klopfte der Boy an… Hinter dem T?rspalt zischelte[234] eine Stimme, fragte und fragte… Ich konnte es nicht mehr ertragen, sprang vom Sitz, stiess die angelehnte T?r auf…ein altes chinesisches Weib fl?chtete mit einem kleinen Schrei zur?ck… hinter mir kam der Boy, f?hrte mich durch den Gang… klinkte eine andere T?r auf eine andere T?re in einen dunklen Raum, der ?bel roch von Branntwein und gestocktem Blut… Irgendetwas st?hnte darin… ich tappte hin…“

Wieder stockte die Stimme. Und was dann ausbrach, war mehr ein Schluchzen[235] als ein Sprechen.

„Ich… ich tappte hin… und dort… dort lag auf einer schmutzigen Matte… verkr?mmt vor Schmerz…ein st?hnendes St?ck Mensch… dort lag sie…Ich konnte ihr Gesicht nicht sehen im Dunkel… Meine Augen waren noch nicht gew?hnt… so tastete ich nur hin… ihre Hand… heiss… brennend heiss… Fieber, hohes Fieber… und ich schauerte… ich wusste sofort alles… sie war hierher gefl?chtet vor mir… hatte sich verst?mmeln[236] lassen von irgendeiner schmutzigen Chinesin, nur weil sie hier mehr Schweigsamkeit[237] erhoffte… hatte sich morden lassen von irgendeiner teuflischen Hexe, lieber als mir zu vertrauen… nur weil ich Wahnsinniger… weil ich ihr nicht gleich geholfen hatte… weil sie den Tod weniger f?rchtete als mich…

Ich schrie nach Licht. Der Boy sprang: die abscheuliche Chinesin brachte mit zitternden H?nden eine Petroleumlampe[238]… Sie stellten die Lampe auf den Tisch… der Lichtschein fiel gelb und hell ?ber den gemarterten Leib… Und pl?tzlich… pl?tzlich war alles weg von mir, alle Dumpfheit, aller Zorn, all diese unreine Jauche[239] von aufgeh?ufter Leidenschaft… ich war nur mehr Arzt, helfender, sp?render, wissender Mensch… ich hatte mich vergessen… k?mpfte mit wachen, klaren Sinnen gegen das Entsetzliche… Ich f?hlte den nackten Leib, den ich in meinen Tr?umen begehrt, nur mehr als… wie soll ich es sagen… als Materie, als Organismus… ich sp?rte nicht mehr sie, sondern nur das Leben, das sich gegen den Tod wehrte, den Menschen, der sich kr?mmte in m?rderischer Qual… Ihr Blut, ihr heisses, heiliges Blut ?berstr?mte meine H?nde, aber ich sp?rte es nicht in Lust und nicht in Grauen… ich war nur Arzt… ich sah nur das Leiden… und sah…

Und sah sofort, dass alles verloren war, wenn nicht ein Wunder geschehe… sie war verletzt und halb verblutet unter der verbrecherisch ungeschickten[240] Hand… und ich hatte nichts, um das Blut zu stillen in dieser stinkenden H?hle, nicht einmal reines Wasser… alles, was ich anr?hrte, starrte vor Schmutz… „Wir m?ssen sofort ins Spital“, sagte ich. Aber kaum dass ich gesagt, b?umte sich kr?mpfig der gemarterte Leib auf. „Nein… nein… lieber sterben… niemand es erfahren… niemand es erfahren… nach Hause… nach Hause…“ Ich verstand… nur mehr um das Geheimnis, um ihre Ehre rang sie… nicht um ihr Leben… Und – ich gehorchte[241]… Der Boy brachte eine S?nfte… wir betteten sie hinein… und so… wie eine Leiche schon, matt und fiebernd… trugen wir sie durch die Nacht nach Hause… die fragende, erschreckte Dienerschaft abwehrend… wie Diebe trugen wir sie hinein in ihr Zimmer und sperrten die T?ren… Und dann dann begann der Kampf, der lange Kampf gegen den Tod…“


Pl?tzlich krampfte sich eine Hand in meinen Arm, dass ich fast aufschrie vor Schreck und Schmerz. Im Dunkeln war mir das Gesicht mit einem mal fratzenhaft nah. Und jetzt sprach er nicht mehr – er schrie, gesch?ttelt von einem heulenden Zorn: „Wissen Sie denn, Sie fremder Mensch, der Sie hier l?ssig auf einem Deckstuhl sitzen, ein Spazierfahrer durch die Welt, wissen Sie, wie das ist, wenn ein Mensch stirbt? Sind Sie schon einmal dabei gewesen, haben Sie es gesehen, wie der Leib sich aufkr?mmt[242], die blauen N?gel ins Leere krallen[243], wie die Kehle[244] r?chelt, jedes Glied sich wehrt[245], jeder Finger sich stemmt[246] gegen das Entsetzliche, und wie das Auge aufspringt in einem Grauen, f?r das es keine Worte gibt? Haben Sie das schon einmal erlebt, Sie Weltfahrer, Sie, der Sie vom Helfen reden als von einer Pflicht? Ich habe es oft gesehen als Arzt, habe es gesehen als… als klinischen Fall, als Tatsache… habe es sozusagen studiert – aber erlebt habe ich es nur einmal, miterlebt, mitgestorben bin ich nur damals in jener Nacht… in jener entsetzlichen Nacht, wo ich sass und mir das Hirn zerpresste, um etwas zu wissen, etwas zu finden, zu erfinden gegen das Blut, das rann und rann und rann, gegen das Fieber, das sie vor meinen Augen verbrannte… gegen den Tod, der immer n?her kam und den ich nicht wegdr?ngen konnte vom Bett.


Verstehen Sie, was das heisst, Arzt zu sein, alles wissen gegen alle Krankheiten – die Pflicht haben, zu helfen, wie Sie so weise sagen – und doch ohnm?chtig bei einer Sterbenden zu sitzen, wissend und doch ohne Macht… nur dies eine, dies Entsetzliche wissend, dass man nicht helfen kann, ob man sich auch jede Ader[247] aus seinem K?rper aufreissen m?chte… einen geliebten K?rper zu sehen, wie er verblutet, gemartert von Schmerzen, einen Puls zu f?hlen, der fliegt und zugleich verlischt… Arzt zu sein und nichts zu wissen, nichts, nichts, nichts… nur die F?uste ballen gegen einen erb?rmlichen Gott, von dem man weiss, dass es ihn nicht gibt… Verstehen Sie das?


Verstehen Sie das?… Ich… ich verstehe nur eines nicht, wie… wie man es macht, dass man nicht mitstirbt in solchen Sekunden… dass man dann noch am n?chsten Morgen von einem Schlaf aufsteht und sich die Z?hne putzt und eine Krawatte umbindet… dass man noch leben kann, wenn man das miterlebte, was ich f?hlte, wie dieser Atem, dieser erste Mensch, um den ich rang und k?mpfte, den ich halten wollte mit allen Kr?ften meiner Seele… wie der wegglitt unter mir… irgendwohin, immer rascher wegglitt, Minute um Minute, und ich nichts wusste in meinem fieberndem Gehirn, um diesen, diesen einen Menschen festzuhalten… Und dazu, um teuflisch noch meine Qual zu verdoppeln, dazu noch dies… W?hrend ich an ihrem Bett sass – ich hatte ihr Morphium eingegeben, um die Schmerzen zu lindern, und sah sie liegen, mit heissen Wangen, heiss und fahl – ja… w?hrend ich so sass, sp?rte ich vom R?cken her immer zwei Augen auf mich gerichtet mit einem f?rchterlichen Ausdruck der Spannung… Der Boy sass dort auf den Boden gekauert und murmelte leise irgendwelche Gebete… Wenn mein Blick den seinen traf, so… nein, ich kann es nicht schildern… so kam etwas so Flehendes, so… so Dankbares in seinen h?ndischen Blick, und gleichzeitig hob er die H?nde zu mir, als wollte er mich beschw?ren, sie zu retten… verstehen Sie: zu mir, zu mir hob er die H?nde wie zu einem Gott… zu mir… dem ohnm?chtigen Schw?chling, der wusste, dass alles verloren… dass ich hier so unn?tig sei wie eine Ameise[248], die am Boden raschelt… Ah, dieser Blick, wie er mich qu?lte, diese fanatische, diese tierische Hoffnung auf meine Kunst… ich h?tte ihn anschreien k?nnen und mit dem Fuss treten, so weh tat er mir… und doch, ich sp?rte, wie wir beide zusammenhingen durch unsere Liebe zu ihr… durch das Geheimnis… Ein lauerndes Tier, ein dumpfes Kn?uel, sass er zusammengeballt knapp hinter mir… kaum dass ich etwas verlangte, sprang er auf mit seinen nackten lautlosen Sohlen[249] und reichte es zitternd… erwartungsvoll her, als sei das die Hilfe… die Rettung…


Ich weiss, er h?tte sich die Adern aufgeschnitten, um ihr zu helfen… so war diese Frau, solche Macht hatte sie ?ber Menschen… und ich… ich hatte nicht die Macht, ein Qu?ntchen[250] Blut zu retten… O diese Nacht, diese entsetzliche Nacht, diese unendliche Nacht zwischen Leben und Tod! Gegen Morgen ward sie noch einmal wach… sie schlug die Augen auf… jetzt waren sie nicht mehr hochm?tig und kalt… ein Fieber glitzerte feucht darin, als sie, gleichsam fremd, das Zimmer abtasteten… Dann sah sie mich an: sie schien nachzudenken, sich erinnern zu wollen an mein Gesicht… und pl?tzlich… ich sah es… erinnerte sie sich… denn irgendein Schreck… etwas Feindliches, Entsetztes spannte ihr Gesicht… sie arbeitete mit den Armen, als wollte sie fl?chten… weg, weg, weg von mir… ich sah, sie dachte an das… an die Stunde von damals… Aber dann kam ein Besinnen… sie sah mich ruhiger an, atmete schwer… ich f?hlte, sie wollte sprechen, etwas sagen… Wieder begannen die H?nde sich zu spannen… sie wollte sich aufheben, aber sie war zu schwach… Ich beruhigte sie, beugte mich nieder… da sah sie mich an mit einem langen, gequ?lten Blick… ihre Lippen regten sich leise… es war nur ein letzter erl?schender Laut, wie sie sagte…

„Wird es niemand erfahren?… Niemand?“

„Niemand“, sagte ich mit aller Kraft der ?berzeugung, „ich verspreche es Ihnen.“ Aber ihr Auge war noch unruhig… Mit fiebriger Lippe ganz undeutlich arbeitete sie’s heraus. „Schw?ren Sie mir… niemand erfahren… schw?ren.“

Ich hob die Finger wie zum Eid[251]. Sie sah mich an…mit einem… einem unbeschreiblichen Blick… weich war er, warm, dankbar… ja, wirklich, wirklich dankbar… Sie wollte noch etwas sprechen, aber es ward ihr zu schwer. Lang lag sie, ganz matt von der Anstrengung, mit geschlossenen Augen. Dann begann das Entsetzliche… das Entsetzliche… eine ganz schwere Stunde k?mpfte sie noch: erst morgens war es zu Ende…“


Er schwieg lange. Ich merkte es nicht eher, als vom Mitteldeck die Glocke in die Stille schlug, ein, zwei, drei harte Schl?ge – drei Uhr. Das Mondlicht war matter geworden, aber irgendeine andere gelbe Helle zitterte schon unsicher in der Luft. Eine halbe, eine Stunde mehr, und dann war es Tag, war dies Grauen ausgel?scht im klaren Licht. Ich sah seine Z?ge jetzt deutlicher, da die Schatten nicht mehr so dicht und schwarz in unsern Winkel[252] fielen – er hatte die Kappe abgenommen, und unter dem blanken Sch?del[253] schien sein verqu?ltes Gesicht noch schreckhafter. Aber schon wandten sich die glitzernden Brillengl?ser wieder mir zu, er straffte[254] sich zusammen, und seine Stimme hatte einen scharfen Ton.

„Mit ihr war es nun zu Ende – aber nicht mit mir. Ich war allein mit der Leiche – aber allein in einem fremden Haus, allein in einer Stadt, die kein Geheimnis duldet, und ich… ich hatte das Geheimnis zu h?ten… Ja, denken Sie sich das nur aus, die ganze Situation: eine Frau aus der besten Gesellschaft der Kolonie, vollkommen gesund, die noch abends zuvor auf dem Regierungsball getanzt hat, liegt pl?tzlich tot in ihrem Bett… ein fremder Arzt ist bei ihr, den angeblich ihr Diener gerufen… niemand im Haus hat gesehen, wann und woher er kam… man hat sie nachts auf einer S?nfte hereingetragen und dann die T?ren geschlossen… und morgens ist sie tot… dann erst hat man die Diener gerufen, und pl?tzlich gellt das Haus von Geschrei… im Nu wissen es die Nachbarn, die ganze Stadt… und nur einer ist da, der das alles erkl?ren soll… ich, der fremde Mensch, der Arzt aus einer entlegenen Station… Eine erfreuliche Situation, nicht wahr?… Ich wusste, was mir bevorstand. Gl?cklicherweise war der Boy bei mir, der brave Bursche. Ich hatte ihm nur gesagt: „Die Frau will, dass niemand erf?hrt, was geschehen ist.“ Er sah mir in die Augen mit seinem h?ndisch feuchten und doch entschlossenen Blick: „Yes, Sir“, mehr sagte er nicht. Aber er wusch die Blutspuren vom Boden, richtete alles in beste Ordnung – und gerade seine Entschlossenheit gab mir die meine wieder.

Nie im Leben, das weiss ich, habe ich eine ?hnlich zusammengeballte Energie gehabt, nie werde ich sie wieder haben. Wenn man alles verloren hat, dann k?mpft man um das Letzte wie ein Verzweifelter – und das Letzte war ihr Verm?chtnis[255], das Geheimnis. Ich empfing voll Ruhe die Leute, erz?hlte ihnen allen die gleiche erdichtete[256] Geschichte, wie der Boy, den sie um den Arzt gesandt hatte, mich zuf?llig auf dem Wege traf. Aber w?hrend ich scheinbar ruhig redete, wartete… wartete ich immer auf das Entscheidende… auf den Totenbeschauer, der erst kommen musste, ehe wir sie in den Sarg verschliessen konnten und das Geheimnis mit ihr… Es war, vergessen Sie nicht, Donnerstag, und Samstag kam ihr Gatte…

Um neun Uhr h?rte ich endlich, wie man den Amtsarzt anmeldete. Ich hatte ihn rufen lassen – er war mein Vorgesetzter im Rang und gleichzeitig mein Konkurrent, derselbe Arzt, von dem sie seinerzeit so ver?chtlich[257] gesprochen und der offenbar meinen Wunsch nach Versetzung bereits erfahren hatte. Bei seinem ersten Blick sp?rte ich es schon: er war mir Feind. Aber gerade das straffte meine Kraft.

Im Vorzimmer fragte er schon: „Wann ist Frau… – er nannte ihren Namen – gestorben?“

„Um sechs Uhr morgens.“

„Wann sandte sie zu Ihnen?“

„Um elf Uhr abends.“

„Wussten Sie, dass ich ihr Arzt war?“

„Ja, aber es tat Eile not… und dann… die Verstorbene hatte ausdr?cklich mich verlangt. Sie hatte verboten, einen andern Arzt rufen zu lassen.“

Er starrte mich an: in seinem bleichen Gesicht flog eine R?te hoch, ich sp?rte, dass er erbittert war. Aber gerade das brauchte ich – alle meine Energien dr?ngten[258] sich zu rascher Entscheidung, denn ich sp?rte, lange hielten es meine Nerven nicht mehr aus. Er wollte etwas Feindliches erwidern, dann sagte er l?ssig: „Wenn Sie schon meinen, mich entbehren zu k?nnen[259], so ist es doch meine amtliche Pflicht, den Tod zu konstatieren und… wie er eingetreten ist.“ Ich antwortete nicht und liess ihn vorangehen. Dann trat ich zur?ck, schloss die T?r und legte den Schl?ssel auf den Tisch. ?berrascht zog er die Augenbrauen hoch: „Was bedeutet das?“

Ich stellte mich ruhig ihm gegen?ber: „Es handelt sich hier nicht darum, die Todesursache festzustellen, sondern – eine andere zu finden. Diese Frau hat mich gerufen, um sie nach… nach den Folgen eines verungl?ckten Eingriffes zu behandeln… ich konnte sie nicht mehr retten, aber ich habe ihr versprochen, ihre Ehre zu retten, und das werde ich tun. Und ich bitte Sie darum, mir zu helfen!“

Seine Augen waren ganz weit geworden vor Erstaunen. „Sie wollen doch nicht etwa sagen“, stammelte er dann, „dass ich, der Amtsarzt, hier ein Verbrechen decken soll?“

„Ja, das will ich, das muss ich wollen.“

„F?r Ihr Verbrechen soll ich…“

„Ich habe Ihnen gesagt, dass ich diese Frau nicht ber?hrt habe, sonst… sonst st?nde ich nicht vor Ihnen, sonst h?tte ich l?ngst mit mir Schluss gemacht. Sie hat ihr Vergehen[260] – wenn Sie es so nennen wollen – geb?sst[261], die Welt braucht davon nichts zu wissen. Und ich werde es nicht dulden, dass die Ehre dieser Frau jetzt noch unn?tig beschmutzt wird.“ Mein entschlossener Ton reizte ihn nur noch mehr auf. „Sie werden nicht dulden… so… nun, Sie sind ja mein Vorgesetzter… oder glauben es wenigstens schon zu sein… Versuchen Sie nur, mir zu befehlen… ich habe mir gleich gedacht, da ist Schmutziges im Spiel, wenn man Sie aus Ihrem Winkel herruft… eine saubere Praxis, die Sie da anfangen, ein sauberes Probest?ck… Aber jetzt werde ich untersuchen, ich, und Sie k?nnen sich darauf verlassen, dass ein Protokoll, unter dem mein Name steht, richtig sein wird. Ich werde keine L?ge unterschreiben.“

Ich war ganz ruhig.

„Ja – das m?ssen Sie diesmal doch. Denn fr?her werden Sie das Zimmer nicht verlassen.“

Ich griff dabei in die Tasche – meinen Revolver hatte ich nicht bei mir. Aber er zuckte zusammen. Ich trat einen Schritt auf ihn zu und sah ihn an. „H?ren Sie, ich werde Ihnen etwas sagen… damit es nicht zum ?ussersten kommt[262]. Mir liegt an meinem Leben nichts… nichts an dem eines andern – ich bin nun schon einmal soweit… mir liegt einzig daran, mein Versprechen einzul?sen, dass die Art dieses Todes geheim bleibt… H?ren Sie: ich gebe Ihnen mein Ehrenwort, dass, wenn Sie das Zertifikat unterfertigen, diese Frau sei an… nun an einer Zuf?lligkeit gestorben, dass ich dann noch im Laufe dieser Woche die Stadt und Indien verlasse… dass ich, wenn Sie es verlangen, meinen Revolver nehme und mich niederschiesse, sobald der Sarg in der Erde ist und ich sicher sein kann, dass niemand… Sie verstehen: niemand – mehr nachforschen[263] kann. Das wird Ihnen wohl gen?gen – das muss Ihnen gen?gen.“

Es muss etwas Gef?hrliches in meiner Stimme gewesen sein, denn wie ich unwillk?rlich n?hertrat, wich[264] er zur?ck mit jenem aufgerissenen Entsetzen, wie… wie eben Menschen vor dem Amokl?ufer fl?chten, wenn er rasend hinrennt mit geschwungenem[265] Kris… Und mit einem Mal war er anders… irgendwie geduckt[266] und gel?hmt… seine harte Haltung brach ein. Er murmelte mit einem letzten ganz weichen Widerstand: „Es w?re das erste Mal in meinem Leben, dass ich ein falsches Zertifikat unterzeichnete… immerhin, es wird sich schon eine Form finden lassen… man weiss ja auch, was vorkommt… Aber ich durfte doch nicht so ohne weiteres…“

„Gewiss durften Sie nicht“, half ich ihm, um ihn zu best?rken – aber jetzt, da Sie wissen, dass Sie nur einen Lebenden kr?nken[267] w?rden und einer Toten ein Entsetzliches t?ten, werden Sie doch gewiss nicht z?gern.“

Er nickte. Wir traten zum Tisch. Nach einigen Minuten war das Attest fertig (das dann auch in der Zeitung ver?ffentlicht wurde und glaubhaft eine Herzl?hmung[268] schilderte). Dann stand er auf, sah mich an: „Sie reisen noch diese Woche, nicht wahr?“

„Mein Ehrenwort.“

Er sah mich wieder an. Ich merkte, er wollte streng, wollte sachlich erscheinen. „Ich besorge sofort einen Sarg“, sagte er, um seine Verlegenheit zu decken. Pl?tzlich streckte er mir die Hand hin und sch?ttelte sie mit einer aufspringenden Herzlichkeit. „?berstehen Sie’s gut“, sagte er – ich wusste nicht, was er meinte. War ich krank? War ich… wahnsinnig? Ich begleitete ihn zur T?r, schloss auf, aber das war meine letzte Kraft, die hinter ihm die T?r schloss. Dann kam dies Ticken wieder in die Schl?fen, alles schwankte und kreiste: und gerade vor ihrem Bett fiel ich zusammen… so… so wie der Amokl?ufer am Ende seines Laufs sinnlos niederf?llt mit zersprengten Nerven.“


Wieder hielt er inne[269]. Irgendwie fr?stelte mich: war das erster Schauer des Morgenwinds, der jetzt leise sausend ?ber das Schiff lief? Aber das gequ?lte Gesicht spannte sich wieder zusammen: „Wie lang ich so auf der Matte gelegen hatte, weiss ich nicht. Da r?hrte mich es an. Ich fuhr auf. Es war der Boy.

„Es will jemand herein… will sie sehen…“

„Niemand darf herein.“

„Ja… aber…“

Seine Augen waren erschreckt. Er wollte etwas sagen und wagte es doch nicht. Das treue Tier litt irgendwie eine Qual.

„Wer ist es?“

Er sah mich zitternd an wie in Furcht vor einem Schlag. Und dann sagte er – er nannte keinen Namen, dann sagte er… ganz, ganz ?ngstlich… „Er ist es.“

Ich fuhr auf, verstand sofort und war sofort ganz Gier, ganz Ungeduld nach diesem Unbekannten. Denn sehen Sie, wie sonderbar… inmitten all dieser Qual, in diesem Fieber von Verlangen, von Angst und Hast hatte ich ganz an „ihn“ vergessen… vergessen, dass da noch ein Mann im Spiele war… der Mann, den diese Frau geliebt, dem sie leidenschaftlich das gegeben, was sie mir verweigert[270]… Vor zw?lf, vor vierundzwanzig Stunden h?tte ich diesen Mann noch gehasst, ihn noch zerfleischen k?nnen… Jetzt… ich kann, ich kann Ihnen nicht schildern, wie es mich jagte, ihn zu sehen… ihn… zu lieben, weil sie ihn geliebt.


Mit einem Ruck war ich bei der T?r. Ein junger, ganz junger blonder Offizier stand dort, sehr linkisch[271], sehr schmal, sehr blass. Wie ein Kind sah er aus, so… so r?hrend jung… und uns?glich ersch?tterte mich gleich, wie er sich m?hte, Mann zu sein, Haltung zu zeigen… Ich sah sofort, dass seine H?nde zitterten, als er zur M?tze fuhr… Am liebsten h?tte ich ihn umarmt… weil er ganz so war, wie ich mir es w?nschte, dass der Mann sein sollte, der diese Frau besessen… kein Verf?hrer, kein Hochm?tiger… nein, ein halbes Kind, ein reines Wesen, dem sie sich geschenkt. Ganz befangen stand der junge Mensch vor mir. Mein gieriger Blick, mein leidenschaftlicher Aufsprung machten ihn noch mehr verwirrt.


„Verzeihen Sie“, sagte er dann endlich. „Ich h?tte gerne Frau… gerne noch… gesehen.“ Unbewusst, ganz ohne es zu wollen, legte ich ihm, dem Fremden, meinen Arm um die Schulter, f?hrte ihn, wie man einen Kranken f?hrt. Er sah mich erstaunt an mit einem unendlich warmen und dankbaren Blick… irgendein Verstehen unserer Gemeinschaft war schon in dieser Sekunde zwischen uns beiden… Wir gingen zu der Toten… Sie lag da, weiss, in den weissen Linnen – ich sp?rte, dass meine N?he ihn noch bedr?ckte… so trat ich zur?ck, um ihn allein zu lassen mit ihr. Er ging langsam n?her mit… er ging so wie… wie einer, der gegen einen ungeheuren Sturm geht… Und pl?tzlich brach er vor dem Bett in die Knie… genau so, wie ich hingebrochen war.


Ich sprang sofort vor, hob ihn empor und f?hrte ihn zu einem Sessel. Er sch?mte sich nicht mehr, sondern schluchzte seine Qual heraus. Ich vermochte nichts zu sagen – nur mit der Hand strich ich ihm unbewusst ?ber sein blondes, kindlich weiches Haar. Er griff nach meiner Hand… ganz lind und doch ?ngstlich… und mit einem Mal f?hlte ich seinen Blick an mir h?ngen…

„Sagen Sie mir die Wahrheit, Doktor“, stammelte er, „hat sie selbst Hand an sich gelegt[272]?“

„Nein“, sagte ich. „Und ist… ich meine… ist irgend… irgendjemand schuld an ihrem Tode?“ „Nein“, sagte ich wieder, obwohl ich wollte entgegenschreien: „Ich! Ich! Ich!.. Und du!.. Wir beide! Und ihr Trotz, ihr unseliger Trotz!“ Aber ich hielt mich zur?ck. Ich wiederholte noch einmal: „Nein… niemand hat schuld daran… es war ein Verh?ngnis[273]!“

„Ich kann es nicht glauben“, st?hnte er, „ich kann es nicht glauben. Sie war noch vorgestern auf dem Balle, sie l?chelte, sie winkte mir zu. Wie ist das m?glich, wie konnte das geschehen?“

Ich erz?hlte eine lange L?ge. Auch ihm verriet ich ihr Geheimnis nicht. Wie zwei Br?der sprachen wir zusammen alle diese Tage… und das wir einander nicht anvertrauten, aber wir sp?rten einer vom andern, dass unser ganzes Leben an dieser Frau hing… Nie hat er erfahren, dass sie ein Kind von ihm trug… dass ich das Kind, sein Kind, h?tte t?ten sollen, und dass sie es mit sich selbst in den Abgrund gerissen. Und doch sprachen wir nur von ihr in diesen Tagen, w?hrend derer ich mich bei ihm verbarg… denn – das hatte ich vergessen, Ihnen zu sagen – man suchte nach mir…


Ihr Mann war gekommen, als der Sarg schon geschlossen war… er wollte den Befund[274] nicht glauben… und er suchte mich. Aber ich konnte es nicht ertragen, ihn zu sehen, ihn, von dem ich wusste, dass sie unter ihm gelitten[275]… Vier Tage ging ich nicht aus dem Hause, gingen wir beide nicht aus der Wohnung… ihr Geliebter hatte mir unter einem falschen Namen einen Schiffsplatz genommen, damit ich fl?chten k?nne… wie ein Dieb bin ich nachts auf das Deck geschlichen, dass niemand mich erkennt… Alles habe ich zur?ckgelassen, was ich besitze… und die Herren von der Regierung haben mich wohl schon gestrichen, weil ich ohne Urlaub meinen Posten verliess… Aber ich konnte nicht leben mehr in diesem Haus, in dieser Stadt… in dieser Welt, wo alles mich an sie erinnert… wie ein Dieb bin ich geflohen in der Nacht… nur sie zu vergessen…Aber… wie ich an Bord kam… nachts… mitternachts… mein Freund war mit mir… da… da… zogen sie gerade am Kran etwas herauf… rechteckig[276], schwarz… ihren Sarg… h?ren Sie: ihren Sarg… sie hat mich hierher verfolgt, wie ich sie verfolgte… und ich musste dabeistehen, mich fremd stellen, denn er, ihr Mann, war mit… er begleitet ihn nach England… vielleicht will er dort eine Autopsie[277] machen lassen….. jetzt geh?rt sie wieder ihm… nicht uns mehr, uns… uns beiden… Aber ich bin noch da… ich gehe mit bis zur letzten Stunde… er wird, er darf es nie erfahren… ihr Geheimnis geh?rt mir, nur mir allein… Verstehen Sie jetzt… verstehen Sie jetzt… warum ich die Menschen nicht sehen kann… ihr Gel?chter nicht h?ren… wenn sie flirten und sich paaren… denn da drunten… drunten im Lagerraum steht der Sarg verstaut…

Ich kann nicht hin, der Raum ist versperrt… aber ich weiss es mit allen meinen Sinnen, weiss es in jeder Sekunde… auch wenn sie hier Walzer spielen und Tango… diese Tote, ich sp?re sie, und ich weiss, was sie von mir will… ich weiss es, ich habe noch eine Pflicht… ich bin noch nicht zu Ende… noch ist ihr Geheimnis nicht gerettet… sie gibt mich noch nicht frei…“


Vom Mittelschiff[278] kamen schlurfende[279] Schritte: Matrosen begannen das Deck zu scheuern[280]. Er stand auf und murmelte: „Ich gehe schon… ich gehe schon.“ Es war eine Qual, ihn anzuschauen: seinen verw?steten [281]Blick, die gedunsenen Augen, rot von Trinken oder Tr?nen. Ich sp?rte aus seinem Wesen Scham, unendliche Scham, sich verraten zu haben an mich, an diese Nacht. Unwillk?rlich sagte ich: „Darf ich vielleicht nachmittags zu Ihnen in die Kabine kommen…“

Er sah mich an – ein harter, zynischer Zug zerrte an seinen Lippen, etwas B?ses stiess und verkr?mmte jedes Wort.


„Aha… Ihre famose Pflicht, zu helfen… aha… Mit der Maxime haben Sie mich ja gl?cklich zum Schwatzen[282] gebracht. Aber nein, mein Herr, ich danke. Glauben Sie ja nicht, dass mir jetzt leichter sei. Mein verpfuschtes[283] Leben kann mir keiner mehr zusammenflicken… ich habe eben umsonst der holl?ndischen Regierung gedient… die Pension ist futsch[284], ich komme als armer Hund nach Europa zur?ck… ein Hund, der hinter einem Sarg herwinselt[285]… man l?uft nicht lange ungestraft Amok, am Ende schl?gts einen doch nieder, und ich hoffe, ich bin bald am Ende… Nein, danke, mein Herr, f?r Ihren g?tigen Besuch… ich habe schon in der Kabine meine Gef?hrten[286]… ein paar gute alte Flaschen Whisky, die tr?sten mich manchmal, und dann meinen Freund von damals, an den ich mich leider nicht rechtzeitig gewandt habe, meinen braven Browning… Bitte, bem?hen Sie sich nicht… das einzige Menschenrecht, das einem bleibt, ist doch: zu krepieren[287] wie man will… und dabei ungeschoren zu bleiben von fremder Hilfe.“

Er sah mich noch einmal h?hnisch[288]… ja herausfordernd an, aber ich sp?rte: es war nur Scham, grenzenlose Scham. Dann duckte er die Schultern, wandte sich um, ohne zu gr?ssen, und ging merkw?rdig schief ?ber das schon helle Verdeck den Kabinen zu. Ich habe ihn nicht mehr gesehen. Vergebens[289] suchte ich ihn nachts und die n?chste Nacht an der gewohnten Stelle. Er blieb verschwunden, und ich h?tte an einen Traum geglaubt oder an eine phantastische Erscheinung, w?re mir nicht inzwischen unter den Passagieren ein anderer aufgefallen, mit einem Trauerflor um den Arm, ein holl?ndischer Grosskaufmann, der eben seine Frau an einer Tropenkrankheit verloren hatte. Ich bog immer zur Seite, wenn er vor?berkam, um nicht mit einem Blick zu verraten, dass ich mehr von seinem Schicksal wusste als er selbst.

Im Hafen von Neapel ereignete sich dann jener merkw?rdige Unfall, dessen Deutung ich in der Erz?hlung des Fremden zu finden glaube. Die meisten Passagiere waren abends von Bord gegangen, ich selbst in die Oper und dann noch in eines der hellen Caf?s an der Via Roma. Als wir mit einem Ruderboot[290] zu dem Dampfer zur?ckkehrten, fiel mir schon auf, dass einige Boote mit Fackeln und Azetylen Lampen das Schiff suchend umkreisten, und oben am dunklen Bord war ein geheimnisvolles Gehen und Kommen von Gendarmerie. Ich fragte einen Matrosen, was geschehen sei. Er wich in einer Weise aus, die sofort zeigte, dass Auftrag zum Schweigen gegeben sei, und auch am n?chsten Tage war nichts an Bord zu erfahren.

Erst in den italienischen Zeitungen las ich dann romantisch ausgeschm?ckt, von jenem angeblichen Unfall im Hafen von Neapel. In jener Nacht sollte der Sarg einer vornehmen Dame aus den holl?ndischen Kolonien von Bord des Schiffes auf ein Boot gebracht werden, und man liess ihn eben in Gegenwart [291]des Gatten die Strickleiter[292] herab, als irgendetwas Schweres vom hohen Bord niederst?rzte und den Sarg mit den Tr?gern und dem Gatten mit sich in die Tiefe riss. Eine Zeitung behauptete, es sei ein Irrsinniger gewesen, der sich die Treppe hinab auf die Strickleiter gest?rzt habe, eine andere besch?nigte[293], die Leiter sei von selbst unter dem ?bergrossen Gewicht gerissen: jedenfalls schien die Schifffahrtsgesellschaft alles getan zu haben, um den genauen Sachverhalt zu verschleiern[294]. Man rettete nicht ohne M?he die Tr?ger und den Gatten der Verstorbenen mit Booten aus dem Wasser, der Bleisarg aber ging sofort in die Tiefe und konnte nicht mehr geborgen werden.

Dass gleichzeitig in einer andern Notiz kurz erw?hnt wurde, es sei die Leiche eines etwa vierzigj?hrigen Mannes im Hafen angeschwemmt[295] worden, schien f?r die ?ffentlichkeit in keinem Zusammenhang mit dem romantisch reportierten Unfall zu stehen; mir aber war, kaum dass ich die fl?chtige Zeile gelesen, als starre pl?tzlich hinter dem papierenen Blatt das mondweisse Antlitz mit den glitzernden Brillengl?sern mir noch einmal gespenstisch[296] entgegen.

Schachnovelle

Auf dem grossen Passagierdampfer, der um Mitternacht von New York nach Buenos Aires abgehen sollte, herrschte die ?bliche Gesch?ftigkeit und Bewegung der letzten Stunde. G?ste vom Land dr?ngten[297] durcheinander, um ihren Freunden das Geleit zu geben[298], Telegraphenboys mit schiefen M?tzen schossen Namen ausrufend durch die Gesellschaftsr?ume, Koffer und Blumen wurden geschleppt, Kinder liefen neugierig treppauf und treppab, w?hrend das Orchester unersch?tterlich zur Deck-show spielte.

Ich stand im Gespr?ch mit einem Bekannten etwas abseits von diesem Get?mmel [299]auf dem Promenadendeck, als neben uns zwei-oder dreimal Blitzlicht scharf aufspr?hte – anscheinend war irgendein Prominenter knapp vor der Abfahrt noch rasch von Reportern interviewt und fotografiert worden.

Mein Freund blickte hin und l?chelte. „Sie haben da einen raren Vogel an Bord, den Czentovic.“ Und da ich offenbar ein ziemlich verst?ndnisloses Gesicht zu dieser Mitteilung machte, f?gte er erkl?rend bei: „Mirko Czentovic, der Weltschachmeister. Er hat ganz Amerika von Ost nach West mit Turnierspielen abgeklappert und f?hrt jetzt zu neuen Triumphen nach Argentinien.“

In der Tat erinnerte ich mich nun dieses jungen Weltmeisters und sogar einiger Einzelheiten im Zusammenhang mit seiner raketenhaften Karriere; mein Freund, ein aufmerksamerer Zeitungsleser als ich, konnte sie mit einer ganzen Reihe von Anekdoten erg?nzen. Czentovic hatte sich vor etwa einem Jahr mit einem Schlage neben die bew?hrtesten Altmeister der Schachkunst, wie Aljechin, Capablanca, Tartakower, Lasker, Bogoljubow, gestellt. Seit dem Auftreten des siebenj?hrigen Wunderkindes Rzecewski bei dem Schachturnier in New York hatte noch nie der Einbruch eines v?llig Unbekannten in die Gilde derart[300] allgemeines Aufsehen erregt. Denn Czentovics intellektuelle Eigenschaften schienen ihm keineswegs solch eine blendende Karriere von vornherein[301] zu weissagen. Bald sickerte[302] das Geheimnis durch, dass dieser Schachmeister in seinem Privatleben ausserstande[303] war, in irgendeiner Sprache einen Satz ohne orthographischen Fehler zu schreiben.

Sohn eines blutarmen s?dslawischen Donauschiffers, dessen winzige Barke eines Nachts von einem Getreidedampfer ?berrannt[304] wurde, war der damals Zw?lf. Nach dem Tode seines Vaters vom Pfarrer[305] aus Mitleid aufgenommen worden, und der gute Pater bem?hte sich redlich, durch h?usliche Nachhilfe wettzumachen, was das maulfaule, dumpfe, Kind in der Dorfschule nicht zu erlernen vermochte.

Aber die Anstrengungen blieben vergeblich. Mirko starrte die ihm schon hundertmal erkl?rten Schriftzeichen immer wieder fremd an. Wenn er rechnen sollte, musste er noch mit vierzehn Jahren die Finger zu Hilfe nehmen, und ein Buch oder eine Zeitung zu lesen, bedeutete f?r den noch besondere Anstrengung.

Dabei konnte man Mirko keineswegs unwillig oder widerspenstig[306] nennen. Was den guten Pfarrer aber an dem querk?pfigen Knaben am meisten verdross[307], war seine totale Teilnahmslosigkeit. Er tat nichts ohne besondere Aufforderung, stellte nie eine Frage, spielte nicht mit anderen Burschen und suchte von selbst keine Besch?ftigung; sobald Mirko die Verrichtungen des Haushalts erledigt hatte, sass er stur im Zimmer herum mit jenem leeren Blick. W?hrend der Pfarrer Abends mit dem Gendarmerie Wachtmeister seine ?blichen drei Schachpartien spielte, hockte[308] der blondstr?hnige Bursche stumm daneben und starrte unter seinen schweren Lidern anscheinend schl?frig und gleichg?ltig auf das karierte Brett.

Eines Winterabends klingelten, w?hrend die beiden Partner in ihre t?gliche Partie vertieft waren, von der Dorfstrasse her die Gl?ckchen eines Schlittens. Ein Bauer stapfte hastig herein, seine alte Mutter l?ge im Sterben, und der Pfarrer m?ge eilen, ihr noch rechtzeitig die letzte ?lung[309] zu erteilen. Ohne zu z?gern folgte ihm der Priester. Der Gendarmerie Wachtmeister, der sein Glas Bier noch nicht ausgetrunken hatte, z?ndete sich zum Abschied eine neue Pfeife an und bereitete sich eben vor, die schweren Schaftstiefel anzuziehen, als ihm auffiel, wie unentwegt der Blick Mirkos auf dem Schachbrett mit der angefangenen Partie haftete.

„Na, willst du sie zu Ende spielen?“ spasste er, vollkommen ?berzeugt, dass der schl?frige Junge nicht einen einzigen Stein auf dem Brett richtig zu r?cken verst?nde. Der Knabe starrte scheu auf, nickte dann und setzte sich auf den Platz des Pfarrers. Nach vierzehn Z?gen war der Gendarmerie Wachtmeister Geschlagen.

Die zweite Partie fiel nicht anders aus. „Bileams Esel[310]!“ rief erstaunt bei seiner R?ckkehr der Pfarrer aus, dem weniger bibelfesten Gendarmerie Wachtmeister erkl?rend, schon vor zweitausend Jahren h?tte sich ein ?hnliches Wunder ereignet, dass ein stummes Wesen pl?tzlich die Sprache der Weisheit gefunden habe. Trotz der vorger?ckten Stunde[311] konnte der Pfarrer sich nicht enthalten, seinen halb analphabetischen Famulus[312] zu einem Zweikampf herauszufordern. Mirko schlug auch ihn mit Leichtigkeit. Er spielte langsam, ohne ein einziges Mal die gesenkte breite Stirn vom Brette aufzuheben. Aber er spielte mit unwiderlegbarer Sicherheit.

Der Pfarrer wurde nun ernstlich neugierig, wie weit diese einseitige sonderbare Begabung einer strengeren Pr?fung standhalten w?rde. Er nahm Mirko in seinem Schlitten in die kleine Nachbarstadt mit, wo er im Caf? des Hauptplatzes eine Ecke mit enragierten Schachspielern wusste. Es erregte bei der ans?ssigen Runde nicht geringes Staunen, als der Pfarrer den f?nfzehnj?hrigen Burschen in seinem hohen Schaftstiefeln in das Kaffeehaus schob, wo der Junge befremdet mit sche Augen in einer Ecke stehenblieb, bis man ihn zu einem der Schachtische hinrief.

In der ersten Partie wurde Mirko geschlagen, da er die sogenannte Sizilianische Er?ffnung bei dem guten Pfarrer nie gesehen hatte. In der zweiten Partie kam er schon gegen den besten Spieler auf Remis. Von der dritten und vierten an schlug er sie alle, einen nach dem andern. Nun ereignen sich in einer kleinen s?dslawischen Provinzstadt h?chst selten aufregende Dinge; so wurde das erste Auftreten dieses b?uerlichen Champions f?r die versammelten Honoratioren zur Sensation. Einstimmig wurde beschlossen, der Wunderknabe m?sste unbedingt noch bis zum n?chsten Tage in der Stadt bleiben, damit man die anderen Mitglieder des Schachklubs zusammenrufen und vor allem den alten Grafen Simczic, einen Fanatiker des Schachspiels, auf seinem Schlosse verst?ndigen k?nne. Der junge Czentovic wurde im Hotel einquartiert und sah an diesem Abend zum ersten mal ein Stefan Zweig Wasserklosett.

Mirko, unbeweglich vier Stunden vor dem Brett sitzend, besiegte einen Spieler nach dem andern; schliesslich wurde eine Simultanpartie[313] vorgeschlagen. Es dauerte eine Weile, ehe man dem Unbelehrten begreiflich machen konnte, dass bei einer Simultanpartie er allein gegen die verschiedenen Spieler zu k?mpfen h?tte. Aber sobald Mirko diesen Usus begriffen, fand er sich rasch in die Aufgabe und gewann schliesslich sieben von den acht Partien.

Nun begannen grosse Beratungen. Obwohl dieser neue Champion nicht zur Stadt geh?rte, war doch der heimische Nationalstolz lebhaft entz?ndet[314]. Vielleicht konnte endlich die kleine Stadt zum ersten Mal sich die Ehre erwerben, einen ber?hmten Mann in die Welt zu schicken.

Ein Agent namens Koller, sonst nur Chansonetten und S?ngerinnen f?r das Kabarett der Garnison vermittelnd, erkl?rte sich bereit den jungen Menschen in Wien von einem ihm bekannten ausgezeichneten kleinen Meister fachm?ssig in der Schachkunst ausbilden zu lassen. Graf Simczic, dem in sechzig Jahren t?glichen Schachspieles nie ein so merkw?rdiger Gegner entgegengetreten war, zeichnete sofort den Betrag. Mit diesem Tage begann die erstaunliche Karriere des Schiffersohnes.

Nach einem halben Jahre beherrschte Mirko s?mtliche Geheimnisse der Schachtechnik, allerdings mit einer seltsamen Einschr?nkung, die sp?ter in den Fachkreisen viel beobachtet wurde. Denn Czentovic brachte es nie dazu, auch nur eine einzige Schachpartie auswendig – oder wie man fachgem?ss sagt: blind – zu spielen[315]. Ihm fehlte vollkommen die F?higkeit, das Schlachtfeld in den unbegrenzten Raum der Phantasie zu stellen. Er musste immer das schwarzweisse Karree mit den vierundsechzig Feldern und zweiunddreissig Figuren handgreiflich vor sich haben. Aber diese merkw?rdige Eigenheit verz?gerte keineswegs Mirkos Aufstieg. Mit siebzehn Jahren hatte er schon ein Dutzend Schachpreise gewonnen, mit achtzehn sich die ungarische Meisterschaft, mit zwanzig endlich die Weltmeisterschaft erobert.

So geschah es, dass in die illustre Galerie der Schachmeister, die in ihren Reihen die verschiedensten Typen intellektueller ?berlegenheit vereinigt zum ersten Mal ein v?lliger Outsider der geistigen Welt einbrach, ein schwerer Bauernbursche, aus dem auch nur ein einziges publizistisch brauchbares Wort herauszulocken[316] selbst den gerissensten Journalisten nie gelang. Er ersetzte bald reichlich durch Anekdoten ?ber seine Person. Trotz seines feierlichen schwarzen Anzuges, seiner pomp?sen Krawatte und seiner m?hsam manik?rten Finger blieb er in seinen Manieren derselbe beschr?nkte Bauernjunge, der im Dorf die Stube des Pfarrers gefegt. Ungeschickt suchte er zum Gaudium[317] und zum ?rger seiner Fachkollegen aus seiner Begabung und seinem Ruhm mit einer kleinlichen und sogar oft ordin?ren Habgier[318] herauszuholen, was an Geld herauszuholen war. Er reiste von Stadt zu Stadt, immer in den billigsten Hotels wohnend, er spielte in den kl?glichsten Vereinen, sofern man ihm sein Honorar bewilligte, er liess sich abbilden auf Seifenreklamen und verkaufte sogar, ohne auf den Spott seiner Konkurrenten zu achten, die genau wussten, dass er nicht im Stande war, drei S?tze richtig zu schreiben, seinen Namen f?r eine „Philosophie des Schachs“, die in Wirklichkeit ein kleiner galizischer Student f?r den gesch?ftst?chtigen Verleger geschrieben. Wie allen z?hen Naturen fehlte ihm jeder Sinn f?r das L?cherliche: seit seinem Siege im Weltturnier hielt er sich f?r den wichtigsten Mann der Welt.

„Aber wie sollte ein so rascher Ruhm[319] nicht einen so leeren Kopf beduseln?“ schloss mein Freund. „Ist es nicht eigentlich verflucht leicht, sich f?r einen grossen Menschen zu halten, wenn man nicht mit der leisesten Ahnung belastet ist, dass ein Rembrandt, ein Beethoven, ein Dante, Stefan Zweig ein Napoleon je gelebt haben? Dieser Bursche weiss in seinem Gehirn nur das eine, dass er seit Monaten nicht eine einzige Schachpartie verloren hat, und da er eben nicht ahnt, dass es ausser Schach und Geld noch andere Werte auf unserer Erde gibt, hat er allen Grund, von sich begeistert zu sein.“

Diese Mitteilungen meines Freundes verfehlten nicht, meine besondere Neugierde zu erregen. Alle Arten von monomanischen, in eine einzige Idee verschossenen Menschen haben mich zeitlebens angereizt. So machte ich aus meiner Absicht, dieses sonderbare Spezimen intellektueller Eingleisigkeit auf der zw?lft?gigen Fahrt bis Rio n?her unter die Lupe zu nehmen, kein Hehl. Jedoch: „Da werden Sie wenig Gl?ck haben“, warnte mein Freund. „Soviel ich weiss, ist es noch keinem gelungen, aus Czentovic das geringste an psychologischem Material herauszuholen. Hinter all seiner Beschr?nktheit verbirgt dieser gerissene Bauer die grosse Klugheit, und zwar dank der simplen Technik, dass er ausser mit Landsleuten seiner eigenen Sph?re, jedes Gespr?ch vermeidet. Wo er einen gebildeten Menschen sp?rt, kriecht er in sein Schneckenhaus; so kann niemand sich r?hmen[320], je ein dummes Wort von ihm geh?rt oder die angeblich unbegrenzte Tiefe seiner Unbildung ausgemessen zu haben.“

Mein Freund sollte in der Tat recht behalten. W?hrend der ersten Tage der Reise erwies es sich als vollkommen unm?glich, an Czentovic heranzukommen. Manchmal schritt er zwar ?ber das Promenadendeck, aber dann immer die H?nde auf dem R?cken verschr?nkt mit jener stolz in sich versenkten Haltung, wie Napoleon auf dem bekannten Bilde. Nach drei Tagen begann ich mich tats?chlich zu ?rgern, dass seine geschickte [321] Abwehrtechnik geschickter war als mein Wille, an ihn heranzukommen. Ich hatte in meinem Leben noch nie Gelegenheit gehabt, die pers?nliche Bekanntschaft eines Schachmeisters zu machen, und je mehr ich mich jetzt bem?hte, mir einen solchen Typus zu personifizieren, um so unvorstellbarer schien mir eine Gehirnt?tigkeit, die ein ganzes Leben lang ausschliesslich um einen Raum von vierundsechzig schwarzen und weissen Feldern rotiert. Ich wusste wohl aus eigener Erfahrung um die geheimnisvolle Attraktion des „k?niglichen Spiels“, dieses einzigen unter allen Spielen, die der Mensch ersonnen, das sich souver?n jeder Tyrannis des Zufalls entzieht und seine Siegespalmen einzig dem Geist oder vielmehr einer bestimmten Form geistiger Begabung[322] zuteilt.

Und nun war ein solches Ph?nomen, ein solches sonderbares Genie zum ersten Mal ganz nahe. Ich begann, mir die absurdesten Listen auszudenken: etwa, ihn in seiner Eitelkeit zu kitzeln[323], indem ich ihm ein angebliches Interview f?r eine wichtige Zeitung vort?uschte, oder bei seiner Habgier zu packen, dadurch, dass ich ihm ein eintr?gliches Turnier in Schottland proponierte. Aber schliesslich erinnerte ich mich, dass die bew?hrteste Technik der J?ger, den Auerhahn[324] an sich heranzulocken, darin besteht, dass sie seinen Balzschrei nachahmen; was konnte eigentlich wirksamer sein, um die Aufmerksamkeit eines Schachmeisters auf sich zu ziehen, als indem man selber Schach spielte?

Nun bin ich zeitlebens nie ein ernstlicher Schachk?nstler gewesen, und zwar aus dem einfachen Grunde, weil ich mich mit Schach immer bloss leichtfertig und ausschliesslich zu meinem Vergn?gen befasste; wenn ich mich f?r eine Stunde vor das Brett setze, geschieht dies keineswegs, um mich anzustrengen, sondern im Gegenteil, um mich von geistiger Anspannung zu entlasten. Um sie aus ihren H?hlen herauszulocken, stellte ich im Smoking Room eine primitive Falle auf, indem ich mich mit meiner Frau, obwohl sie noch schw?cher spielt als ich, vor ein Schachbrett setzte. Und tats?chlich, wir hatten noch nicht sechs Z?ge getan, so blieb schon jemand im Vor?bergehen stehen, ein zweiter erbat die Erlaubnis, zusehen zu d?rfen; schliesslich fand sich auch der erw?nschte Partner, der mich zu einer Partie herausforderte. Er hiess McConnor und war ein schottischer Tiefbauingenieur. Er geh?rte zu jener Sorte selbstbesessener Erfolgsmenschen, die auch im belanglosesten Spiel eine Niederlage schon als Herabsetzung ihres Pers?nlichkeitsbewusstseins empfinden. Als er die erste Partie verlor, wurde er m?rrisch[325], bei der dritten machte er den L?rm im Nachbarraum f?r sein Versagen verantwortlich.

Am dritten Tag gelang es und gelang doch nur halb. Sei es, dass Czentovic uns vom Promenadendeck aus durch das Bordfenster vor dem Schachbrett beobachtet oder dass er nur zuf?lligerweise den Smoking Room mit seiner Anwesenheit beehrte – jedenfalls trat er, sobald er uns Unberufene seine Kunst aus?ben sah, unwillk?rlich einen Schritt n?her und warf aus dieser gemessenen Distanz einen pr?fenden Blick auf unser Brett. McConnor war gerade am Zuge. Und schon dieser eine Zug schien ausreichend, um Czentovic zu belehren, wie wenig ein weiteres Verfolgen unserer dilettantischen Bem?hungen seines meisterlichen Interesses w?rdig sei.

„Gewogen und zu leicht befunden“, dachte ich mir, ein bisschen ver?rgert durch diesen k?hlen, ver?chtlichen Blick, und um meinem Unmut irgendwie Luft zu machen[326], ?usserte ich zu McConnor: „Ihr Zug scheint den Meister nicht sehr begeistert zu haben.“

„Welchen Meister?“

Ich erkl?rte ihm, jener Herr, der eben an uns vor?bergegangen und mit missbilligendem Blick auf unser Spiel gesehen, sei der Schachmeister Czentovic gewesen.

Aber zu meiner ?berraschung ?bte auf McConnor meine l?ssige Mitteilung eine v?llig unerwartete Wirkung. Er wurde sofort erregt, vergass unsere Partie, und sein Ehrgeiz begann geradezu h?rbar zu pochen. Ob ich den Schachmeister pers?nlich kenne? Ich verneinte. Ob ich ihn nicht ansprechen wolle und zu uns bitten? Ich lehnte ab mit der Begr?ndung, Czentovic sei meines Wissens f?r neue Bekanntschaften nicht sehr zug?nglich. Ausserdem, was f?r einen Reiz sollte es einem Weltmeister bieten, mit uns drittklassigen Spielern sich abzugeben?

Nun, das mit den drittklassigen Spielern h?tte ich zu einem derart ehrgeizigen Manne wie McConnor lieber nicht ?ussern sollen. Er lehnte sich ver?rgert zur?ck und erkl?rte schroff, er f?r seinen Teil k?nne nicht glauben, dass Czentovic die h?fliche Aufforderung eines Gentlemans ablehnen werde, daf?r werde er schon sorgen. Ich wartete ziemlich gespannt. Nach zehn Minuten kehrte McConnor zur?ck, nicht sehr aufger?umt[327], wie mir schien.

„Nun?“ fragte ich. „Sie haben recht gehabt“, antwortete er etwas ver?rgert. „Kein sehr angenehmer Herr. Ich stellte mich vor, erkl?rte ihm, wer ich sei. Er reichte mir nicht einmal die Hand. Ich versuchte, ihm auseinanderzusetzen, wie stolz und geehrt wir alle an Bord sein w?rden, wenn er eine Simultanpartie gegen uns spielen wollte. Aber er hielt seinen R?cken verflucht steif; es t?te ihm leid, aber er habe kontraktliche Verpflichtungen gegen seinen Agenten, die ihm ausdr?cklich untersagten, w?hrend seiner ganzen Tournee ohne Honorar zu spielen. Sein Minimum sei zweihundertf?nfzig Dollar pro Partie.“

Ich lachte. „Auf diesen Gedanken w?re ich eigentlich nie geraten, dass Figuren von Schwarz auf Weiss zu schieben ein derart eintr?gliches Gesch?ft sein kann. Nun, ich hoffe, Sie haben sich ebenso h?flich empfohlen.“

Aber McConnor blieb vollkommen ernst. „Die Partie ist f?r morgen Nachmittag drei Uhr angesetzt. Hier im Rauchsalon. Ich hoffe, wir werden uns nicht so leicht zu Brei schlagen lassen.“

„Wie? Sie haben ihm die zweihundertf?nfzig Dollar bewilligt?“ rief ich ganz betroffen aus. „Warum nicht? Wenn ich Zahnschmerzen h?tte und es w?re zuf?llig ein Zahnarzt an Bord, w?rde ich auch nicht verlangen, dass er mir den Zahn umsonst ziehen soll. Der Mann hat ganz recht, dicke Preise zu machen.“

Am n?chsten Tage war unsere kleine Gruppe zur vereinbarten Stunde vollz?hlig erschienen. Der Mittelplatz gegen?ber dem Meister blieb selbstverst?ndlich McConnor zugeteilt, der seine Nervosit?t entlud, indem er eine schwere Zigarre nach der andern anz?ndete und immer wieder unruhig auf die Uhr blickte. Aber der Weltmeister liess gute zehn Minuten auf sich warten. Er trat ruhig und gelassen auf den Tisch zu. Ohne sich vorzustellen – „Ihr wisst, wer ich bin, und wer ihr seid, interessiert mich nicht“, schien diese Unh?flichkeit zu besagen, – begann er mit fachm?nnischer[328] Trockenheit die sachlichen Anordnungen[329]. Da eine Simultanpartie hier an Bord mangels[330] verf?gbarer Schachbretter unm?glich sei, schlage er vor, dass wir alle gemeinsam gegen ihn spielen sollten. Nach jedem Zug werde er, um unsere Beratungen nicht zu st?ren, sich zu einem anderen Tisch am Ende des Raumes verf?gen. Wir pflichteten selbstverst?ndlich wie sch?chterne Sch?ler jedem Vorschlage bei. Es hat wenig Sinn, ?ber die Partie zu berichten. Sie endete selbstverst?ndlich, wie sie enden musste: mit unserer totalen Niederlage, und zwar bereits beim vierundzwanzigsten Zuge. Dass nun ein Weltschachmeister ein halbes Dutzend mittlerer oder untermittlerer Spieler mit der linken Hand niederfegt, war an sich wenig erstaunlich; verdriesslich wirkte eigentlich auf uns alle nur die pr?potente Art, mit der Czentovic es uns allzu deutlich f?hlen liess, dass er uns mit der linken Hand erledigte. Schon war ich aufgestanden, um hilflos durch eine Geste anzudeuten, dass mit diesem erledigten Dollargesch?ft wenigstens meinerseits das Vergn?gen unserer Bekanntschaft beendet sei, als zu meinem ?rger neben mir McConnor mit ganz heiserer Stimme sagte: „Revanche!“ Ich erschrak geradezu ?ber den herausfordernden Ton. In diesem Augenblick wusste ich, dieser fanatisch Ehrgeizige w?rde, und sollte es ihn sein ganzes Verm?gen kosten, gegen Czentovic so lange spielen und spielen und spielen bis er wenigstens ein einziges Mal eine Partie gewonnen. Wenn Czentovic durchhielt, so hatte er an McConnor eine Goldgrube gefunden, aus der er bis Buenos Aires ein paar tausend Dollar schaufehl konnte. Czentovic blieb unbewegt. „Bitte“, antwortete er h?flich. „Die Herren spielen jetzt Schwarz.“

Auch die zweite Partie bot kein ver?ndertes Bild. McConnor blickte so starr auf das Brett, als wollte er die Figuren mit seinem Willen, zu gewinnen, magnetisieren. Ich sp?rte ihm an, dass er auch tausend Dollar begeistert geopfert h?tte f?r den Lustschrei „Matt!“.

Merkw?rdigerweise ging etwas von seiner verbissenen Erregung unbewusst in uns ?ber. Jeder einzelne Zug wurde ungleich leidenschaftlicher diskutiert als vordem, immer hielten wir noch im letzten Moment einer den andern zur?ck, ehe wir uns einigten, das Zeichen zu geben, das Czentovic an unseren Tisch zur?ckrief. Allm?hlich waren wir beim siebzehnten Zuge angelangt, und zu unserer eigenen ?berraschung war eine Konstellation eingetreten, die verbl?ffend vorteilhaft schien, weil es uns gelungen war, den Bauern der c-Linie bis auf das vorletzte Feld c zu bringen; wir brauchten ihn nur vorzuschieben auf c, um eine neue Dame zu gewinnen. Ganz behaglich[331] war uns freilich nicht bei dieser allzu offenkundigen Chance. Schliesslich, schon knapp am Rande der verstatteten ?berlegungsfrist, entschlossen wir uns, den Zug zu wagen. Schon r?hrte McConnor den Bauern an, um ihn auf das letzte Feld zu schieben, als er sich j?h am Arm gepackt f?hlte und jemand leise und heftig fl?sterte: „Um Gottes willen! Nicht![332]

Unwillk?rlich wandten wir uns alle um. Ein Herr von etwa f?nfundvierzig Jahren, musste in den letzten Minuten zu uns getreten sein. Hastig f?gte er, unsern Blick sp?rend, hinzu: „Wenn Sie jetzt eine Dame machen, schl?gt er sie sofort mit dem L?ufer c, Sie nehmen mit dem Springer zur?ck. Aber inzwischen geht er mit seinem Freibauern auf d, bedroht Ihren Turm, und auch wenn Sie mit dem Springer Schach sagen, verlieren Sie und sind nach neun bis zehn Z?gen erledigt. Es ist beinahe dieselbe Konstellation, wie sie Aljechin gegen Bogoljubow im Pistyaner Grossturnier initiiert hat.“

McConnor liess erstaunt die Hand von der Figur und starrte nicht minder verwundert als wir alle auf den Mann, der wie ein unvermuteter Engel helfend vom Himmel kam. Als erster fasste sich McConnor.

„Was w?rden Sie raten?“ fl?sterte er aufgeregt.

„Nicht gleich vorziehen, sondern zun?chst ausweichen! Vor allem mit dem K?nig abr?cken aus der gef?hrdeten Linie von g auf h. Er wird wahrscheinlich den Angriff dann auf die andere Flanke hin?berwerfen. Aber das parieren Sie mit Turm c – c; das kostet ihm zwei Tempi, einen Bauern und damit die ?berlegenheit. Dann stellt Freibauer gegen Freibauer, und wenn Sie sich richtig defensiv halten, kommen Sie noch auf Remis[333]. Mehr ist nicht herauszuholen.“

Wir staunten abermals. Es war, als ob er die Z?ge aus einem gedruckten Buch ablesen w?rde. Immerhin wirkte die unvermutete Chance, dank seines Eingreifens unsere Partie gegen einen Weltmeister auf Remis zu bringen, zauberisch.

Noch einmal fragte McConnor: „Also K?nig g auf h?“

„Jawohl! Ausweichen vor allem!“ McConnor gehorchte, und wir klopften an das Glas. Czentovic trat mit seinem an unseren Tisch und zog auf dem K?nigsfl?gel den Bauern h – h, genau wie es unser unbekannter Helfer vorausgesagt. Und schon fl?sterte dieser aufgeregt: „Turm vor, Turm vor, c auf c, er muss dann zuerst den Bauern decken. Aber das wird ihm nichts helfen! Sie schlagen, ohne sich um seinen Freibauern zu k?mmern, mit dem Springer c – d, und das Gleichgewicht ist wieder hergestellt. Den ganzen Druck vorw?rts[334], statt zu verteidigen!“

Wir verstanden nicht, was er meinte. F?r uns war, was er sagte, Chinesisch. Aber schon einmal in seinem Bann, zog McConnor, ohne zu ?berlegen, wie jener geboten. Wir schlugen abermals an das Glas, um Czentovic zur?ckzurufen. Zum erstenmal entschied er sich nicht rasch, sondern blickte gespannt auf das Brett. Dann tat er genau den Zug, den der Fremde uns angek?ndigt, und wandte sich zum Gehen. Jedoch ehe er zur?cktrat, geschah etwas Neues und Unerwartetes.

Czentovic hob den Blick und musterte unsere Reihen. Offenbar wollte er herausfinden, wer ihm mit einem mal so energischen Widerstand leistete. Von diesem Augenblick an wuchs unsere Erregung ins Ungemessene. Bisher hatten wir ohne ernstliche Hoffnung gespielt, nun aber trieb der Gedanke, den kalten Hochmut Czentovics zu brechen.

Und nun kam unser erster Triumph. Czentovic, der bisher immer nur im Stehen gespielt, z?gerte, z?gerte und setzte sich schliesslich nieder. Er setzte sich langsam und schwerf?llig. Czentovic ?berlegte einige Minuten, dann tat er einen Zug und stand auf. Und schon fl?sterte unser Freund: „Gut gedacht! Aber nicht darauf eingehen! Abtausch forcieren, unbedingt Abtausch, dann kommen wir auf Remis, und kein Gott kann ihm helfen.“

McConnor gehorchte. Es begann in den n?chsten Z?gen zwischen den beiden – wir anderen waren l?ngst zu leeren Statisten herabgesunken – ein uns unverst?ndliches Hin und Her. Nach etwa sieben Z?gen sah Czentovic nach l?ngerem Nachdenken auf und erkl?rte: „Remis.“

Einen Augenblick herrschte totale Stille. Keiner von uns atmete, es war zu pl?tzlich gekommen und wir alle noch geradezu erschrocken ?ber das Unwahrscheinliche, dass dieser Unbekannte dem Weltmeister in einer schon halb verlorenen Partie seinen Willen aufgezwungen haben sollte.

Ich beobachtete Czentovic. Er verharrte in seiner scheinbar gleichm?tigen Starre und fragte nur in l?ssiger Weise, w?hrend er die Figuren mit ruhiger Hand vom Brette schob: „W?nschen die Herren noch eine dritte Partie?“

Er stellte die Frage rein sachlich, rein gesch?ftlich. Aber das Merkw?rdige war, er hatte dabei nicht McConnor angeblickt, sondern scharf und gerade das Auge gegen unseren Retter erhoben. McConnor hat ihm triumphierend zugerufen: „Selbstverst?ndlich! Aber jetzt m?ssen Sie allein gegen ihn spielen! Sie allein gegen Czentovic!“

Doch nun ereignete sich etwas Unvorhergesehenes. Der Fremde schrak auf.

„Auf keinen Fall, meine Herren“, stammelte er sichtlich betroffen. „Das ist v?llig ausgeschlossen… ich komme gar nicht in Betracht… ich habe seit zwanzig, nein, f?nfundzwanzig Jahren vor keinem Schachbrett gesessen… und ich sehe erst jetzt, wie ungeh?rig ich mich betragen[335] habe, indem ich mich ohne Ihre Verstattung in Ihr Spiel einmengte… Bitte, entschuldigen Sie meine Vordringlichkeit… ich will gewiss nicht weiter st?ren.“

„Aber das ist doch ganz unm?glich!“ dr?hnte der temperamentvolle McConnor. „V?llig ausgeschlossen, dass dieser Mann f?nfundzwanzig Jahre nicht Schach gespielt haben soll! Er hat doch jeden Zug, jede Gegenpointe auf f?nf, auf sechs Z?ge vorausberechnet. So etwas kann niemand aus dem Handgelenk[336]. Das ist doch v?llig ausgeschlossen – nicht wahr?“

Mit der letzten Frage hatte sich McConnor unwillk?rlich an Czentovic gewandt. Aber der Weltmeister blieb unersch?tterlich k?hl. „Ich vermag dar?ber kein Urteil abzugeben. Jedenfalls hat der Herr interessant gespielt; deshalb habe ich ihm auch absichtlich eine Chance gelassen. “ Gleichzeitig l?ssig aufstehend, f?gte er in seiner sachlichen Art hinzu: „Sollte der Herr oder die Herren morgen eine abermalige Partie w?nschen, so stehe ich von drei Uhr ab zur Verf?gung.“

Wir konnten ein leises L?cheln nicht unterdr?cken. Jeder von uns wusste, dass Czentovic unserem unbekannten Helfer keineswegs grossm?tig eine Chance gelassen und diese Bemerkung nichts anderes als eine naive Ausflucht war, um sein eigenes Versagen zu maskieren. Mit einem Mal war ?ber uns friedliche, ehrgeizige Kampflust gekommen, denn der Gedanke, dass gerade auf unserem Schiff mitten auf dem Ozean dem Schachmeister die Palme entrungen werden k?nnte, faszinierte uns in herausforderndster Weise. Dazu kam noch der Reiz des Mysteri?sen, der von dem unerwarteten Eingreifen unseres Retters gerade im kritischen Moment ausging. Wer war dieser Unbekannte?

Wir beschlossen, alles zu versuchen, damit unser Helfer am n?chsten Tage eine Partie gegen Czentovic spiele. Da sich inzwischen durch Umfrage beim Steward herausgestellt hatte, dass der Unbekannte ein ?sterreicher sei, wurde mir als seinem Landsmann der Auftrag zugeteilt, ihm unsere Bitte zu unterbreiten.

Ich ben?tigte nicht lange, um auf dem Promenadendeck den so eilig Entfl?chteten aufzufinden. Kaum ich auf ihn zutrat, erhob er sich h?flich und stellte sich mit einem Namen vor, der mir sofort vertraut war als der einer hochangesehenen alt?sterreichischen Familie. Ich erinnerte mich, dass ein Tr?ger dieses Namens zu dem engsten Freundeskreise Schuberts geh?rt hatte und auch einer der Leib?rzte des alten Kaisers dieser Familie entstammte. Als ich Dr. B. unsere Bitte ?bermittelte, die

Herausforderung Czentovics anzunehmen, war er sichtlich verbl?fft[337]. Es erwies sich, dass er keine Ahnung gehabt hatte, bei jener Partie einen Weltmeister, und gar den zurzeit erfolgreichsten, ruhmreich bestanden zu haben. Aus irgendeinem Grunde schien diese Mitteilung auf ihn besonderen Eindruck zu machen, denn er erkundigte sich immer und immer wieder von neuem, ob ich dessen gewiss sei, dass sein Gegner tats?chlich ein anerkannter Weltmeister gewesen. Ich merkte bald, dass dieser Umstand meinen Auftrag erleichterte. Nach l?ngerem Z?gern erkl?rte sich Dr. B. schliesslich zu einem Match bereit, doch nicht ohne ausdr?cklich gebeten zu haben, die anderen Herren nochmals zu warnen, sie m?chten keineswegs auf sein K?nnen ?bertriebene Hoffnungen setzen. „Denn“, f?gte er mit einem versonnenen L?cheln hinzu, „ich weiss wahrhaftig nicht, ob ich f?hig bin, eine Schachpartie nach allen Regeln richtig zu spielen. Bitte glauben Sie mir, dass es keineswegs falsche Bescheidenheit war, wenn ich sagte, dass ich seit meiner Gymnasialzeit, also seit mehr als zwanzig Jahren, keine Schachfigur mehr ber?hrt habe. Und selbst zu jener Zeit galt ich bloss als Spieler ohne sonderliche Begabung.“

Er sagte dies in einer so nat?rlichen Weise, dass ich nicht den leisesten Zweifel an seiner Aufrichtigkeit hegen durfte. Dennoch konnte ich nicht umhin, meiner Verwunderung Ausdruck zu geben, wie genau er an jede einzelne Kombination der verschiedensten Meister sich erinnern k?nne; immerhin m?sse er sich doch wenigstens theoretisch mit Schach viel besch?ftigt haben. Dr. B. l?chelte abermals in jener merkw?rdig traumhaften Art.

„Viel besch?ftigt! – Weiss Gott, das kann man wohl sagen, dass ich mich mit Schach viel besch?ftigt habe. Aber das geschah unter ganz besonderen, ja v?llig einmaligen Umst?nden. Es war dies eine ziemlich komplizierte Geschichte, und sie k?nnte allenfalls als kleiner Beitrag gelten zu unserer lieblichen grossen Zeit. Wenn Sie eine halbe Stunde Geduld haben…“

Er hatte auf den Deckchair neben sich gedeutet. Gerne folgte ich seiner Einladung. Wir waren ohne Nachbarn. Dr. B. nahm die Lesebrille von den Augen, legte sie zur Seite und begann:

„Sie waren so freundlich, dass Sie sich als Wiener des Namens meiner Familie erinnerten. Aber ich vermute, Sie werden kaum von der Rechtsanwaltskanzlei geh?rt haben, die ich gemeinsam mit meinem Vater und sp?terhin allein leitete, denn wir f?hrten keine Causen, die publizistisch in der Zeitung abgehandelt wurden, und vermieden aus Prinzip neue Klienten.

In Wirklichkeit hatten wir eigentlich gar keine richtige Anwaltspraxis mehr, sondern beschr?nkten uns ausschliesslich auf die Rechtsberatung und vor allem Verm?gensverwaltung der grossen Kl?ster. Ausserdem war uns die Verwaltung der Fonds einiger Mitglieder der kaiserlichen Familie anvertraut.

Diese Verbindung zum Hof und zum Klerus – mein Onkel war Leibarzt des Kaisers, ein anderer Abt in Seitenstetten – reichten schon zwei Generationen zur?ck; wir hatten sie nur zu erhalten, und es war eine stille lautlose T?tigkeit, die uns durch dies ererbte Vertrauen zugeteilt war, eigentlich nicht viel mehr erfordernd als strengste Diskretion und Verl?sslichkeit, zwei Eigenschaften, die mein verstorbener Vater im h?chsten Masse besass; ihm ist es tats?chlich gelungen seinen Klienten betr?chtliche Verm?genswerte zu erhalten. Als dann Hitler in Deutschland ans Ruder kam und gegen den Besitz der Kirche und der Kl?ster seine Raubz?ge[338] begann, gingen auch von jenseits der Grenze mancherlei Verhandlungen und Transaktionen, um wenigstens den mobilen Besitz vor Beschlagnahme [339]zu retten, durch unsere H?nde, und von gewissen geheimen politischen Verhandlungen der Kurie und des Kaiserhauses wussten wir beide mehr, als die ?ffentlichkeit je erfahren wird.

Nun hatten die Nationalsozialisten, l?ngst ehe sie ihre Armeen gegen die Welt aufr?steten, eine andere ebenso gef?hrliche und geschulte Armee in allen Nachbarl?ndern zu organisieren begonnen. Selbst in unserer unscheinbaren Kanzlei hatten sie, wie ich leider erst zu sp?t erfuhr, ihren Mann. Die Post durfte er niemals ?ffnen, alle wichtigen Briefe schrieb ich, ohne Kopien zu hinterlegen. Dank dieser Vorsichtsmassnahmen bekam dieser Horchposten von den wesentlichen Vorg?ngen nichts zu sehen; aber durch einen ungl?cklichen Zufall musste der ehrgeizige und eitle Bursche bemerkt haben, dass man ihm misstraute und hinter seinem R?cken allerlei Interessantes geschah. Vielleicht hat einmal in meiner Abwesenheit einer der Kuriere unvorsichtigerweise von „Seiner Majest?t“ gesprochen, statt, wie vereinbart, vom „Baron Bern“, oder der Lump musste Briefe widerrechtlich ge?ffnet haben – jedenfalls holte er sich, ehe ich Verdacht sch?pfen konnte, von M?nchen oder Berlin Auftrag, uns zu ?berwachen.

Wie genau und liebevoll die Gestapo mir l?ngst ihre Aufmerksamkeit zugewandt hatte, erwies dann ?usserst handgreiflich der Umstand, dass noch am selben Abend, da Schuschnigg seine Abdankung[340] bekanntgab, und einen Tag, ehe Hitler in Wien einzog, ich bereits von SS-Leuten festgenommen war. Es war mir gl?cklicherweise noch gelungen, die allerwichtigsten Papiere zu verbrennen und den Rest der Dokumente habe ich in einem W?schekorb versteckt durch meine alte Haush?lterin zu meinem Onkel hin?ber.

Dr. B. unterbrach, um sich eine Zigarre anzuz?nden.

„Sie vermuten nun wahrscheinlich, dass ich Ihnen jetzt vom Konzentrationslager erz?hlen werde. Aber nichts dergleichen geschah. Ich kam in eine andere Kategorie. Ich wurde nicht zu ganz kleinen Gruppe zugeteilt, aus der die Nationalsozialisten entweder Geld oder wichtige Informationen herauszupressen[341] hofften. Leute meiner Kategorie, aus denen wichtiges Material oder Geld herausgepresst werden sollte, wurden deshalb nicht in Konzentrationslager abgeschoben, sondern f?r eine besondere Behandlung aufgespart. Sie erinnern sich vielleicht, dass unser Kanzler und anderseits der Baron Rothschild, dessen Verwandten sie Millionen abzun?tigen hofften, keineswegs in ein Gefangenenlager gesetzt wurden, sondern unter scheinbarer Bevorzugung in ein Hotel, das Hotel Metropole, das zugleich Hauptquartier der Gestapo war, ?bergef?hrt, wo jeder ein abgesondertes Zimmer erhielt. Auch mir unscheinbarem Mann wurde diese Auszeichnung erwiesen.

Ein eigenes Zimmer in einem Hotel – nicht wahr, das klingt an sich ?usserst human? Aber die Pression, mit der man uns das ben?tigte „Material“ abzwingen wollte, sollte auf subtilere Weise funktionieren als durch rohe Pr?gel oder k?rperliche Folterung:[342] durch die denkbar raffinierteste Isolierung. Man tat uns nichts – man stellte uns nur in das vollkommene Nichts, denn bekanntlich erzeugt kein Ding auf Erden einen solchen Druck auf die menschliche Seele wie das Nichts. Man hatte mir jeden Gegenstand abgenommen, die Uhr, damit ich nicht wisse um die Zeit, den Bleistift, dass ich nicht etwa schreiben k?nne, das Messer, damit ich mir nicht die Adern ?ffnen[343] k?nne.

Es gab nichts zu tun, nichts zu h?ren, nichts zu sehen, ?berall und ununterbrochen war um einen das Nichts, die v?llig raumlose und zeitlose Leere. Man wartete, wartete, man dachte, dachte, man dachte, bis einem die Schl?fen schmerzten. Nichts geschah. Man blieb allein. Allein.

Allein. Das dauerte vierzehn Tage, die ich ausserhalb der Zeit, ausserhalb der Welt lebte. W?re damals ein Krieg ausgebrochen, ich h?tte es nicht erfahren. Dann endlich begannen die Verh?re[344]. Man wurde gerufen und durch ein paar G?nge gef?hrt, man wusste nicht wohin; dann wartete man irgendwo und wusste nicht wo und stand pl?tzlich vor einem Tisch, um den ein paar uniformierte Leute sassen. Auf dem Tisch lag ein Stoss Papier: die Akten, von denen man nicht wusste, was sie enthielten, und dann begannen die Fragen, die echten und die falschen, die klaren und die t?ckischen, die Deckfragen und Fangfragen, und w?hrend man antwortete, bl?tterten fremde, b?se Finger in den Papieren, von denen man nicht wusste, was sie enthielten, und fremde, b?se Finger schrieben etwas in ein Protokoll, und man wusste nicht, was sie schrieben. Aber das F?rchterlichste bei diesen Verh?ren f?r mich war, dass ich nie erraten und errechnen konnte, was die Gestapoleute von den Vorg?ngen in meiner Kanzlei tats?chlich wussten und was sie erst aus mir herausholen wollten. Wie ich Ihnen bereits sagte, hatte ich die eigentlich belastenden Papiere meinem Onkel in letzter Stunde durch die Haush?lterin geschickt. Aber hatte er sie erhalten? Hatte er sie nicht erhalten? Und da ich nie errechnen konnte, wieviel sie schon ausgekundschaftet[345] hatten, wurde jede Antwort zur ungeheuersten Verantwortung. Aber das Verh?r war noch nicht das Schlimmste. Das Schlimmste war das Zur?ckkommen nach dem Verh?r in mein Nichts. Denn kaum allein mit mir, versuchte ich zu rekonstruieren, was ich am kl?gsten h?tte antworten sollen und was ich das n?chste Mal sagen m?sste. Im Konzentrationslager h?tte man vielleicht Steine karren m?ssen, bis einem die H?nde bluteten und die F?sse in den Schuhen abfroren. Aber man h?tte Gesichter gesehen, man h?tte ein Feld, irgendetwas anstarren k?nnen, indes hier immer dasselbe, das entsetzliche Dasselbe. Hier war nichts, was mich ablenken konnte von meinen Gedanken. Und gerade das beabsichtigten sie – ich sollte doch w?rgen[346] und w?rgen an meinen Gedanken, bis sie mich erstickten und ich nicht anders konnte, als sie schliesslich auszusagen, alles auszusagen, was sie wollten, endlich das Material und die Menschen auszuliefern. Um mich zu besch?ftigen, versuchte ich alles, was ich jemals auswendig gelernt. Dann versuchte ich zu rechnen, beliebige Zahlen zu addieren, zu dividieren, aber mein Ged?chtnis hatte im Leeren keine festhaltende Kraft. Ich konnte mich auf nichts konzentrieren. Immer fuhr und flackerte derselbe Gedanke dazwischen: Was wissen sie? Was habe ich gestern gesagt, was muss ich das n?chste Mal sagen?

Dieser eigentlich unbeschreibbare Zustand dauerte vier Monate. Nun – vier Monate, das schreibt sich leicht hin: nicht mehr als ein Buchstabe! Das spricht sich leicht aus: vier Monate – vier Silben. In einer Viertelstunde hat die Lippe rasch so einen Laut artikuliert: vier Monate! An kleinen Zeichen wurde ich beunruhigt gewahr, dass mein Gehirn in Unordnung geriet. Im Anfang war ich bei den Vernehmungen noch innerlich klar gewesen, ich hatte ruhig und ?berlegt ausgesagt; jenes Doppeldenken, was ich sagen sollte und was nicht, hatte noch funktioniert. Jetzt k?nne ich schon die einfachsten S?tze nur mehr stammelnd artikulieren. Ich sp?rte, meine Kraft liess nach, ich sp?rte, immer n?her r?ckte der Augenblick, in dem ich, um mich zu retten, alles sagen w?rde, was ich wusste und vielleicht noch mehr, in dem ich, um dem W?rgen[347] dieses Nichts zu entkommen, zw?lf Menschen und ihre Geheimnisse verraten w?rde, ohne mir selbst damit mehr zu schaffen als einen Atemzug Rast. An einem Abend war es wirklich schon so weit: als der W?rter zuf?llig in diesem Augenblick des Erstickens mir das Essen brachte, schrie ich ihm pl?tzlich nach: „F?hren Sie mich zur Vernehmung! Ich will alles sagen! Ich will sagen, wo die Papiere sind, wo das Geld liegt! Alles werde ich sagen, alles!“

Gl?cklicherweise h?rte er mich nicht mehr. Vielleicht wollte er mich auch nicht h?ren.In dieser ?ussersten Not ereignete sich nun etwas Unvorhergesehenes, was Rettung bot, Rettung zum mindesten f?r eine gewisse Zeit. Im Vorzimmer des Untersuchungsrichters musste ich warten. Immer musste man bei jeder Vorf?hrung warten: auch dieses Wartenlassen geh?rte zur Technik. Und man liess mich besonders lange warten an diesem Donnerstag.Die T?r war anders gestrichen, ein anderer Sessel stand an der Wand und links ein Registerschrank mit Akten sowie eine Garderobe mit Aufh?ngern, an denen drei oder vier nasse Milit?rm?ntel, die M?ntel meiner Folterknechte, hingen. Ich hatte also etwas Neues, zu betrachten, endlich einmal etwas anderes mit meinen ausgehungerten Augen, und sie krallten sich gierig[348] an jede Einzelheit. Pl?tzlich blieb mein Blick starr an etwas haften. Ich hatte entdeckt, dass an einem der M?ntel die Seitentasche etwas aufgebauscht war. Ich trat n?her heran und glaubte an der rechteckigen Form der Ausbuchtung zu erkennen, was diese etwas geschwellte Tasche in sich barg: ein Buch! Mir begannen die Knie zu zittern: ein BUCH! Vier Monate lang hatte ich kein Buch in der Hand gehabt, und schon die blosse Vorstellung eines Buches hatte etwas Berauschendes[349]. Schliesslich konnte ich meine Gier nicht verhalten; unwillk?rlich schob ich mich n?her heran. Schon der Gedanke, ein Buch durch den Stoff mit den H?nden wenigstens antasten zu k?nnen, machte mir die Nerven in den Fingern bis zu den N?geln gl?hen. Gl?cklicherweise achtete der W?rter nicht auf mein sonderbares Gehaben[350]. Schliesslich stand ich schon ganz nahe bei dem Mantel. Ich tastete den Stoff an und f?hlte tats?chlich durch den Stoff etwas Rechteckiges – ein Buch! Ein Buch! Und wie ein Schuss durchzuckte mich der Gedanke: stiehl dir das Buch! Vielleicht gelingt es, und du kannst dir’s in der Zelle verstecken und dann endlich wieder einmal lesen! Aber nach der ersten Bet?ubung[351] dr?ngte ich mich leise und listig noch n?her an den Mantel, ich dr?ckte, immer dabei den W?chter fixierend, mit den hinter dem R?cken versteckten H?nden das Buch von unten aus der Tasche h?her und h?her. Und dann: ein Griff, ein leichter, vorsichtiger Zug, und pl?tzlich hatte ich das kleine, nicht sehr umfangreiche Buch in der Hand. Jetzt erst erschrak ich vor meiner Tat.

Aber ich konnte nicht mehr zur?ck. Nun galt es die erste Probe. Ich trat von der Garderobe weg, einen Schritt, zwei Schritte, drei Schritte. Es ging. Es war m?glich, das Buch im Gehen festzuhalten, wenn ich nur die Hand fest an den G?rtel presste.

Dann kam die Vernehmung. Sie erforderte meinerseits mehr Anstrengung als je, denn eigentlich konzentrierte ich meine ganze Kraft, w?hrend ich antwortete, nicht auf meine Aussage, sondern vor allem darauf, das Buch unauff?llig festzuhalten. Gl?cklicherweise fiel das Verh?r diesmal kurz aus, und ich brachte das Buch heil in mein Zimmer.

Nun vermuten Sie wahrscheinlich, ich h?tte sofort das Buch gepackt, betrachtet, gelesen. Keineswegs! Erst wollte ich die Vorlust auskosten, dass ich ein Buch bei mir hatte. Aber schliesslich konnte ich meine Gier, meine Neugier nicht l?nger verhalten.

Der erste Blick war eine Entt?uschung und sogar eine Art erbitterter ?rger: dieses mit so ungeheurer Gefahr erbeutete[352] Buch war nichts anderes als ein Schachrepetitorium, eine Sammlung von hundertf?nfzig Meisterpartien. W?re ich nicht verschlossen gewesen, ich h?tte im ersten Zorn das Buch durch ein offenes Fenster geschleudert, denn was sollte, was konnte ich mit diesem Nonsens beginnen?

Ich hatte als Knabe im Gymnasium wie die meisten anderen mich ab und zu aus Langeweile vor einem Schachbrett versucht. Aber was sollte mir dieses theoretische Zeug? Alles das schien mir eine Art Algebra, zu der ich keinen Schl?ssel fand.

Vielleicht, ?berlegte ich, k?nnte ich mir in meiner Zelle eine Art Schachbrett konstruieren und dann versuchen, diese Partien nachzuspielen; wie ein himmlischer Wink erschien es mir, dass mein Bettuch sich zuf?llig als grob kariert erwies. Richtig zusammengefaltet, liess es sich am Ende so legen, um vierundsechzig Felder zusammenzubekommen.

Ich versteckte also zun?chst das Buch unter der Matratze und riss die erste Seite heraus. Dann begann ich aus kleinen Kr?meln, die ich mir von meinem Brot absparte, in selbstverst?ndlich l?cherlich unvollkommener Weise die Figuren des Schachs, K?nig, K?nigin und so weiter, zurechtzumodeln; nach endlosem Bem?hen konnte ich es schliesslich unternehmen, auf dem karierten Bettuch die im Schachbuch abgebildeten Positionen zu rekonstruieren. Als ich aber versuchte, die ganze Partie nachzuspielen, misslang es zun?chst vollkommen mit meinen l?cherlichen Kr?melfiguren. Ich verwirrte[353] mich in den ersten Tagen unabl?ssig[354]. Nach sechs Tagen spielte ich schon die Partie zu Ende, nach weiteren acht Tagen ben?tigte ich nicht einmal die Kr?mel auf dem Bettuch mehr, um mir die Positionen aus dem Schachbuch zu vergegenst?ndlichen, und nach weiteren acht Tagen wurde auch das karierte Bettuch entbehrlich[355]; automatisch verwandelten sich die anfangs abstrakten Zeichen des Buches a, a, c, c hinter meiner Stirn zu visuellen Positionen.

Nach weiteren vierzehn Tagen war ich m?helos imstande, jede Partie aus dem Buch auswendig – oder, wie der Fachausdruck lautet: blind – nachzuspielen; jetzt erst begann ich zu verstehen, welche u Wohltat mein frecher Diebstahl mir eroberte. Denn ich hatte mit einemmal T?tigkeit – eine sinnlose, aber doch eine, die das Nichts um mich zunichte machte, ich besass mit den hundertf?nfzig Turnierpartien eine wunderbare Waffe gegen die erdr?ckende Monotonie des Raumes und der Zeit.

Und was als bloss zeitf?llende Besch?ftigung begonnen, wurde Genuss, und die Gestalten der grossen Schachstrategen, wie Aljechin, Lasker, Bogoljubow, Tartakower, traten als geliebte Kameraden in meine Einsamkeit. Unendliche Abwechslung beseelte t?glich die stumme Zelle, und gerade die Regelm?ssigkeit meiner Exerzitien gab meiner Denkf?higkeit die schon ersch?tterte Sicherheit zur?ck; ich empfand mein Gehirn aufgefrischt und durch die st?ndige Denkdisziplin sogar noch gleichsam neu geschliffen. Dass ich klarer und konzentrierter dachte, erwies sich vor allem bei den Vernehmungen; von diesem Zeitpunkt an gab ich mir bei den Vernehmungen keine Bl?sse mehr, und mir d?nkte sogar, dass die Gestapoleute mich allm?hlich mit einem gewissen Respekt zu betrachten[356] begannen.

Diese meine Gl?ckszeit dauerte etwa zweieinhalb bis drei Monate.

Dann geriet ich unvermuteterweise an einen toten Punkt. Pl?tzlich stand ich neuerdings vor dem Nichts. Denn sobald ich jede einzelne Partie zwanzig– oder dreissigmal durchgespielt hatte, verlor sie den Reiz der Neuheit, der ?berraschung, so anregende Kraft war ersch?pft. Welchen Sinn hatte es, nochmals und nochmals Partien zu wiederholen, die ich Zug um Zug l?ngst auswendig kannte? Um mich zu besch?ftigen, um mir die schon unentbehrlich gewordene Anstrengung und Ablenkung zu schaffen, h?tte ich eigentlich ein anderes Buch mit anderen Partien gebraucht. Da dies aber vollkommen unm?glich war, gab es nur einen Weg auf dieser sonderbaren Irrbahn; ich musste mir statt der alten Partien neue erfinden. Ich musste versuchen, mit mir selbst oder vielmehr gegen mich selbst zu spielen.

Ich weiss nun nicht, bis zu welchem Grade Sie ?ber die geistige Situation bei diesem Spiel der Spiele nachgedacht haben. Aber schon die fl?chtigste[357] ?berlegung d?rfte ausreichen, um klarzumachen, dass beim Schach als einem reinen, vom Zufall abgel?sten Denkspiel es logischerweise eine Absurdit?t bedeutet, gegen sich selbst spielen zu wollen. Das Attraktive des Schachs beruht doch im Grunde einzig darin, dass sich seine Strategie in zwei verschiedenen Gehirnen verschieden entwickelt, dass in diesem geistigen Kriege Schwarz die jeweiligen Man?ver von Weiss nicht kennt und st?ndig zu erraten und zu durchkreuzen sucht, w?hrend seinerseits wiederum Weiss die geheimen Absichten von Schwarz zu ?berholen und parieren strebt.

Nun, um mich kurz zu fassen diese Absurdit?t habe ich in meiner Verzweiflung monatelang versucht. Aber ich hatte keine Wahl als diesen Widersinn, um nicht dem puren Irrsinn oder einem v?lligen geistigen Marasmus zu verfallen. Ich war durch meine f?rchterliche Situation gezwungen, diese Spaltung in ein Ich Schwarz und ein Ich Weiss zumindest zu versuchen, um nicht erdr?ckt zu werden von dem grauenhaften Nichts um mich.“

Dr. B. lehnte sich zur?ck in den Liegestuhl und schloss f?r eine Minute die Augen. Es war, als ob er eine verst?rende Erinnerung gewaltsam unterdr?cken wollte.

„So – bis zu diesem Punkte hoffe ich, Ihnen alles ziemlich verst?ndlich erkl?rt zu haben. Aber ich bin leider keineswegs gewiss, ob ich das Weitere Ihnen noch ?hnlich deutlich veranschaulichen kann. Denn diese neue Besch?ftigung erforderte eine so unbedingte Anspannung des Gehirns, dass sie jede gleichzeitige Selbstkontrolle unm?glich machte. Ich deutete Ihnen schon an, dass meiner Meinung nach es an sich schon Nonsens bedeutet, Schach gegen sich selber spielen zu wollen; aber selbst diese Absurdit?t h?tte immerhin noch eine minimale Chance mit einem realen Schachbrett vor sich, weil das Schachbrett durch seine Realit?t immerhin noch eine gewisse Distanz, eine materielle Exterritorialisierung erlaubt. Ich musste – verzeihen Sie, dass ich Ihnen zumute, diesen Irrsinn durchzudenken – bei diesem Spiel im abstrakten Raum der Phantasie als Spieler Weiss vier oder f?nf Z?ge vorausberechnen und ebenso als Spieler Schwarz, also alle sich in der Entwicklung ergebenden Situationen gewissermassen mit zwei Gehirnen vorauskombinieren, mit dem Gehirn Weiss und dem Gehirn Schwarz. Aber selbst diese Selbstzerteilung war noch nicht das Gef?hrlichste an meinem abstrusen Experiment, sondern dass ich durch das selbst?ndige Ersinnen von Partien mit einemmal den Boden unter den F?ssen verlor und ins Bodenlose geriet. Das blosse Nachspielen der Meisterpartien, wie ich es in den vorhergehenden Wochen ge?bt, war schliesslich nichts als eine reproduktive Leistung gewesen, es war eine begrenzte, eine disziplinierte T?tigkeit und darum ein ausgezeichnetes Exercitium mentale.

Nur darum war diese T?tigkeit f?r meine ersch?tterten Nerven eine so heilsame und eher beruhigende gewesen, weil ein Nachspielen fremder Partien nicht mich selber ins Spiel brachte; ob Schwarz oder Weiss siegte, blieb mir gleichg?ltig, es waren doch Aljechin oder Bogoljubow, die um die Palme des Champions k?mpften, und meine eigene Person, mein Verstand, meine Seele genossen einzig als Zuschauer jener Partien. Von dem Augenblick an, da ich aber gegen mich zu spielen versuchte, begann ich mich unbewusst herauszufordern. Jedes meiner beiden Ich, mein Ich Schwarz und mein Ich Weiss, hatten zu wetteifern[358] gegeneinander; ich fieberte als Ich Schwarz nach jedem Zuge, was das Ich Weiss tun w?rde. Jedes meiner beiden Ich triumphierte, wenn das andere einen Fehler machte, und erbitterte sich gleichzeitig ?ber sein eigenes Ungeschick.

Das alles scheint sinnlos, und in der Tat w?re ja eine solche k?nstliche Schizophrenie. Aber vergessen Sie nicht, dass ich aus aller Normalit?t gewaltsam gerissen war, unschuldig eingesperrt. Und da ich nichts anderes hatte als dies unsinnige Spiel gegen mich selbst, fuhr meine Wut, meine Rachelust fanatisch in dieses Spiel hinein. Etwas in mir wollte recht behalten, und ich hatte doch nur dieses andere Ich in mir, das ich bek?mpfen konnte; so steigerte ich mich w?hrend des Spieles in eine fast manische Erregung. Im Anfang hatte ich noch ruhig und ?berlegt gedacht, ich hatte Pausen eingeschaltet zwischen einer und der anderen Partie, um mich von der Anstrengung zu erholen; aber allm?hlich erlaubten meine gereizten Nerven mir kein Warten mehr. Kaum hatte mein Ich Weiss einen Zug getan, stiess schon mein Ich Schwarz fiebrig vor.

Es war eine Besessenheit, deren ich mich nicht erwehren konnte; von fr?h bis nachts dachte ich an nichts als an L?ufer und Bauern und Turm und K?nig und a und b und c und Matt und Rochade, mit meinem ganzen Sein und F?hlen stiess es mich in das karierte Quadrat. Aus der Spielfreude war eine Spiellust geworden, aus der Spiellust ein Spielzwang, eine Manie. Ich konnte nur Schach denken, nur in Schachbewegungen, Schachproblemen; manchmal wachte ich mit feuchter Stirn auf und erkannte, dass ich sogar im Schlaf unbewusst weitergespielt haben musste. Selbst wenn ich zum Verh?r gerufen wurde, konnte ich nicht mehr konzis an meine Verantwortung denken; ich habe die Empfindung, dass bei den letzten Vernehmungen ich mich ziemlich konfus ausgedr?ckt haben muss, denn die Verh?renden blickten sich manchmal befremdet an. Aber in Wirklichkeit wartete ich, w?hrend sie fragten und berieten, in meiner unseligen Gier doch nur darauf, wieder zur?ckgef?hrt zu werden in meine Zelle, um mein Spiel, mein irres Spiel, fortzusetzen, eine neue Partie und noch eine und noch eine. Jede Unterbrechung wurde mir zur St?rung; selbst die Viertelstunde, da der W?rter die Gef?ngniszelle aufr?umte, die zwei Minuten, da er mir das Essen brachte, qu?lten meine fiebrige Ungeduld. Das einzige, was ich k?rperlich empfand, war ein f?rchterlicher Durst; es muss wohl schon das Fieber dieses st?ndigen Denkens und Spielens gewesen sein; ich trank die Flasche leer in zwei Z?gen und qu?lte den W?rter um mehr und f?hlte dennoch im n?chsten Augenblick die Zunge schon wieder trocken im Munde. Schliesslich steigerte sich meine Erregung w?hrend des Spielens – und ich tat nichts anderes mehr von morgens bis nachts – zu solchem Grade, dass ich nicht einen Augenblick mehr stillzusitzen vermochte.Wie dieser grauenhafte Zustand zur Krise kam, vermag ich selbst nicht zu berichten. Alles, was ich dar?ber weiss, ist, dass ich eines Morgens aufwachte, und es war ein anderes Erwachen als sonst. Mein K?rper war gleichsam abgel?st von mir. Eine dichte, gute M?digkeit, wie ich sie seit Monaten nicht gekannt, lag auf meinen Lidern, lag so warm und wohlt?tig auf ihnen, dass ich mich zuerst gar nicht entschliessen konnte, die Augen aufzutun. Auf einmal war mir, als ob ich hinter mir Stimmen h?rte, lebendige menschliche Stimmen, die Worte sprachen, und Sie k?nnen sich mein Entz?cken[359] nicht ausdenken, denn ich hatte doch seit Monaten, seit bald einem Jahr keine anderen Worte geh?rt als die harten, scharfen und b?sen von der Richterbank. „Du tr?umst“, sagte ich mir. „Du tr?umst! Tu keinesfalls die Augen auf! Lass ihn noch dauern, diesen Traum, sonst siehst du wieder die verfluchte Zelle um dich, den Stuhl und den Waschtisch und den Tisch und die Tapete mit dem ewig gleichen Muster. Du tr?umst – tr?ume weiter!“

Aber die Neugier behielt die Oberhand. Ich schlug langsam und vorsichtig die Lider auf. Und Wunder: es war ein anderes Zimmer, in dem ich mich befand. Ein ungegittertes Fenster liess freies Licht herein und einen Blick auf die B?ume, gr?ne, im Wind wogende B?ume statt meiner starren Feuermauer, weiss und glatt gl?nzten die W?nde, weiss und hoch hob sich ?ber mir die Decke – wahrhaftig, ich lag in einem neuen, einem fremden Bett, und wirklich, es war kein Traum, hinter mir fl?sterten leise menschliche Stimmen. Unwillk?rlich muss ich mich in meiner ?berraschung heftig geregt haben, denn schon h?rte ich hinter mir einen nahenden Schritt. Eine Frau kam weichen Gelenks heran, eine Frau mit weisser Haube ?ber dem Haar, eine Pflegerin, eine Schwester. Ein Schauer des Entz?ckens fiel ?ber mich: ich hatte seit einem Jahr keine Frau gesehen. Ich starrte die holde Erscheinung an, und es muss ein wilder Aufblick gewesen sein, denn „Ruhig! Bleiben Sie ruhig!“ beschwichtigte[360] mich dringlich die Nahende. Ich aber lauschte nur auf ihre Stimme – war das nicht ein Mensch, der sprach? Und dazu noch eine weiche, warme, eine fast z?rtliche Frauenstimme. Gierig starrte ich auf ihren Mund, denn es war mir in diesem H?llenjahr unwahrscheinlich geworden, dass ein Mensch g?tig zu einem andern sprechen k?nnte. Sie l?chelte mir zu, dann legte sie den Finger mahnend auf die Lippen und ging leise weiter. Aber ich konnte ihrem Gebot nicht gehorchen. Ich hatte mich noch nicht sattgesehen an dem Wunder. Gewaltsam versuchte ich mich in dem Bette aufzurichten, um ihr nachzublicken. Aber wie ich mich am Bettrande aufst?tzen wollte, gelang es mir nicht. Wo sonst meine rechte Hand gewesen, Finger und Gelenk, sp?rte ich etwas Fremdes, einen dicken, offenbar einen umfangreichen Verband. Ich staunte dieses Weisse, Dicke, Fremde an meiner Hand zuerst verst?ndnislos an, dann begann ich langsam zu begreifen, wo ich war, und zu ?berlegen, was mit mir geschehen sein mochte. Man musste mich verwundet haben, oder ich hatte mich selbst an der Hand verletzt. Ich befand mich in einem Hospital.Mittags kam der Arzt, ein freundlicher ?lterer Herr. Er kannte den Namen meiner Familie und erw?hnte derart respektvoll meinen Onkel, den kaiserlichen Leibarzt, dass mich sofort das Gef?hl ?berkam, er meine es gut mit mir. Im weiteren Verlauf richtete er allerhand Fragen an mich, vor allem eine, die mich erstaunte – ob ich Mathematiker sei oder Chemiker. Ich verneinte. „Sonderbar“, murmelte er. „Im Fieber haben Sie immer so sonderbare Formeln geschrien – c3, c4. Wir haben uns alle nicht ausgekannt.“

Ich erkundigte mich, was mit mir vorgegangen sei. Er l?chelte merkw?rdig.„Nichts Ernstliches. Eine akute Irritation der Nerven[361]“, und f?gte, nachdem er sich zuvor vorsichtig umgeblickt hatte, leise bei: „Schliesslich eine recht verst?ndliche. Seit dem 13. M?rz, nicht wahr?“ Ich nickte.

„Kein Wunder bei dieser Methode“, murmelte er. „Sie sind nicht der erste. Aber sorgen Sie sich nicht.“

An der Art, wie er mir dies beruhigend zufl?sterte, und dank seines beg?tigenden Blickes wusste ich, dass ich bei ihm gut geborgen war. Zwei Tage sp?ter erkl?rte mir der g?tige Doktor ziemlich freim?tig, was vorgefallen war. Der W?rter hatte mich in meiner Zelle laut schreien geh?rt und zun?chst geglaubt, dass jemand eingedrungen sei, mit dem ich streite. Kaum er sich aber an der T?r gezeigt, hatte ich mich auf ihn gest?rzt und ihn mit wilden Ausrufen angeschrien. Als man mich in meinem tollw?tigen Zustand dann zur ?rztlichen Untersuchung schleppte, h?tte ich mich pl?tzlich losgerissen, auf das Fenster im Gang gest?rzt, die Scheibe eingeschlagen und mir dabei die Hand zerschnitten. Die ersten N?chte im Hospital hatte ich in einer Art Gehirnfieber verbracht, aber jetzt finde er mein Sensorium v?llig klar. „Freilich“, f?gte er leise bei, „werde ich das lieber nicht den Herrschaften melden, sonst holt man Sie am Ende noch einmal dorthin zur?ck.

Verlassen Sie sich auf mich, ich werde mein Bestes tun.“ Was dieser hilfreiche Arzt meinen Peinigern[362] ?ber mich berichtet hat, entzieht sich meiner Kenntnis. Jedenfalls erreichte er, was er erreichen wollte: meine Entlassung. So brauchte ich nur die Verpflichtung zu unterzeichnen, unsere Heimat innerhalb von vierzehn Tagen zu verlassen. Und nun werden Sie begreifen, warum ich mich ahrscheinlich unverst?ndlich Ihren Freunden gegen?ber benommen. Ich schlenderte doch nur ganz zuf?llig durch den Rauchsalon, als ich Ihre Freunde vor dem Schachbrett sitzen sah; unwillk?rlich f?hlte ich den Fuss angewurzelt vor Staunen und Schrecken. Denn ich hatte total vergessen, dass man Schach spielen kann an einem wirklichen Schachbrett und mit wirklichen Figuren, vergessen, dass bei diesem Spiel zwei v?llig verschiedene Menschen einander leibhaftig gegen?bersitzen. Allm?hlich ?berkam mich die Neugier, ein solches reales Spiel zwischen zwei Partnern zu beobachten. Und da passierte das Peinliche, dass ich, alle H?flichkeit vergessend, mich einmengte in Ihre Partie. Aber dieser falsche Zug Ihres Freundes traf mich wie ein Stich ins Herz.[363] Erst sp?ter wurde mir die grobe Ungeh?rigkeit klar, deren ich mich durch meine Vordringlichkeit[364] schuldig gemacht.“

Ich beeilte mich, Dr. B. zu versichern, wie sehr wir alle uns freuten, diesem Zufall seine Bekanntschaft zu verdanken, und dass es f?r mich nach all dem, was er mir nvertraut, nun doppelt interessant sein werde, ihm morgen bei dem improvisierten Turnier zusehen zu d?rfen. Dr. B. machte eine unruhige Bewegung.

„Nein, erwarten Sie wirklich nicht zu viel. Es soll nichts als eine Probe f?r mich sein… eine Probe, ob ich… ob ich ?berhaupt f?hig bin, eine normale Schachpartie zu spielen, eine Partie auf einem wirklichen Schachbrett mit faktischen Figuren und einem lebendigen Partner… Was mich interessiert und intrigiert, ist einzig die Neugier, festzustellen, ob das in der Zelle damals noch Schachspiel oder schon Wahnsinn gewesen – nur dies, nur dies allein.“

Vom Schiffsende t?nte in diesem Augenblick der Gong, der zum Abendessen rief. Wir mussten – Dr. B. hatte mir alles viel ausf?hrlicher berichtet, als ich es hier zusammenfasse – fast zwei Stunden verplaudert haben. Ich dankte ihm herzlich und verabschiedete mich. Aber noch war ich nicht das Deck entlang, so kam er mir schon nach und f?gte sichtlich nerv?s und sogar etwas stottrig bei: „Noch eines! Wollen Sie den Herren gleich im voraus ausrichten, damit ich nachtr?glich nicht unh?flich erscheine; ich spiele nur eine einzige Partie… sie soll nichts als der Schlussstrich unter eine alte Rechnung sein – eine endg?ltige Erledigung und nicht ein neuer Anfang… Ich m?chte nicht ein zweites Mal in dieses leidenschaftliche Spielfieber geraten, an das ich nur mit Grauen zur?ckdenken kann… und ?brigens… ?brigens hat mich damals auch der Arzt gewarnt… ausdr?cklich gewarnt. Jeder, der einer Manie verfallen war, bleibt f?r immer gef?hrdet, und mit einer – wenn auch ausgeheilten – Schachvergiftung soll man besser keinem Schachbrett nahekommen… Also Sie verstehen – nur diese eine Probepartie f?r mich selbst und nicht mehr.“

P?nktlich um die vereinbarte Stunde, drei Uhr, waren wir am n?chsten Tag im Rauchsalon versammelt. Auch Czentovic liess nicht auf sich warten. Es tut mir leid, dass sie nur f?r uns durchaus unkompetente Zuschauer gespielt wurde und ihr Ablauf f?r die Annalen der Schachkunde ebenso verloren ist wie Beethovens Klavierimprovisationen f?r die Musik. Zwar haben wir an den n?chsten Nachmittagen versucht, die Partie gemeinsam aus dem Ged?chtnis zu rekonstruieren, aber vergeblich; wahrscheinlich hatten wir alle w?hrend des Spiels zu passioniert auf die beiden Spieler statt auf den Gang des Spiels geachtet. Denn der geistige Gegensatz im Habitus der beiden Partner wurde im Verlauf der Partie immer mehr k?rperlich plastisch. Czentovic, der Routinier, blieb w?hrend der ganzen Zeit unbeweglich wie ein Block, die Augen streng und starr auf das Schachbrett gesenkt; Nachdenken schien bei ihm eine geradezu physische Anstrengung, die alle seine Organe zu ?usserster Konzentration n?tigte. Dr. B. dagegen bewegte sich vollkommen locker und unbefangen. Als der rechte Dilettant im sch?nsten Sinne des Wortes, dem im Spiel nur das Spiel, das „diletto“ Freude macht, liess er seinen K?rper v?llig entspannt, plauderte w?hrend der ersten Pausen erkl?rend mit uns, z?ndete sich mit leichter Hand eine Zigarette an und blickte immer nur gerade, wenn an ihn die Reihe kam, eine Minute auf das Brett. Jedesmal hatte es den Anschein, als h?tte er den Zug des Gegners schon im voraus erwartet.

Die obligaten Er?ffnungsz?ge ergaben sich ziemlich rasch. Erst beim siebenten oder achten schien sich etwas wie ein bestimmter Plan zu entwickeln. Czentovic verl?ngerte seine ?berlegungspausen; daran sp?rten wir, dass der eigentliche Kampf um die Vorhand einzusetzen begann. Aber um der Wahrheit die Ehre zu geben, bedeutete die allm?hliche Entwicklung der Situation wie jede richtige Turnierpartie f?r uns Laien eine ziemliche Entt?uschung. Denn je mehr sich die Figuren zu einem sonderbaren Ornament ineinander verflochten[365], um so undurchdringlicher[366] wurde f?r uns der eigentliche Stand. Wir konnten weder wahrnehmen, was der eine Gegner noch was der andere beabsichtigte, und wer von den beiden sich eigentlich im Vorteil befand. Wir merkten bloss, dass sich einzelne Figuren wie Hebel verschoben, um die feindliche Front aufzusprengen, aber wir vermochten nicht – da bei diesen ?berlegenen Spielern jede Bewegung immer auf mehrere Z?ge vorauskombiniert war, – die strategische Absicht in diesem Hin und Wider zu erfassen. Dazu gesellte sich allm?hlich eine l?hmende Erm?dung[367], die haupts?chlich durch die endlosen ?berlegungspausen Czentovics verschuldet war, die auch unseren Freund sichtlich zu irritieren begannen. Er musste mit seinem rapid arbeitenden Verstand im Kopf alle M?glichkeiten des Gegners vorausberechnet haben; je l?nger darum Czentovics Entschliessung sich verz?gerte, um so mehr wuchs seine Ungeduld, und um seine Lippen presste sich w?hrend des Wartens ein ?rgerlicher und fast feindseliger Zug. Aber Czentovic liess sich keineswegs dr?ngen. Er ?berlegte stur und stumm und pausierte immer l?nger, je mehr sich das Feld von Figuren entbl?sste. Beim zweiundvierzigsten Zuge, nach geschlagenen zweidreiviertel Stunden, sassen wir schon alle erm?det und beinahe teilnahmslos um den Turniertisch. Aber da geschah pl?tzlich bei einem Zuge Czentovics das Unerwartete. Sobald Dr. B. merkte, dass Czentovic den Springer fasste, um ihn vorzuziehen, duckte er sich zusammen wie eine Katze vor dem Ansprung. Sein ganzer K?rper begann zu zittern, und kaum hatte Czentovic den Springerzug getan, schob er scharf die Dame vor, sagte laut triumphierend: „So! Erledigt!“, lehnte sich zur?ck, kreuzte die Arme ?ber der Brust und sah mit herausforderndem Blick auf Czentovic.

Unwillk?rlich beugten wir uns ?ber das Brett, um den so triumphierend angek?ndigten Zug zu verstehen. Auf den ersten Blick war keine direkte Bedrohung sichtbar. Die ?usserung unseres Freundes musste sich also auf eine Entwicklung beziehen, die wir Dilettanten noch nicht errechnen konnten. Czentovic war der einzige unter uns, der sich bei jener herausfordernden Ank?ndigung nicht ger?hrt hatte; er sass so unersch?tterlich, als ob er das beleidigende „Erledigt!“ v?llig ?berh?rt h?tte. Nichts geschah. Es wurden drei Minuten, sieben Minuten, acht Minuten – Czentovic r?hrte sich nicht, aber mir war als ob sich von einer inneren Anstrengung seine dicken N?stern noch breiter dehnten.

Unserem Freunde schien dieses stumme Warten ebenso unertr?glich wie uns selbst. Mit einem Ruck stand er pl?tzlich auf und begann im Rauchzimmer auf und ab zu gehen, erst langsam, dann schneller und immer schneller. Alle blickten wir ihm etwas verwundert zu, aber keiner beunruhigter als ich, denn mir fiel auf, dass seine Schritte trotz aller Heftigkeit dieses Auf und Ab immer nur die gleiche Spanne Raum ausmassen.

Aber noch schien sein Denkverm?gen v?llig intakt[368], denn von Zeit zu Zeit wandte er sich ungeduldig dem Tisch zu, ob Czentovic sich inzwischen schon entschieden h?tte. Aber es wurden neun, es wurden zehn Minuten. Dann endlich geschah, was niemand von uns erwartet hatte. Czentovic hob langsam seine schwere Hand, die bisher unbeweglich auf dem Tisch gelegen. Gespannt blickten wir alle auf seine Entscheidung. Aber Czentovic tat keinen Zug, sondern sein gewendeter Handr?cken schob mit einem entschiedenen Ruck alle Figuren langsam vom Brett. Erst im n?chsten Augenblick verstanden wir: Czentovic hatte die Partie aufgegeben. Er hatte kapituliert, um nicht vor uns sichtbar mattgesetzt zu werden. Das Unwahrscheinliche hatte sich ereignet, der Weltmeister, der Champion zahlloser Turniere hatte die Fahne gestrichen[369] vor einem Unbekannten, einem Manne, der zwanzig oder f?nfundzwanzig Jahre kein Schachbrett anger?hrt. Unser Freund, der Anonymus, der Ignotus, hatte den st?rksten Schachspieler der Erde in offenem Kampfe besiegt!

Ohne es zu merken, waren wir in unserer Erregung einer nach dem anderen aufgestanden. Jeder von uns hatte das Gef?hl, er m?sste etwas sagen oder tun, um unserem freudigen Schrecken Luft zu machen. Der einzige, der unbeweglich in seiner Ruhe verharrte, war Czentovic. Erst nach einer gemessenen Pause hob er den Kopf und blickte unseren Freund mit steinernem Blick an.

„Noch eine Partie?“ fragte er.

„Selbstverst?ndlich“, antwortete. Dr. B. mit einer mir unangenehmen Begeisterung und setzte sich.

„Nicht!“ fl?sterte ich ihm leise zu. „Nicht jetzt! Lassen Sie’s f?r heute genug sein! Es ist f?r Sie zu anstrengend.“

„Anstrengend! Ha!“ lachte er laut „Siebzehn Partien h?tte ich unterdessen spielen k?nnen statt dieser Bummelei[370]! Anstrengend ist f?r mich einzig bei diesem Tempo nicht einzuschlafen! – Nun! Fangen Sie schon einmal an!“

Diese letzten Worte hatte er in heftigem, beinahe grobem Ton zu Czentovic gesagt. Dieser blickte ihn ruhig und gemessen an, aber sein steinerner Blick hatte etwas von einer geballten Faust. Mit einemmal stand etwas Neues zwischen den beiden Spielern; eine gef?hrliche Spannung, ein leidenschaftlicher Hass. Es waren nicht zwei Partner mehr, die ihr K?nnen spielhaft aneinander proben wollten, es waren zwei Feinde, die sich gegenseitig zu vernichten geschworen. Czentovic z?gerte lange, ehe er den ersten Zug tat, und mich ?berkam das deutliche Gef?hl, er z?gerte mit Absicht so lange. Offenbar hatte der geschulte Taktiker schon herausgefunden, dass er gerade durch seine Langsamkeit den Gegner erm?dete. So setzte er nicht weniger als vier Minuten aus, ehe er die normalste aller Er?ffnungen machte, indem er den K?nigsbauern die ?blichen zwei Felder vorschob. Sofort fuhr unser Freund mit seinem K?nigsbauern ihm entgegen, aber wieder machte Czentovic eine endlose, kaum zu ertragende Pause; damit aber gab er mir reichlich Zeit, Dr. B. zu beobachten. Er hatte eben das dritte Glas Wasser hinabgest?rzt; unwillk?rlich erinnerte ich mich, dass er mir von seinem fiebrigen Durst in der Zelle erz?hlte. Alle Symptome einer anomalen Erregung zeichneten sich deutlich ab. Aber noch beherrschte er sich. Erst als beim vierten Zug Czentovic wieder endlos ?berlegte, verliess ihn die Haltung, und er fauchte ihn pl?tzlich an: „So spielen Sie doch schon einmal!“

Czentovic blickte k?hl auf. „Wir haben meines Wissens zehn Minuten Zugzeit vereinbart. Ich spiele prinzipiell nicht mit k?rzerer Zeit.“

Dr. B., der immer unbeherrschter gewartet hatte, konnte seine Spannung nicht mehr verhalten; er r?ckte hin und her und begann unbewusst mit den Fingern auf dem Tisch zu trommeln. Abermals hob Czentovic seinen schweren b?urischen Kopf.

„Darf ich Sie bitten, nicht zu trommeln? Es st?rt mich. Ich kann so nicht spielen.“

„Ha!“ lachte Dr. B. kurz. „Das sieht man.“ Czentovics Stirn wurde rot. „Was wollen Sie damit sagen?“ fragte er scharf und b?se. Dr. B. lachte abermals knapp und boshaft. „Nichts. Nur dass Sie offenbar sehr nerv?s sind.“ Czentovic schwieg und beugte seinen Kopf nieder. Erst nach sieben Minuten tat er den n?chsten Zug, und in diesem t?dlichen Tempo schleppte sich die Partie fort. Czentovic versteinte gleichsam immer mehr; schliesslich schaltete er immer das Maximum der vereinbarten ?berlegungspause ein, ehe er sich zu einem Zug entschloss, und von einem Intervall zum andern wurde das Benehmen unseres Freundes sonderbarer. Es hatte den Anschein, als ob er an der Partie gar keinen Anteil mehr nehme, sondern mit etwas ganz anderem besch?ftigt sei. Mit einem stieren und fast irren Blick ins Leere vor sich starrend, murmelte er ununterbrochen unverst?ndliche Worte vor sich hin. Jedesmal, wenn Czentovic endlich gezogen hatte, musste man ihn aus seiner Geistesabwesenheit zur?ckmahnen. Dann brauchte er immer eine einzige Minute, um sich in der Situation wieder zurechtzufinden; immer mehr beschlich mich der Verdacht, er habe eigentlich Czentovic und uns alle l?ngst vergessen in dieser kalten Form des Wahnsinns, der sich pl?tzlich in irgendeiner Heftigkeit entladen konnte. Und tats?chlich, bei dem neunzehnten Zug brach die Krise aus. Kaum dass Czentovic seine Figur bewegt, stiess Dr. B. pl?tzlich, ohne recht auf das Brett zu blicken, seinen L?ufer drei Felder vor und schrie derart laut, dass wir alle zusammenfuhren: „Schach! Schach dem K?nig!“ Wir blickten in der Erwartung eines besonderen Zuges sofort auf das Brett. Aber nach einer Minute geschah, was keiner von uns erwartet. Czentovic hob ganz, ganz langsam den Kopf und blickte – was er bisher nie getan – in unserem Kreise von einem zum andern. Er schien irgendetwas unermesslich zu geniessen, denn allm?hlich begann auf seinen Lippen ein zufriedenes und deutlich h?hnisches L?cheln. Erst nachdem er diesen seinen uns noch unverst?ndlichen Triumph bis zur Neige genossen, wandte er sich mit falscher H?flichkeit unserer Runde zu. „Bedaure – aber ich sehe kein Schach. Sieht vielleicht einer von den Herren ein Schach gegen meinen K?nig?“

Wir blickten auf das Brett und dann beunruhigt zu Dr. B. hin?ber. Czentovics K?nigsfeld war tats?chlich – ein Kind konnte das erkennen – durch einen Bauern gegen den L?ufer v?llig gedeckt, also kein Schach dem K?nig m?glich. Wir wurden unruhig. Sollte unser Freund in seiner Hitzigkeit eine Figur danebengestossen haben, ein Feld zu weit oder zu nah? Durch unser Schweigen aufmerksam gemacht, starrte jetzt auch Dr. B. auf das Brett und begann heftig zu stammeln: „Aber der K?nig geh?rt doch auf f7… er steht falsch, ganz falsch. Sie haben falsch gezogen! Alles steht ganz falsch auf diesem Brett… der Bauer geh?rt doch auf g5 und nicht auf g4… das ist doch eine ganz andere Partie… Das ist…“

Er stockte pl?tzlich. Ich hatte ihn heftig am Arm gepackt oder vielmehr ihn so hart in den Arm gekniffen, dass er selbst in seiner fiebrigen Verwirrtheit meinen Griff sp?ren musste. Er wandte sich um und starrte mich wie ein Traumwandler an.

„Was… wollen Sie?“

Ich sagte nichts als „Remember[371]!“ und fuhr ihm gleichzeitig mit dem Finger ?ber die Narbe seiner Hand. Er folgte unwillk?rlich meiner Bewegung, sein Auge starrte glasig auf den blutroten Strich. Dann begann er pl?tzlich zu zittern, und ein Schauer lief ?ber seinen ganzen K?rper.

„Um Gottes willen“, fl?sterte er mit blassen Lippen. „Habe ich etwas Unsinniges gesagt oder getan… bin ich am Ende wieder…?“

„Nein“, fl?sterte ich leise. „Aber Sie m?ssen sofort die Partie abbrechen, es ist h?chste Zeit. Erinnern Sie sich, was der Arzt Ihnen gesagt hat!“

Dr. B. stand mit einem Ruck auf. „Ich bitte um Entschuldigung f?r meinen dummen Irrtum“, sagte er mit seiner alten h?flichen Stimme und verbeugte sich vor Czentovic. „Es ist nat?rlich purer Unsinn, was ich gesagt habe. Selbstverst?ndlich bleibt es Ihre Partie.“ Dann wandte er sich zu uns. „Auch die Herren muss ich um Entschuldigung bitten. Aber ich hatte Sie gleich im Voraus gewarnt, Sie sollten von mir nicht zuviel erwarten. Verzeihen Sie die Blamage – es war das letztemal, dass ich mich im Schach versucht habe.“

Er verbeugte sich und ging, in der gleichen bescheidenen[372] und geheimnisvollen Weise, mit der er zuerst erschienen. Nur ich wusste, warum dieser Mann nie mehr ein Schachbrett ber?hren w?rde, indes die anderen ein wenig verwirrt zur?ckblieben mit dem ungewissen Gef?hl, mit knapper Not etwas Unbehaglichem[373] und Gef?hrlichem entgangen zu sein. „Damned fool!“ knurrte McConnor in seiner Entt?uschung.

Als letzter erhob sich Czentovic von seinem Sessel und warf noch einen Blick auf die halbbeendete Partie. „Schade“, sagte er grossm?tig. „Der Angriff war gar nicht so ?bel disponiert. F?r einen Dilettanten ist dieser Herr eigentlich ungew?hnlich begabt.“

Alphabetisches W?rterverzeichnis

A

abbeissen ãðûçòü, îòêóñûâàòü

abbrechen îòëàìûâàòü, îáëàìûâàòü

Abdankung, f, <-, -en> îòðå÷åíèå îò ïðåñòîëà

Abgrund, m -(e)s ïðîïàñòü, áåçäíà

Abhub, m, -(e)s îáúåäêè

absonderlich çàìûñëîâàòûé, ñòðàííûé

Abwehr, f ñàìîçàùèòà, ñîïðîòèâëåíèå

Ader f, <-n> âåíà

akute Irritation der Nerven îñòðîå ðàññòðîéñòâî íåðâíîé ñèñòåìû

allein íî, îäíàêî

allemal âñåãäà, êàæäûé ðàç

allerhand âñåâîçìîæíûé

alles Dumpfe in mir war pl?tzlich aufgehellt âñ¸ ñìóòíîå âî ìíå âäðóã ïðîÿñíèëîñü

allright, àíãë. âñ¸ â ïîðÿäêå

als êàê, áóäòî, ñëîâíî; ÷åì (ïðè ñðàâíåíèè)

Ameise f, <-n> ìóðàâåé

ander äðóãîé, îñòàëüíîé

Anordnung f, <-, -en> óñëîâèå

anprobieren ïðèìåðÿòü

Anregung, f, -en> ñòèìóë, ïîáóæäåíèå

anschwemmen ïðèíîñèòü òå÷åíèåì

antun ïðè÷èíÿòü; äîñòàâëÿòü

Argwohn, m, <-(e)s> ïîäîçðåíèå, íåäîâåðèå

aschfal ïåïåëüíûé

Auerhahn, m, <-(e)s,h?hne> ãëóõàðü

auff?lig âûäåëÿþùèéñÿ

aufnehmen ïðèíèìàòü, âñòðå÷àòü

aufrecht ïðÿìî (âåðòèêàëüíî)

aufrichtig îòêðîâåííûé

aufsch?tteln âñòðÿõèâàòü; âçáèâàòü

Auge f, <-, n > ãëàç

ausbacken ïðîïå÷üñÿ

ausbleiben íå ïðèõîäèòü, îòñóòñòâîâàòü

ausgeben ðàñõîäîâàòü; òðàòèòü; âûõîäèòü, îòïðàâëÿòüñÿ

auskundschaften òàéíî âûâåäûâàòü (ðàçâåäûâàòü)

ausschm?cken ïðèóêðàøèâàòü

ausserstande sein áûòü íå â ñîñòîÿíèè ñäåëàòü ÷òî-ëèáî

ausweichend óêëîí÷èâûé

Automobilschleier, m, <-s, -> äîðîæíàÿ âóàëü

Autopsie, f, <-…sien> – âñêðûòèå

B

Backofen, der õëåáîïåêàðíàÿ ïå÷ü

bald ÷óòü (íå), ïî÷òè; ñêîðî

B?ndchen ëåíòî÷êà; òåñüìà

beben äðîæàòü

bedecken ïîêðûâàòü

Bedingung, f óñëîâèå (òðåáîâàíèå)

Bedr?ngnis, f <-, -se> ñòåñíåíèå

Bedr?cktheit, f – ïîäàâëåííîñòü

Befund, m, <-(e)s, -e> ðåçóëüòàò ýêñïåðòèçû

begehrend – (nach D) æåëàòü

Begleitschreiben, n ñîïðîâîäèòåëüíàÿ çàïèñêà

behaglich ñïîêîéíûé, êîìôîðòíûé

beherrschen âëàäåòü

beisammensein, n íàðàâíå

beneiden çàâèäîââòü

berauschend îïüÿíÿþùèé, äóðìàíÿùèé

bescheiden ñêðîìíûé (î ÷åëîâåêå)

Beschlagnahme, f, <-, -n> êîíôèñêàöèÿ, àðåñò èìóùåñòâà

besch?nigen ñêðàøèâàòü

beschwichtigen óñïîêàèâàòü, óíèìàòü

bestreichen íàìàçûâàòü; ñìàçûâàòü

Bet?ubung, f, <-, -en> ñîñòîÿíèå îäóðìàíèâàíèÿ

beten ìîëèòüñÿ

Bett, n ïîñòåëü; êðîâàòü

Bettler, m íèùèé

Bileams Esel Âàëààìîâà îñëèöà

blind zu spielen ñûãðàòü âñëåïóþ

Braut, f íåâåñòà

Br?utigam, m <-s, -e> æåíèõ, íîâîáðà÷íûé

Brautleute pl íîâîáðà÷íûå; æåíèõ è íåâåñòà

brummig âîð÷ëèâûé

br?sk ðåçêèé

Bug, m, <-(e)s, -e> íîñîâàÿ ÷àñòü

Bummelei, f ìåäëèòåëüíîñòü

b?ssen èñêóïàòü âèíó, êàÿòüñÿ

D

dahin òóäà; äî (òîãî) ìåñòà

damit äëÿ òîãî, ÷òîáû; ñ ýòèì, òåì, (í)èì, (í)åþ

d?mmerig ñóìåðå÷íûé

darauf ïîñëå òîãî, çàòåì, ïîòîì

das Blut flog in die Wangen êðîâü ïðèõëûíóëà ê ùåêàì

dass ÷òî (so – dass òàê, ÷òî); ÷òîáû

der heimische Nationalstolz lebhaft entz?ndet ìåñòíûé ïàòðèîòèçì áûë çàäåò çà æèâîå

Der Teufel war los ðàçûãðàëñÿ ñêàíäàë

derart òàêîãî ðîäà

Dickicht, n, <-s, -e> çàðîñëè, ÷àùà

die Adern ?ffnen âñêðûòü âåíû

die Fahne strichen îïóñòèòü ôëàã

die letzte ?lung ñîáîðîâàíèå

Dolch, n, <-(e), -e> êèíæàë

Dornenhecke, die <-, -n> êîëþ÷àÿ èçãîðîäü

dr?ngen, dringen, dringt, dringte áûòü ñðî÷íûì

drehen ïîâîðà÷èâàòü; êðóòèòü; âðàùàòü

dreimal òðè ðàçà, òðèæäû

droben (òàì) íàâåðõó

druck vorw?rts àòàêîâàòü

ducken âòÿãèâàòü ãîëîâó â ïëå÷è

E

Edelstein, m <-(e)s, -e> äðàãîöåííûé êàìåíü

ehe ïðåæäå ÷åì, ðàíüøå ÷åì, ñïåðâà

Ehrfurcht, f, <-> (vor D) ïî÷òåíèå

Eichh?rnchen, n <-s, -> áåëêà

Eid, m, <-(e)s, -e> êëÿòâà

eigen sein ïðèíàäëåæàòü

eilfertig, adj ïîñïåøíî

Ein Geheimnis H?ten îáåðåãàòü òàéíó

Eingeborene, m, f òóçåìåö

Eitelkeit kitzeln ñûãðàòü íà òùåñëàâèè

Elster, f, -n ñîðîêà

empor, adv ââåðõ

entbehren k?nnen îáõîäèòüñÿ áåç ÷åãî-ëèáî, êîãî-ëèáî

entbehrlich íåíóæíûé, èçëèøíèé

entsch?digen âîçìåùàòü

entz?cken âîñõèùàòü, ïðèâîäèòü â âîñòîðã

entzweireissen ðàçðûâàòü (ïîïîëàì)

entzweischlagen ðàçáèâàòü, ðàñêàëûâàòü

erb?rmlich æàëêî, ïëà÷åâíî; î÷åíü, ñèëüíî

erbeuten çàõâàòèòü, âçÿòü (â êà÷åñòâå òðîôåÿ)

erbitterten çëèòü

erblicken óâèäåòü, ðàñïîçíàâàòü, óçíàòü

Erbse, f <-, -n> ãîðîõ, ãîðîøèíà

erdichten ñî÷èíÿòü

erdrosseln çàäóøèòü

ereignen ñëó÷àòüñÿ

Erm?dung, f, <-, -en> óñòàëîñòü

erniedrigen óíèæàòü

Erregtheit, f âçâîëíîâàííîñòü

Ersch?pfung, f èçíåìîæåíèå

ersch?ttern ñîòðÿñàòü

ersch?tternd ïîðàçèòåëüíûé

ertr?umen âîîáðàæàòü

Erw?hnung, f, <-, -en> óïîìèíàíèå

F

fachm?nnisch êîìïåòåíòíûé, ïðîôåññèîíàëüíûé

Fallbeil, n, <-(e)s, -e> ãèëüîòèíà

Falschheit, f ëèöåìåðèå, äâóëè÷èå, ëæèâîñòü, íåèñêðåííîñòü

Famulus, m, <-, -se è. li > – âîñïèòàííèê

fangen ïðîø. âðåìÿ fing ëîâèòü, ñõâàòèòü

Fass, n <-es, F?sser è êàê ìåðà -> áî÷êà, áî÷îíîê; Bier vom Fass áî÷êîâîå/ðàçëèâíîå ïèâî

Faust, f, <-, F?uste> êóëàê

finster ìðà÷íûé

Flucht, f, -en áåãñòâî

fl?chten áåæàòü, ñïàñàòüñÿ áåãñòâîì

fl?chtig áåãëûé, ìèìîë¸òíûé

Folterung, f, <-, -en> ïûòêà, èñòÿçàíèå

forschten èññëåäîâàòü, ïðèñòàëüíî èçó÷àòü

Fracht, f, <-, -en> ãðóç

fristen ïåðåáèâàòüñÿ

f?rchten áîÿòüñÿ

futsch sein ïðîïàñòü

G

garstig äåðçêèé, íåâîñïèòàííûé; óðîäëèâûé, áåçîáðàçíûé; ìåðçêèé

Gasse, f óëî÷êà, ïåðåóëîê

Gaudium, n, <-s> êíèæí. óñòàð. çàáàâà, âåñåëüå

Geb?rde, f, <-, -n> æåñò

Geb?rklinik, f ðîäèëüíûé ïðèþò

Gebr?u, n, <-(e)s, -e> ïèòü¸

gedr?ngt òåñíî

geduckt ñãîðáèâøèñü

Gef?hrte, m, <-n, -n> òîâàðèù

gef?llig óñëóæëèâûé

Gegenwart, f ïðèñóòñòâèå

Gehaben, n, <-s> ïîâåäåíèå, îáðàç ìûñëåé

gehorchen ïîâèíîâàòüñÿ

Geilheit f ñòðàñòíîñòü

geistige Begabung óìñòâåííàÿ îäàð¸ííîñòü

gel?hmt ïàðàëèçîâàííûé

gelehrt îáðàçîâàííûé

Geleit geben îáåñïå÷èòü ñîïðîâîæäåíèå

Gel?st, <-(e)s, -e> âîæäåëåíèå, ñèëüíîå æåëàíèå

Gesch?ker, n ëþáåçíè÷àíèå

geschickt ëîâêèé, èñêóñíûé

Geschmeidigkeit, f ïîêîðíîñòü

Geschw?tzigkeit, f áîëòëèâîñòü

gespenstisch ïðèçðà÷íûé

Get?mmel, n, <-s, -> ñóìàòîõà

gewaltig ìîãóùåñòâåííûé, ñèëüíûé

gewaltt?tiger íàñèëüñòâåííûé, ãðóáûé

gewinnen ïðîø. âðåìÿ gewann âûèãðûâàòü

gierig æàäíûé

glauben äóìàòü, ïîëàãàòü, âåðèòü

gleich ñåé÷àñ, ñðàçó; òàêîé æå

gleichfalls (òî÷íî) òîæå, òàêæå

Gleichg?ltigkeit, f ðàâíîäóøèå

Glied, n, <-(e)s, -er> êîíå÷íîñòü

glimmen òëåòü

greis ñòàðûé, ñåäîé

grell ÿðêèé

Grind, n, <-(e)s, -e> êîðîñòà

H

Habgier, f æàäíîñòü, àë÷íîñòü

Habsucht, f àë÷íîñòü

Hacke, die <-, -n> êèðêà, ìîòûãà

Hafenviertel, n, <-s, -> ïîðòîâûé ðàéîí

Hahn, der êðàí; ïåòóõ

Halfcast (àíãë) ìåòèñ

Halunke, m, <-n, -n> íåãîäÿé

h?mmern ïðèáèâàòü, ñòó÷àòü

Hand an sich legen íàëîæèòü íà ñåáÿ ðóêè

Handgelenk, n, <-(e)s, -e> çàïÿñòüå

h?ngen ïðîø. âðåìÿ hing âèñåòü

hasel, die <-, -n> ëåùèíà, ëåñíîé îðåøíèê

H?sslich áåçîáðàçíûé, óðîäëèâûé

Hauch, m -(e)s, -e äûõàíèå

hegen õðàíèòü

Heiland, m, <-(e)s, -e> ñïàñèòåëü

heiser õðèïëûé

Herausforderung, f, <-, -en> âûçîâ, òðåáîâàíèå

herauslocken âûòÿíóòü (ñëîâà)

herauspressen âûæàòü

herrisch ïîâåëèòåëüíûé

Herzl?hmung, f, <-, -en> ïàðàëè÷ ñåðäöà

hetzen òðàâèòü

hingebungsvoll áåççàâåòíûé

Hochmut, m, <-(e)s> âûñîêîìåðèå

hocken ñèäåòü íà êîðòî÷êàõ

h?hnisch íàñìåøëèâûé, ÿçâèòåëüíûé

H?llenqual, f ìóêà

h?llend îáâîëàêèâàòü

I

immer âñåãäà, ïîñòîÿííî

in Schweiss gebadet íàõîäèòüñÿ â ïîòó

indem óñòàð. òåì âðåìåíåì, â ýòî âðåìÿ

intakt çäîðîâûé, íîðìàëüíûé

irren sich îøèáàòüñÿ, çàáëóæäàòüñÿ, ñïóòàòü, ïåðåïóòàòü

irrwitzig áåçóìíûé

Jauche, f, <-, -n> îäóðü

K

Kehle, f, <-, -n> ãîðòàíü

kein Ende nehmen íå áûëî êîíöà

keinen Augenblick vergeuden íå ïîòåðÿòü íè îäíîãî ìãíî– âåíèÿ

Kittel, m <-s, -> (ðàáî÷èé) õàëàò

klappen õëîïàòü, ñòó÷àòü

klettern ëåçòü, êàðàáêàòüñÿ

klingeln çâîíèòü

klirren çâåíåòü

klopfen õëîïàòü, ñòó÷àòü

klug óìíûé; òîëêîâûé, ðàçóìíûé

kollern êàòèòüñÿ

krachen ãðîõîòàòü

krallen ñêðþ÷èâàòü, âïèâàòüñÿ êîãòÿìè

Kr?mer, m, <-s, -> òîðãàø

kr?nken îáèæàòü

krepieren îêîëåòü, ïîäûõàòü

L

Laib, <-(e)s, -e> áóõàíêà

l?rmen øóìåòü, ïîäíèìàòü øóì, ãàëäåòü

lassen ïðîø. âðåìÿ liess çä. îòïóñêàòü; ïîçâîëÿòü; âåëåòü, çàñòàâëÿòü

l?ssig íåáðåæíûé

Last, f ãðóç, íîøà

Last, f, -en áðåìåíü

Laubfrosch, Quackfrosch der <-(e)s,fr?sche> ëÿãóøêà

Lauer, f çàñàäà

Leib, m òåëî

leichtfertig ëåãêîìûñëåííî

leiden ñòðàäàòü

Leidenschaft zusammenhalten çàòàèòü â ñåáå ñòðàñòü

Lid, n, <-(e)s, -er> âåêî

lind ÷óòêèé

linkisch íåóêëþæèé, íåëîâêèé

M

Mangel, m, <-s, M?ngel> íåäîñòàòîê, íåõâàòêà (÷åãî-ë)

Mark, n, <-(e)s> ìîçã

martern ìó÷èòü

Messe, die <-, -n> ÿðìàðêà

mit dem Blick umfassen îõâàòèòü âçãëÿäîì

mit einander äðóã ñ äðóãîì, âìåñòå

mit Respekt betrachten îòíîñèòüñÿ ñ óâàæåíèåì

Mittelschiff, <-(e)s, -e> ñðåäíÿÿ ïàëóáà

m?rrisch óãðþìûé, ìðà÷íûé

mustern ðàçãëÿäûâàòü

N

nachforschen ðàññëåäîâàòü

n?hren êîðìèòü

Narrheit, f, <-, -en> ñóìàñáðîäñòâî

nennen ïðîø. âðåìÿ nannte íàçûâàòü, äàâàòü èìÿ

neugierig ëþáîïûòíûé

nicht sehr aufger?umt íå â î÷åíü õîðîøåì ðàñïîëîæåíèè äóõà

nicken êèâàòü, íàêëîíÿòü ãîëîâó

Niedrigkeit, f íèçîñòü

O

ob õîòÿ, õîòü; ïóñòü

oben íàâåðõó, ââåðõó, ñâåðõó

obendrein êðîìå òîãî, âäîáàâîê

Ohnmacht, f, -en îáìîðîê

?llampe, f ìàñëÿíàÿ ëàìïà

ordentlich àêêóðàòíûé, ÷åñòíûé; ïðèëè÷íûé

P

peinigen ìó÷èòü

Peiniger, m, <-s, -> ìó÷èòåëü

Petroleumlampe, f, <-, -n> êåðîñèíîâàÿ ëàìïà

Pfarrer, m, <-s, -> – ïàñòîð

pflanzen ñàæàòü (ðàñòåíèÿ), ïîñàäèòü

Pfosten, m, <-s, -> ñòîéêà

Pfote, f <-, -n> ëàïà

picken êëåâàòü (î ïòèöå), ñòó÷àòü (êëþâîì)

pochen ñòó÷àòü, èçáèòü (êîãî-ë)

poltern ñòó÷àòü, øóìåòü

prachtvoll áëèñòàòåëüíî

prahlen (mit D) õâàñòàòüñÿ

prickeln çóäåòü

Q

Qu?ntchen, n, <-s, -> êàïåëüêà

R

rasend áåøåíûé

Raubzug, m, <-(e)s,z?ge> ðàçáîéíè÷èé íàáåã

rechteckig ïðÿìîóãîëüíûé

reich áîãàòûé

reichen ïîäàâàòü, ïðîòÿãèâàòü

Reichtum, m áîãàòñòâî

reif çðåëûé, ñîçðåâøèé

reizen ðàçäðàæàòü

remember (àíãë.) âñïîìíèòå

Remis, n, <– [-'mi: s] è -en [-'mi: zn]> íè÷üÿ (â øàõìàòàõ)

resigniert ïðèìèðèâøåéñÿ

Rinnstein, m ñòî÷íàÿ êàíàâà

Ruderboot, n, <-(e)s, -e> øëþïêà

Ruhm, m, <-(e)s> ñëàâà

r?hmen ïîõâàñòàòüñÿ

S

sagenhaft ëåãåíäàðíûé

Samt, m-(e)s, -e áàðõàò

Sch?del, m, <-s, -> ÷åðåï

Schande, f ïîçîð

scheu ðîáêèé

scheuern ÷èñòèòü

schildern îïèñàòü

schluchzen ðûäàòü

schlurfen øàðêàòü íîãàìè

schmierig ãðÿçíûé

Schwatz, m, <-es, -e> áîëòîâíÿ

Schweigsamkeit, f ìîë÷àëèâîñòü

schwingen ðàçìàõèâàòü, ìàõàòü

schw?l äóøíûé

segnen áëàãîñëîâëÿòü

Seine Neugier war pl?tzlich wach âíåçàïíî ó íåãî ïðîñíóëîñü ëþáîïûòñòâî

selig ñ÷àñòëèâûé

Seligkeit, f âûñøåå ñ÷àñòüå

sich kr?mmen êîð÷èòüñÿ

sickern îáíàðóæèëàñü, ñî÷èòüñÿ

Simultanpartie, f, <-, -ien> ñåàíñ îäíîâðåìåííîé èãðû

Sohle, f, <-, -n> ïîäîøâà

sp?hen, (nach, auf) ïîäñìàòðèâàòü

spannen îêàìåíåòü

Speiche, f, <-, -n> ñïèöà

spotten íàñìåõàòüñÿ

stammeln çàïèíàòüñÿ, çàèêàòüñÿ

stemmen óïèðàòüñÿ

stocken çàñòðåâàòü

straffen ðàñïðÿìëÿòüñÿ

Strickleiter, f, <-, -n> âåð¸âî÷íàÿ ëåñòíèöà

str?men óñòðåìëÿòüñÿ

st?rmisch áóéíûé

Sumpf, m, <-(e)s áîëîòà

Sumpfstation, f, <-, -en> áîëîòèñòàÿ äûðà

Surgeon (àíãë.) õèðóðã

T

taugen (zu D) ãîäèòüñÿ, áûòü (ïðè)ãîäíûì

taumeln øàòàòüñÿ

Tausend, n <-s, -e è -> òûñÿ÷à

tausendmal â òûñÿ÷ó ðàç

Tierchen, n <-s, -> çâåð¸ê

Tollheit, f, <-, -en> ñóìàñøåñòâèå

T?lpel, m, <-s, -> óâàëåíü

Topf, der ãîðøîê; êàñòðþëÿ

Torheit, f -en ãëóïîñòè, ñóìàñáðîäñòâî

traben áåæàòü ðûñüþ

tr?ge ëåíèâûé

Tr?ne, f <-, -n> ñëåçà, ñëåçèíêà

Treue, f âåðíîñòü

Trotz, m, <-es> ñâîåíðàâèå; óïîðñòâî

tr?b(e) ìðà÷íûé

Trunkenbold -(e)s, -e ïüÿíèöà

U

?berrannt ïîòîïëåíî

?bung, f óïðàæíåíèå, çàäàíèå

Um Gottes willen! Nicht! – Ðàäè Áîãà, íå íàäî!

umhauen ïðîø. âðåìÿ hieb um ñðóáèòü, ïîâàëèòü

umsonst íàïðàñíî, òùåòíî, çðÿ

umwenden ïîâåðíóòü, ðàçâåðíóòü íàçàä

unabl?ssig áåçîñòàíîâî÷íî

unbehaglich íåïðèÿòíûé, íåëîâêèé

undurchdringlich íåïðîíèöàåìûé

ungeh?rig betragen íåâåæëèâî ïîñòóïèòü

ungeschickt íåóìåëûé, íåëîâêèé

unmittelbar íåïîñðåäñòâåííî

Unmut Luft zu machen âûìåñòèòü ðàçäðàæåíèå

untersagen çàïðåùàòü

unterstehen îñìåëèâàòüñÿ, ïîçâîëÿòü ñåáå

Unterw?rfigkeit, f, <-, -en> – ïîêîðíîñòü

unwillk?rlich íåâîëüíî, íåïðåäíàìåðåííî

V

verachten ïðåçèðàòü

ver?chtlich ïðåçðèòåëüíûé

verbeissen ïðîø. âðåìÿ verbiss ñäåðæèâàòü, ïîäàâëÿòü, òåðïåòü

verbl?ffen îçàäà÷èâàòü, îøåëîìëÿòü

verbogen (verbiegen) ñêðûâàòüñÿ

verbrennen ïðîø. âðåìÿ verbrannte ñãîðåòü, îáãîðåòü

verb?rgen ãàðàíòèðîâàòü

verdienen çàðàáàòûâàòü (äåíüãè)

verdingen sich íàíèìàòüñÿ, ïîñòóïèòü â óñëóæåíèå

verdriessen (i, o) ñåðäèòü, ðàçäðàæàòü

verflechten òåñíî ñâÿçàííûé

vergebens íàïðàñíî

Vergehen, n, <-s, -> ïðîñòóïîê

Verh?ngnis, n, <-ses, -se> ñóäüáà

verh?ngnisvoll ðîêîâîé

Verh?re, n, <-(e)s, -e> äîïðîñ

verh?llen çàñòèëàòü

Verkehr (-e)s îáùåíèå

verkommen îïóñêàòüñÿ

Verlangen, n, -s, æåëàíèå

verlegen ñìóù¸ííûé

Verm?chtnis, n, <-ses, -se> ïîñëåäíÿÿ âîëÿ

Vermietungszettel -s – Îáúÿâëåíèå

verm?gend ñîñòîÿòåëüíûé

verneinen îòðèöàòü

verpfuschen ïîðòèòü

verschleiern ñêðûâàòü

verst?mmeln èñêàëå÷èòü

verweigern îòêàçûâàòü

verwirren çàïóòàííûé

verwirren çàïóòûâàòü, ñáèâàòü ñ òîëêó

verworren áåñïîðÿäî÷íûé

verw?sten îïóñòîøàòü

verzweifelte îò÷àÿâøàÿñÿ

Verzweiflung, f îò÷àÿíèå

vollgepfropften áèòêîì íàáèòûé

von vornherein ñðàçó, ñ ñàìîãî íà÷àëà

Vordringlichkeit, f íåîòëîæíàÿ íåîáõîäèìîñòü

vorger?ckte Stunde ïîçäíèé ÷àñ

W

wachsen ïðîø. âðåìÿ wuchs ðàñòè, âûðàñòàòü

w?hlen âûáèðàòü

w?hrend â òî âðåìÿ, êàê…; ïîêà

Wand, f ñòåíà

warten (auf A) æäàòü, îæèäàòü, äîæèäàòüñÿ

waschen ñòèðàòü (áåëüå)

wegnehmen çàáèðàòü, îòáèðàòü, îòíèìàòü

wehren îêàçûâàòü ñîïðîòèâëåíèå, áîðîòüñÿ

weichen, weicht, wicht îòñòóïàòü

Weigerung, f, -en îòêàç

werben, wirbt, warb íàáèðàòü

Wesen, -s, ñóùåñòâî

wetteifern ñîðåâíîâàòüñÿ

widerspenstig ñâîåíðàâíûé, ñòðîïòèâûé

Widerstand, m ñîïðîòèâëåíèå

wie ein Stich ins Herz êàê óäàð â ñåðäöå

wie eine Gefangene leben æèòü ñëîâíî ïëåííèöà

wieder hielt er inne îí îïÿòü óìîëê

Wiege, f, <-, -n> êîëûáåëü

Wildheit, f áóéñòâî

Winkel, m, <-s, -> óãîë

winseln – ñêóëèòü

Wollust, <-, Woll?ste>, f íàñëàæäåíèå

Wund ñò¸ðòûé äî êðîâè

w?rgen çàäîõíóòüñÿ, äàâèòü

W?rgen, n ðâîòíîå äâèæåíèå

Y

You remain here (àíãë.) Âû îñòà¸òåñü çäåñü

Z

zahm ðó÷íîé; äîìàøíèé; ñìèðíûé, êðîòêèé, ïîêîðíûé

Zahn, m < Z?hne> çóá

zapfen öåäèòü, íàëèâàòü (ïèâî èç áî÷êè è ò. ï.)

z?rtlich íåæíûé

Zehe, f ïàëåö (ñòîïû)

zehrlose, m, f áåççàùèòíûé

Zeitlang, die <-> ñðîê; ïåðèîä; íåêîòîðîå âðåìÿ

zerkrampfen êîìêàòü

zerstreuter ðàññåÿííûé

Zeuge, m <-n, -n> ñâèäåòåëü, î÷åâèäåö

zischeln øåïòàòü

zitternden äðîæàùèé

z?gern íå ðåøàòüñÿ

z?gernd íåðåøèòåëüíûé

Zorn, m -(e)s ãíåâ

zu F?ssen fallen óïàñòü ê íîãàì

zu H?upten íàä ãîëîâîé

zu Grunde gehen ãèáíóòü

zum ?ussersten kommen âïàäàòü â êðàéíîñòè

Z?ndholz, n <-es, h?lzer> ñïè÷êà

zusammen schrecken âçäðàãèâàòü

zusammenbrechen îáåññèëèòü

zwiefach äâîéñòâåííûé

Ïðèìå÷àíèÿ

1

fl?chtig – áåãëûé

(îáðàòíî)

2

l?ssig – íåáðåæíûé

(îáðàòíî)

3

Begleitschreiben, n – ñîïðîâîäèòåëüíàÿ çàïèñêà

(îáðàòíî)

4

ertr?umten – âîîáðàæàòü

(îáðàòíî)

5

Seine Neugier war pl?tzlich wach – âíåçàïíî ó íåãî ïðîñíóëîñü ëþáîïûòñòâî

(îáðàòíî)

6

zusammenbrechen – îáåññèëèòü

(îáðàòíî)

7

f?rchten – áîÿòüñÿ

(îáðàòíî)

8

tr?b(e) – ìðà÷íûé

(îáðàòíî)

9

verwirren – çàïóòàííûé

(îáðàòíî)

10

Trunkenbold, m – ïüÿíèöà

(îáðàòíî)

11

Verkehr, m – îáùåíèå

(îáðàòíî)

12

Vermietungszettel, m – îáúÿâëåíèå î ñäà÷å âíàåì

(îáðàòíî)

13

Ehrfurcht, f – ïî÷òåíèå, ãëóáîêîå óâàæåíèå

(îáðàòíî)

14

beneiden – çàâèäîâàòü

(îáðàòíî)

15

scheu – ðîáêèé, çàñòåí÷èâûé

(îáðàòíî)

16

gelehrt – îáðàçîâàííûé

(îáðàòíî)

17

ersch?tternd – ïîðàçèòåëüíûé

(îáðàòíî)

18

Greis – ñòàðûé

(îáðàòíî)

19

zwiefach – äâîéñòâåííûé

(îáðàòíî)

20

Wesen, n – ñóùåñòâî

(îáðàòíî)

21

unwillk?rlich – íåâîëüíûé, íåïðåäíàìåðåííî

(îáðàòíî)

22

ungeschickt – íåëîâêèé, íåóêëþæèé

(îáðàòíî)

23

spotten – íàñìåõàòüñÿ

(îáðàòíî)

24

hingebungsvoll – áåççàâåòíûé

(îáðàòíî)

25

Leidenschaft zusammenhalten – çàòàèòü â ñåáå ñòðàñòü

(îáðàòíî)

26

prahlen – õâàñòàòüñÿ

(îáðàòíî)

27

Abgrund, m – ïðîïàñòü

(îáðàòíî)

28

Bedr?cktheit, f – ïîäàâëåííîñòü

(îáðàòíî)

29

leichtfertig – ëåãêîìûñëåííî

(îáðàòíî)

30

Seligkeit, f – âûñøåå ñ÷àñòüå

(îáðàòíî)

31

h?mmern – êîëîòèòüñÿ

(îáðàòíî)

32

verlegen – ñìóù¸ííûé

(îáðàòíî)

33

stammeln – çàïèíàòüñÿ

(îáðàòíî)

34

Ohnmacht, f – îáìîðîê

(îáðàòíî)

35

schildern – îïèñàòü, èçîáðàæàòü

(îáðàòíî)

36

Verzweiflung, f – îò÷àÿíèå

(îáðàòíî)

37

zitternden – äðîæàùèé

(îáðàòíî)

38

zu F?ssen fallen – óïàñòü ê íîãàì

(îáðàòíî)

39

Ersch?pfung, f – èçíåìîæåíèå

(îáðàòíî)

40

wie eine Gefangene leben – æèòü ñëîâíî ïëåííèöà

(îáðàòíî)

41

Trotz, m – óïîðñòâî, ñâîåíðàâèå

(îáðàòíî)

42

erbitten – îæåñòî÷àòü

(îáðàòíî)

43

verm?gend – ñîñòîÿòåëüíûé, çàæèòî÷íûé

(îáðàòíî)

44

empor – ââåðõ

(îáðàòíî)

45

mit dem Blick Dein Gesicht umfassen – îõâàòèòü âçãëÿäîì òâî¸ ëèöî

(îáðàòíî)

46

sp?hen – ïîäñìàòðèâàòü

(îáðàòíî)

47

Flucht, f – áåãñòâî

(îáðàòíî)

48

unwillk?rlich – íåïðåäíàìåðåííî

(îáðàòíî)

49

zerstreuter – ðàññåÿííûé

(îáðàòíî)

50

z?rtlich – íåæíûé

(îáðàòíî)

51

h?llen – îáâîëàêèâàòü, óêóòûâàòü

(îáðàòíî)

52

verneinen – îòðèöàòü

(îáðàòíî)

53

keinen Augenblick vergeuden – íå ïîòåðÿòü íè îäíîãî ìãíîâåíèÿ

(îáðàòíî)

54

mustern, vt – ðàçãëÿäûâàòü

(îáðàòíî)

55

Widerstand, m – ñîïðîòèâëåíèå

(îáðàòíî)

56

Z?gern, n – ñîïðîòèâëåíèå, îòïîð

(îáðàòíî)

57

ein Geheimnis H?ten – îáåðåãàòü òàéíó

(îáðàòíî)

58

H?llenqual, f – ìóêà

(îáðàòíî)

59

verzweifelte – îò÷àÿâøàÿñÿ

(îáðàòíî)

60

tr?ge – ëåíèâûé

(îáðàòíî)

61

Bettler, m – íèùèé

(îáðàòíî)

62

Leib, m – òåëî

(îáðàòíî)

63

Adern, f, -n – âåíà

(îáðàòíî)

64

selig – ñ÷àñòëèâûé, áëàæåííûé

(îáðàòíî)

65

Niedrigkeit, f – íèçîñòü, ïîäëîñòü

(îáðàòíî)

66

fristen – ïåðåáèâàòüñÿ

(îáðàòíî)

67

Geb?rklinik, f – ðîäèëüíûé ïðèþò

(îáðàòíî)

68

Abhub, m – îáúåäêè

(îáðàòíî)

69

Beisammensein, n – íàðàâíå

(îáðàòíî)

70

wehrlos – áåççàùèòíûé, íåçàùèù¸ííûé

(îáðàòíî)

71

Habsucht, f – àë÷íîñòü

(îáðàòíî)

72

vollgepfropften – áèòêîì íàáèòûé

(îáðàòíî)

73

Zorn, m – ãíåâ

(îáðàòíî)

74

segnen – áëàãîñëîâëÿòü

(îáðàòíî)

75

verbogen (verbiegen) – ñêðûâàòüñÿ

(îáðàòíî)

76

n?hren – êîðìèòü

(îáðàòíî)

77

Elster, f, -n – ñîðîêà

(îáðàòíî)

78

verachten – ïðåçèðàòü

(îáðàòíî)

79

Rinnstein, m – ñòî÷íàÿ êàíàâà

(îáðàòíî)

80

wund – ñò¸ðòûé äî êðîâè

(îáðàòíî)

81

Weigerung, f – îòêàç, óêëîíåíèå

(îáðàòíî)

82

Torheit, f – ñóìàñáðîäñòâî

(îáðàòíî)

83

d?mmerig – ñóìåðå÷íûé

(îáðàòíî)

84

Samt, m – áàðõàò

(îáðàòíî)

85

Verlangen, n – æåëàíèå

(îáðàòíî)

86

Schwatz, m – áîëòîâíÿ

(îáðàòíî)

87

gef?llig, adj – óñëóæëèâûé

(îáðàòíî)

88

begehrend, (nach D) – æåëàòü

(îáðàòíî)

89

das Blut flog in die Wangen – êðîâü ïðèõëûíóëà ê ùåêàì

(îáðàòíî)

90

absonderlich – çàìûñëîâàòûé, ñâîåîáðàçíûé

(îáðàòíî)

91

z?gernd – íåðåøèòåëüíûé

(îáðàòíî)

92

entzweireissen – ðàçðûâàòü (ïîïîëàì)

(îáðàòíî)

93

hegen – õðàíèòü

(îáðàòíî)

94

Hauch, m – äûõàíèå

(îáðàòíî)

95

lind – ÷óòêèé, ìÿãêèé

(îáðàòíî)

96

kein Ende nehmen – íå áûëî êîíöà

(îáðàòíî)

97

Wildheit, f – áóéñòâî

(îáðàòíî)

98

absonderlich – ñòðàííûé

(îáðàòíî)

99

eilfertig – ïîñïåøíî

(îáðàòíî)

100

fl?chtig – íåóëîâèìûé, ìèìîë¸òíûé

(îáðàòíî)

101

Last, f – ãðóç, áðåìÿ

(îáðàòíî)

102

etw. zuliebe tun – äåëàòü ÷òî-ë. èç ëþáâè

(îáðàòíî)

103

verworren – áåñïîðÿäî÷íûé, çàïóòàííûé

(îáðàòíî)

104

zusammen schrecken – âçäðàãèâàòü

(îáðàòíî)

105

ereignen – ñëó÷àòüñÿ

(îáðàòíî)

106

ausschm?cken – ïðèóêðàøèâàòü

(îáðàòíî)

107

Zeuge, m – ñâèäåòåëü

(îáðàòíî)

108

Fracht, f – ãðóç

(îáðàòíî)

109

unmittelbar – íåïîñðåäñòâåííî

(îáðàòíî)

110

schlurfen – øàðêàòü íîãàìè

(îáðàòíî)

111

fl?chten – áåæàòü

(îáðàòíî)

112

Gesch?ker, n – ëþáåçíè÷àíèå

(îáðàòíî)

113

resegniert – ïðèìèðèâøèéñÿ

(îáðàòíî)

114

empor – ââåðõ

(îáðàòíî)

115

verh?llen – çàñòèëàòü

(îáðàòíî)

116

zu H?upten – íàä ãîëîâîé

(îáðàòíî)

117

h?mmern – ïðèáèâàòü

(îáðàòíî)

118

Bug, m – íîñîâàÿ ÷àñòü

(îáðàòíî)

119

Wiege, f – êîëûáåëü

(îáðàòíî)

120

Wollust, f – íàñëàæäåíèå

(îáðàòíî)

121

unwillk?rlich – áåññîçíàòåëüíî

(îáðàòíî)

122

str?men – óñòðåìëÿòüñÿ

(îáðàòíî)

123

Lid, n – âåêî

(îáðàòíî)

124

Z?ndholz, n – ñïè÷êà

(îáðàòíî)

125

finster – ìðà÷íûé

(îáðàòíî)

126

schw?l – äóøíûé

(îáðàòíî)

127

heiser – õðèïëûé

(îáðàòíî)

128

Pfosten, m – ñòîéêà

(îáðàòíî)

129

Erw?hnung, f – óïîìèíàíèå

(îáðàòíî)

130

Geschw?tzigkeit, f – áîëòëèâîñòü

(îáðàòíî)

131

forschten – èññëåäîâàòü

(îáðàòíî)

132

beben – äðîæàòü

(îáðàòíî)

133

Bedr?ngnis – ñòåñíåíèå

(îáðàòíî)

134

verh?ngnisvoll – ðîêîâîé

(îáðàòíî)

135

krepieren – ïîäûõàòü

(îáðàòíî)

136

Heiland, m – ñïàñèòåëü

(îáðàòíî)

137

Eingeborene, m, f – òóçåìåö

(îáðàòíî)

138

Grind, n – êîðîñòà

(îáðàòíî)

139

sagenhaft – ëåãåíäàðíûé

(îáðàòíî)

140

Mark, n – ìîçã

(îáðàòíî)

141

Sumpfstation, f – áîëîòèñòàÿ äûðà

(îáðàòíî)

142

tr?ge – ëåíèâûé

(îáðàòíî)

143

rasend – áåøåíûé

(îáðàòíî)

144

Faust, f – êóëàê

(îáðàòíî)

145

Der Teufel war los – ðàçûãðàëñÿ ñêàíäàë

(îáðàòíî)

146

werbe – íàáèðàòü

(îáðàòíî)

147

Hafenviertel, n – ïîðòîâûé ðàéîí

(îáðàòíî)

148

Halfcast (àíãë.) – ìåòèñ

(îáðàòíî)

149

Dickicht, n – çàðîñëè

(îáðàòíî)

150

Sumpf, m – áîëîòà

(îáðàòíî)

151

allerhand – âñåâîçìîæíûé

(îáðàòíî)

152

glimmen – òëåòü

(îáðàòíî)

153

droben – òàì íàâåðõó

(îáðàòíî)

154

Geb?rde, f – æåñò

(îáðàòíî)

155

Automobilschleier, m – äîðîæíàÿ âóàëü

(îáðàòíî)

156

brummig – âîð÷ëèâûé

(îáðàòíî)

157

Surgeon (àíãë.) – õèðóðã

(îáðàòíî)

158

Ãþñòàâ Ôëîáåð «Âîñïèòàíèå ÷óâñòâ», 1869 ã.

(îáðàòíî)

159

prickeln – çóäåòü

(îáðàòíî)

160

Argwohn, m – ïîäîçðåíèå

(îáðàòíî)

161

ausweichend – óêëîí÷èâûé

(îáðàòíî)

162

herrisch – ïîâåëèòåëüíûé

(îáðàòíî)

163

verb?rgen – ãàðàíòèðîâàòü

(îáðàòíî)

164

allright, àíãë. – âñ¸ â ïîðÿäêå

(îáðàòíî)

165

Herausforderung, f – âûçîâ

(îáðàòíî)

166

undurchdringlich – íåïðîíèöàåìûé

(îáðàòíî)

167

beherrschen – âëàäåòü

(îáðàòíî)

168

Fallbeil, n – ãèëüîòèíà

(îáðàòíî)

169

untersagen – çàïðåùàòü

(îáðàòíî)

170

Gel?st – âîæäåëåíèå

(îáðàòíî)

171

wehren – îêàçûâàòü ñîïðîòèâëåíèå

(îáðàòíî)

172

entsch?digen – âîçìåùàòü

(îáðàòíî)

173

gewaltt?gier – íàñèëüñòâåííûé

(îáðàòíî)

174

aufrichtig – îòêðîâåííûé

(îáðàòíî)

175

klirren – çâåíåòü

(îáðàòíî)

176

reizen – ðàçäðàæàòü

(îáðàòíî)

177

Hochmut, m – âûñîêîìåðèå

(îáðàòíî)

178

erniedrigen – óíèæàòü

(îáðàòíî)

179

verkommen – îïóñêàòüñÿ

(îáðàòíî)

180

Geilheit, f – ñòðàñòíîñòü

(îáðàòíî)

181

Ehrfurcht, f – ïî÷òåíèå

(îáðàòíî)

182

Unterw?rfigkeit, f – ïîêîðíîñòü

(îáðàòíî)

183

Gleichg?ltigkeit, f – ðàâíîäóøèå

(îáðàòíî)

184

Kr?mer, m – òîðãàø

(îáðàòíî)

185

zugrunde gehen – ãèáíóòü

(îáðàòíî)

186

spannen – îêàìåíåòü

(îáðàòíî)

187

unterstehen – îñìåëèâàòüñÿ

(îáðàòíî)

188

erdrosseln – çàäóøèòü

(îáðàòíî)

189

Glied, n – êîíå÷íîñòü

(îáðàòíî)

190

gel?hmt – ïàðàëèçîâàííûé

(îáðàòíî)

191

krachen – ãðîõîòàòü

(îáðàòíî)

192

Faust, f – êóëàê

(îáðàòíî)

193

T?lpel, m – óâàëåíü

(îáðàòíî)

194

Halunke, m – íåãîäÿé

(îáðàòíî)

195

You remain here (àíãë.) – Âû îñòà¸òåñü çäåñü

(îáðàòíî)

196

taumeln – øàòàòüñÿ

(îáðàòíî)

197

geduckt – ñãîðáèâøèñü

(îáðàòíî)

198

stocken – çàñòðåâàòü

(îáðàòíî)

199

Speiche, f – ñïèöà

(îáðàòíî)

200

rasend – áåøåíûé

(îáðàòíî)

201

schmierig – ãðÿçíûé

(îáðàòíî)

202

Tollheit, f – ñóìàñøåñòâèå

(îáðàòíî)

203

schw?l – äóøíûé

(îáðàòíî)

204

Gebr?u, n – ïèòü¸

(îáðàòíî)

205

Dolch, n – êèíæàë

(îáðàòíî)

206

taumeln – øàòàòüñÿ

(îáðàòíî)

207

hetzen – òðàâèòü

(îáðàòíî)

208

st?rmisch – áóéíûé

(îáðàòíî)

209

peinigen – ìó÷èòü

(îáðàòíî)

210

Trotz, m – ñâîåíðàâèå

(îáðàòíî)

211

Anregung, f – ñòèìóë

(îáðàòíî)

212

Geschmeidigkeit, f – ïîêîðíîñòü

(îáðàòíî)

213

stammeln – çàïèíàòüñÿ

(îáðàòíî)

214

Br?sk – ðåçêèé

(îáðàòíî)

215

zerkrampfen – êîìêàòü

(îáðàòíî)

216

Abwehr, f – ñàìîçàùèòà

(îáðàòíî)

217

Erregheit, f – âçâîëíîâàííîñòü

(îáðàòíî)

218

auff?lig – âûäåëÿþùèéñÿ

(îáðàòíî)

219

Gegenwart, f – ïðèñóòñòâèå

(îáðàòíî)

220

prachtvoll – áëèñòàòåëüíî

(îáðàòíî)

221

grell – ÿðêèé

(îáðàòíî)

222

gel?hmt – ïàðàëèçîâàííûé

(îáðàòíî)

223

poltern – ñòó÷àòü

(îáðàòíî)

224

Narrheit, f – ñóìàñáðîäñòâî

(îáðàòíî)

225

Schande, f – ïîçîð

(îáðàòíî)

226

martern – ìó÷èòü

(îáðàòíî)

227

irrwitzig – áåçóìíûé

(îáðàòíî)

228

In Schweiss gebadet – íàõîäèòüñÿ â ïîòó

(îáðàòíî)

229

kollern – êàòèòüñÿ

(îáðàòíî)

230

ersch?ttern – ñîòðÿñàòü

(îáðàòíî)

231

pochen – ñòó÷àòü

(îáðàòíî)

232

aschfal – ïåïåëüíûé

(îáðàòíî)

233

Treue, f – âåðíîñòü

(îáðàòíî)

234

zischeln – øåïòàòü

(îáðàòíî)

235

schluchzen – ðûäàòü

(îáðàòíî)

236

verst?mmeln – èñêàëå÷èòü

(îáðàòíî)

237

Schweigsamkeit, f – ìîë÷àëèâîñòü

(îáðàòíî)

238

Petroleumlampe, f – êåðîñèíîâàÿ ëàìïà

(îáðàòíî)

239

Jauche, f – îäóðü

(îáðàòíî)

240

ungeschickt – íåóìåëûé

(îáðàòíî)

241

gehorchen – ïîâèíîâàòüñÿ

(îáðàòíî)

242

sich kr?mmen – êîð÷èòüñÿ

(îáðàòíî)

243

krallen – ñêðþ÷èâàòü

(îáðàòíî)

244

Kehle, f – ãîðòàíü

(îáðàòíî)

245

wehren – áîðîòüñÿ

(îáðàòíî)

246

stemmen – óïèðàòüñÿ

(îáðàòíî)

247

Ader, f – âåíà

(îáðàòíî)

248

Ameise, f – ìóðàâåé

(îáðàòíî)

249

Sohle, f – ïîäîøâà

(îáðàòíî)

250

Qu?ntchen, n – êàïåëüêà

(îáðàòíî)

251

Eid, m – êëÿòâà

(îáðàòíî)

252

Winkel, m – óãîë

(îáðàòíî)

253

Sch?del, m – ÷åðåï

(îáðàòíî)

254

straffen – ðàñïðÿìëÿòüñÿ

(îáðàòíî)

255

Verm?chtnis, n – ïîñëåäíÿÿ âîëÿ

(îáðàòíî)

256

erdichten – ñî÷èíÿòü

(îáðàòíî)

257

ver?chtlich – ïðåçðèòåëüíûé

(îáðàòíî)

258

dr?ngen – áûòü ñðî÷íûì

(îáðàòíî)

259

entbehren k?nnen – îáõîäèòüñÿ áåç ÷åãî-ëèáî, êîãî-ëèáî

(îáðàòíî)

260

Vergehen, n – ïðîñòóïîê

(îáðàòíî)

261

b?ssen – èñêóïàòü âèíó

(îáðàòíî)

262

zum ?ussersten kommen – âïàäàòü â êðàéíîñòè

(îáðàòíî)

263

nachforschen – ðàññëåäîâàòü

(îáðàòíî)

264

weichen – îòñòóïàòü

(îáðàòíî)

265

Schwingen – ðàçìàõèâàòü

(îáðàòíî)

266

ducken – âòÿãèâàòü ãîëîâó â ïëå÷è

(îáðàòíî)

267

kr?nken – îáèæàòü

(îáðàòíî)

268

Herzl?hmung, f – ïàðàëè÷ ñåðäöà

(îáðàòíî)

269

Wieder hielt er inne – îí îïÿòü óìîëê

(îáðàòíî)

270

verweigern – îòêàçûâàòü

(îáðàòíî)

271

linkisch – íåóêëþæèé

(îáðàòíî)

272

Hand an sich legen – íàëîæèòü íà ñåáÿ ðóêè

(îáðàòíî)

273

Verh?ngnis, n – ñóäüáà

(îáðàòíî)

274

Befund, m – ðåçóëüòàò ýêñïåðòèçû

(îáðàòíî)

275

leiden – ñòðàäàòü

(îáðàòíî)

276

rechteckig – ïðÿìîóãîëüíûé

(îáðàòíî)

277

Autopsie, f – âñêðûòèå

(îáðàòíî)

278

Mittelschiff – ñðåäíÿÿ ïàëóáà

(îáðàòíî)

279

schlurfen – øàðêàòü

(îáðàòíî)

280

scheuern – ÷èñòèòü

(îáðàòíî)

281

verw?sten – îïóñòîøàòü

(îáðàòíî)

282

Schwatz, m – áîëòîâíÿ

(îáðàòíî)

283

verpfuschen – ïîðòèòü

(îáðàòíî)

284

futsch sein – ïðîïàñòü

(îáðàòíî)

285

winseln – ñêóëèòü

(îáðàòíî)

286

Gef?hrte, m – ïîïóò÷èê

(îáðàòíî)

287

krepieren – îêîëåòü

(îáðàòíî)

288

h?hnisch – íàñìåøëèâûé

(îáðàòíî)

289

vergebens – íàïðàñíî

(îáðàòíî)

290

Ruderboot, n – øëþïêà

(îáðàòíî)

291

Gegenwart, f – ïðèñóòñòâèå

(îáðàòíî)

292

Strickleiter, f – âåð¸âî÷íàÿ ëåñòíèöà

(îáðàòíî)

293

besch?nigen – ñêðàøèâàòü

(îáðàòíî)

294

verschleiern – ñêðûâàòü

(îáðàòíî)

295

anschwemmen – ïðèíîñèòü òå÷åíèåì

(îáðàòíî)

296

gespenstisch – ïðèçðà÷íûé

(îáðàòíî)

297

dr?ngen – òîëêàòüñÿ, òåñíèòüñÿ

(îáðàòíî)

298

Geleit geben – îáåñïå÷èòü ñîïðîâîæäåíèå

(îáðàòíî)

299

Get?mmel, n – ñóìàòîõà

(îáðàòíî)

300

derart – òàêîãî ðîäà

(îáðàòíî)

301

von vornherein – ñðàçó, ñ ñàìîãî íà÷àëà

(îáðàòíî)

302

sickern – îáíàðóæèëàñü, ñî÷èòüñÿ

(îáðàòíî)

303

ausserstande sein – áûòü íå â ñîñòîÿíèè ñäåëàòü ÷òî-ëèáî

(îáðàòíî)

304

?berrannt – ïîòîïëåíî

(îáðàòíî)

305

Pfarrer, m – ïàñòîð

(îáðàòíî)

306

widerspenstig – ñâîåíðàâíûé, ñòðîïòèâûé

(îáðàòíî)

307

verdriessen – ñåðäèòü, ðàçäðàæàòü

(îáðàòíî)

308

hocken – ñèäåòü íà êîðòî÷êàõ

(îáðàòíî)

309

die letzte ?lung – ñîáîðîâàíèå

(îáðàòíî)

310

Bileams Esel – Âàëààìîâà îñëèöà

(îáðàòíî)

311

vorger?ckte Stunde – ïîçäíèé ÷àñ

(îáðàòíî)

312

Famulus, m – âîñïèòàííèê

(îáðàòíî)

313

Simultanpartie, f – ñåàíñ îäíîâðåìåííîé èãðû

(îáðàòíî)

314

der heimische Nationalstolz lebhaft entz?ndet – ìåñòíûé ïàòðèîòèçì áûë çàäåò çà æèâîå

(îáðàòíî)

315

blind zu spielen – ñûãðàòü âñëåïóþ

(îáðàòíî)

316

Herauslocken – âûòÿíóòü (ñëîâà)

(îáðàòíî)

317

Gaudium, n – êíèæí. óñòàð. çàáàâà, âåñåëüå

(îáðàòíî)

318

Habgier, f – æàäíîñòü, àë÷íîñòü

(îáðàòíî)

319

Ruhm, m – ñëàâà

(îáðàòíî)

320

r?hmen – ïîõâàñòàòüñÿ

(îáðàòíî)

321

geschickt – ëîâêèé, èñêóñíûé

(îáðàòíî)

322

geistiger Begabung – óìñòâåííàÿ îäàð¸ííîñòü

(îáðàòíî)

323

Eitelkeit kitzeln – ñûãðàòü íà òùåñëàâèè

(îáðàòíî)

324

Auerhahn, m – ãëóõàðü

(îáðàòíî)

325

m?rrisch – óãðþìûé, ìðà÷íûé

(îáðàòíî)

326

Unmut Luft zu machen – âûìåñòèòü ðàçäðàæåíèå

(îáðàòíî)

327

nicht sehr aufger?umt – íå â î÷åíü õîðîøåì ðàñïîëîæåíèè äóõà

(îáðàòíî)

328

fachm?nnisch – êîìïåòåíòíûé, ïðîôåññèîíàëüíûé

(îáðàòíî)

329

Anordnung, f – óñëîâèå

(îáðàòíî)

330

Mangel, m – íåäîñòàòîê, íåõâàòêà (÷åãî-ë.)

(îáðàòíî)

331

behaglich – ñïîêîéíûé, êîìôîðòíûé

(îáðàòíî)

332

Um Gottes willen! Nicht! – Ðàäè Áîãà, íå íàäî!

(îáðàòíî)

333

Remis, n – íè÷üÿ (â øàõìàòàõ)

(îáðàòíî)

334

druck vorw?rts – àòàêîâàòü

(îáðàòíî)

335

ungeh?rig betragen – íåâåæëèâî ïîñòóïèòü

(îáðàòíî)

336

Handgelenk, n – çàïÿñòüå

(îáðàòíî)

337

verbl?ffen – îçàäà÷èâàòü, îøåëîìëÿòü

(îáðàòíî)

338

Raubzug, m – ðàçáîéíè÷èé íàáåã

(îáðàòíî)

339

Beschlagnahme, f – êîíôèñêàöèÿ, àðåñò èìóùåñòâà

(îáðàòíî)

340

Abdankung, f – îòðå÷åíèå îò ïðåñòîëà

(îáðàòíî)

341

herauspressen – âûæàòü

(îáðàòíî)

342

Folterung, f – ïûòêà, èñòÿçàíèå

(îáðàòíî)

343

die Adern ?ffnen – âñêðûòü âåíû

(îáðàòíî)

344

Verh?re, n – äîïðîñ

(îáðàòíî)

345

auskundschaften – òàéíî âûâåäûâàòü (ðàçâåäûâàòü)

(îáðàòíî)

346

w?rgen – çàäîõíóòüñÿ, äàâèòü

(îáðàòíî)

347

W?rgen, n – ðâîòíîå äâèæåíèå

(îáðàòíî)

348

gierig – æàäíûé

(îáðàòíî)

349

berauschendes – îïüÿíÿþùèé, äóðìàíÿùèé

(îáðàòíî)

350

Gehaben, n – ïîâåäåíèå, îáðàç ìûñëåé

(îáðàòíî)

351

Bet?ubung, f – ñîñòîÿíèå îäóðìàíèâàíèÿ

(îáðàòíî)

352

erbeuten – çàõâàòèòü, âçÿòü (â êà÷åñòâå òðîôåÿ)

(îáðàòíî)

353

verwirren – çàïóòûâàòü, ñáèâàòü ñ òîëêó

(îáðàòíî)

354

unabl?ssig – áåçîñòàíîâî÷íî

(îáðàòíî)

355

entbehrlich – íåíóæíûé, èçëèøíèé

(îáðàòíî)

356

Mit Respekt betrachten – îòíîñèòüñÿ ñ óâàæåíèåì

(îáðàòíî)

357

fl?chtig – áåãëûé, ìèìîë¸òíûé

(îáðàòíî)

358

wetteifern – ñîðåâíîâàòüñÿ

(îáðàòíî)

359

entz?cken – âîñõèùàòü, ïðèâîäèòü â âîñòîðã

(îáðàòíî)

360

beschwichtigen – óñïîêàèâàòü, óíèìàòü

(îáðàòíî)

361

akute Irritation der Nerven – îñòðîå ðàññòðîéñòâî íåðâíîé ñèñòåìû

(îáðàòíî)

362

Peiniger, m – ìó÷èòåëü

(îáðàòíî)

363

wie ein Stich ins Herz – êàê óäàð â ñåðäöå

(îáðàòíî)

364

Vordringlichkeit, – íåîòëîæíàÿ íåîáõîäèìîñòü

(îáðàòíî)

365

verflechten – òåñíî ñâÿçàííûé

(îáðàòíî)

366

Undurchdringlich – íåïðîíèöàåìûé

(îáðàòíî)

367

Erm?dung, f – óñòàëîñòü

(îáðàòíî)

368

intakt – çäîðîâûé, íîðìàëüíûé

(îáðàòíî)

369

die Fahne strichen – îïóñòèòü ôëàã

(îáðàòíî)

370

Bummelei, f – ìåäëèòåëüíîñòü

(îáðàòíî)

371

remember (àíãë.) – âñïîìíèòå

(îáðàòíî)

372

bescheiden – ñêðîìíûé (î ÷åëîâåêå)

(îáðàòíî)

373

unbehaglich – íåïðèÿòíûé, íåëîâêèé

(îáðàòíî)

Îãëàâëåíèå

  • Brief einer Unbekannten
  • Der Amokl?ufer
  • Schachnovelle
  • Alphabetisches W?rterverzeichnis

  • Íàø ñàéò ÿâëÿåòñÿ ïîìåùåíèåì áèáëèîòåêè. Íà îñíîâàíèè Ôåäåðàëüíîãî çàêîíà Ðîññèéñêîé ôåäåðàöèè "Îá àâòîðñêîì è ñìåæíûõ ïðàâàõ" (â ðåä. Ôåäåðàëüíûõ çàêîíîâ îò 19.07.1995 N 110-ÔÇ, îò 20.07.2004 N 72-ÔÇ) êîïèðîâàíèå, ñîõðàíåíèå íà æåñòêîì äèñêå èëè èíîé ñïîñîá ñîõðàíåíèÿ ïðîèçâåäåíèé ðàçìåùåííûõ íà äàííîé áèáëèîòåêå êàòåãîðè÷åñêè çàïðåøåí. Âñå ìàòåðèàëû ïðåäñòàâëåíû èñêëþ÷èòåëüíî â îçíàêîìèòåëüíûõ öåëÿõ.

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